KOMMENTAR

Wie im Profifußball

Dem europäischen Finanzsektor droht ein Abkopplungseffekt, der im Profifußball schon vor Jahrzehnten vorweggenommen worden ist. Nachdem die Briten bei der Covid-19-Impfung schneller zum Zuge kommen als der Rest Europas, hat nun auch die britische...

Wie im Profifußball

Dem europäischen Finanzsektor droht ein Abkopplungseffekt, der im Profifußball schon vor Jahrzehnten vorweggenommen worden ist. Nachdem die Briten bei der Covid-19-Impfung schneller zum Zuge kommen als der Rest Europas, hat nun auch die britische Bankenaufsicht die Coronakrise offiziell für beendet erklärt. Während sich die meisten Banken der Eurozone wohl auf eine weitere Verlängerung des im Frühjahr verhängten Dividendenstopps einstellen müssen, dürfte auf die Investoren der britischen Banken ein warmer Geldregen niedergehen – auch dank der jüngsten Rekordzuwächse im Handelsgeschäft.Damit droht der Kampf der Banken in Euroland um die Gunst der Investoren ähnlich aussichtslos zu werden wie der Versuch hiesiger Clubs, Top-Talente aufzuhalten, die es zum Geldverdienen auf die Insel zieht. Denn gerade institutionellen Aktieninvestoren bleibt qua Anlagerichtlinien oftmals gar nichts anderes übrig, als sich an der Dividendenrendite zu orientieren.Schon im Frühjahr, als die künftige Entwicklung der Pandemie noch viel unwägbarer schien als jetzt, fürchtete die Branche, durch den Dividendenstopp “uninvestierbar” zu werden. Bei einer Verlängerung käme erschwerend hinzu, dass die britische Aufsicht den potenziellen Käufern kontinentaleuropäischer Bankaktien nun eine attraktive Anlagealternative auf dem Silbertablett serviert.Das lässt Böses ahnen für die Entwicklung des Finanzsektors der verbliebenen EU, dem mancher im Zuge des Brexit-Dramas eine Emanzipation von der Finanzmetropole London zugetraut hatte. Tatsächlich zeigt die unerwartete Entscheidung deutlich, wer sich hier von wem emanzipiert.Die Bekanntgabe noch vor dem Ende der Übergangsfrist dürfte für viele Brexit-Befürworter als Beweis für die wiedererlangte Souveränität Großbritanniens gewertet werden. Der europäische Finanzsektor muss damit rechnen, dass ihn nicht bloß die USA, sondern auch Großbritannien bei der Überwindung von Wirtschafts- und Finanzkrisen abhängen wird.Um zu verhindern, dass sich die von ihr beaufsichtigten Banken gänzlich aus dem globalen Wettbewerb verabschieden, sollte die Europäische Zentralbank das Ausschüttungsverbot schleunigst kippen. Die im Frühjahr noch nachvollziehbare Sorge, dass die Kreditinstitute angesichts der gebeutelten Aktienkurse lieber ihre Aktionäre verwöhnen, als die Volkswirtschaft mit Krediten zu versorgen, greift nicht mehr.Die schemenhafte Ahnung einer künftigen Krise ist einem berechenbareren Szenario gewichen und im ablaufenden Jahr haben die Banken für die kommenden Belastungen bereits reichlich Risikovorsorge gebildet, die ihren Spielraum für Aktienrückkäufe und Dividendenausschüttungen ohnehin empfindlich schmälert. Dank ihrer Strategie und ihres Risikomanagements haben sich manche Institute die Möglichkeit bewahrt auszuschütten. Diese sollten sie nutzen können, anstatt dafür bestraft zu werden, dass sie unter einer anderen Aufsicht stehen als ihre britischen Konkurrenten.