Guido Fürer, Swiss Re

„Wir sind eine aktive Aktionärin“

Swiss Re verfolgt mit ihren Kapitalanlagen seit fünf Jahren ein konsequentes ESG-Benchmarking. Investmentchef Guido Fürer zeigt auf, wie diese Umstellung auch die Performance positiv beeinflusst.

„Wir sind eine aktive Aktionärin“

Daniel Zulauf.

Herr Fürer, immer mehr Unternehmen setzen ihre Klimaziele auf die Agenda der jährlichen Aktionärsversammlung. Was macht Swiss Re?

Swiss Re verfolgt einen umfassenden Klimaplan. Bis 2050 werden wir die Treibhausgasemissionen auf netto null senken, und schon 20 Jahre vorher wollen wir bezüglich unserer direkten betrieblichen Tätigkeit einschließlich Geschäftsreisen und der Bewirtschaftung unserer Geschäftsimmobilien den CO-Ausstoß auf netto null senken. Zur Erreichung dieser Ziele setzen wir uns konkrete Vorgaben auf beiden Seiten unserer Bilanz, also auf der Versicherungsseite wie auch auf der Anlageseite.

Wie lautet Ihr nächstes Ziel auf der Anlageseite?

Es ist ein sehr ambitiöses Ziel. Wir haben uns im vergangenen Jahr vorgenommen, den CO2-Ausstoß unseres aktiven Anlageportfolios bis 2025 um 35% zu senken. Das bleibt unverändert.

Wie bewerten Ihre Aktionäre die Klimastrategie von SwissRe?

Das Thema kommt auf den Treffen mit unseren Investoren immer zur Sprache. Die Aktionäre bekunden ein großes Interesse daran und geben uns regelmäßig zu verstehen, dass wir auf dem absolut richtigen Weg sind. Viele unserer Großaktionäre sehen uns als Vordenkerin in diesem Thema und als vorbildliche Akteurin in der globalen Versicherungswirtschaft. Das bestärkt uns natürlich, den Weg weiterzugehen.

Viele Firmen sind schon so weit und lassen sich ihre Klimaziele über konsultative Aktionärsabstimmungen bestätigen. Wie nutzt Swiss Re ihre Rechte als Aktionärin?

Wir sind eine aktive Aktionärin und nehmen unsere Stimmrechte in fast 100% der Fälle war. Wir messen die Leistungen der Emittenten an einem globalen ESG-Benchmark und geben unseren Portfoliomanagern klare Stimmvorgaben.

Wie verhält sich Swiss Re konkret als aktive Aktionärin?

Wir arbeiten mit unseren externen Vermögensverwaltern, die sich persönlich mit den Verantwortlichen der meisten Unternehmen treffen, in denen wir Gläubiger oder Aktionärin sind. Das waren im vergangenen Jahr rund zwei Drittel aller von uns berücksichtigten Emittenten. Die 20 größten CO2-Emittenten in unseren Portfolios treffen die Vermögensverwalter jährlich. Wir besprechen deren Klimaziele und die entsprechende Umsetzungsstrategie. So erhält jede dieser Firmen Gelegenheit zu erklären, wie sie bis 2050 den Übergang in die Netto-null-Welt erreichen will. Wir messen diesem sogenannten Engagement eigentlich mehr Bedeutung zu als der Möglichkeit, unsere Stimme als Aktionärin auf der Generalversammlung abgeben zu können.

Aber weisen Sie in den Generalversammlungen der von Swiss Re investierten Firmen auch mal ein Klimaziel als ungenügend zurück?

Wir sind überhaupt nicht immer auf einer Linie mit dem Management. Wie Sie unserem Nachhaltigkeitsbericht 2021 entnehmen können, haben wir uns in den insgesamt 5366 Abstimmungen, an denen wir im vergangenen Jahr teilgenommen haben, in 10% der Fälle gegen die Anträge des Managements ausgesprochen, und in 2% der Fälle haben wir uns der Stimme enthalten. Da ging es aber jeweils um Themen aus allen Unternehmensbereichen.

Swiss Re hat die Verwaltung der Kapitalanlagen 2017 vollständig auf ESG-Benchmarks umgestellt. Wie sieht die Fünfjahresbilanz aus?

Wir waren damit sehr früh dran in unserer Branche, was wahrscheinlich einer unserer besten Anlageentscheide überhaupt gewesen ist. Ich verwende bewusst das Wort Anlageentscheid.

Warum?

Weil es eben nicht nur darum ging, ein besseres Portfolio für die Umwelt zu bauen, sondern auch darum, eine qualitative Verbesserung vom anlagetechnischen Gesichtspunkt zu erreichen. Unsere damalige Hoffnung hat sich erfüllt.

Woran machen Sie diese Aussage fest?

Die risikobereinigte Performance, gemessen an der sogenannten Sharpe Ratio, hat sich durch die Umstellung klar verbessert. Das war immer auch unser Hauptgedanke der Umstellung. Wir waren also nicht primär von der Idee geleitet, den gesellschaftlichen Wert unseres Portfolios zu steigern, wie dies ein typischer Impact-Investor tut, sondern die risikobereinigte Performance zu erhöhen. Das ist uns sowohl im Bereich der Aktien als auch im Bereich der Unternehmensanleihen gelungen.

Wie muss sich ein Laie dieses Konzept der risikobereinigten Performance vorstellen?

Wir haben durch die Umstellung unseres Portfolios auf ESG-Bench­marks das Universum der für uns investierbaren Emittenten um rund 30% verkleinert und haben damit bei vergleichbarer Rendite ein tieferes Risiko im Portfolio erreicht. Im Aktienbereich zum Beispiel beläuft sich der durchschnittliche Sharpe-Quotient für die Fünfjahresperiode in unserer ESG-Benchmark auf 0,7, verglichen mit 0,65 bei einem traditionellen Index.

Das tönt jetzt nicht gerade wie eine Revolution.

Das täuscht. Die Differenz zeigt eine sehr deutliche Überperformance an. Besonders interessant ist dabei, dass diese positive Abweichung in Zeiten sehr volatiler Märkte am größten ist. Das war zum Beispiel ausgeprägt im Frühjahr 2020 bei Beginn der Covid-Krise der Fall. Das ist eigentlich keine Überraschung, denn ein ESG-Portfolio hat eine höhere Qualität. Da fließen neben Umweltaspekten auch Kriterien der Unternehmensführung ein. Ein höheres ESG-Rating zeigt an, dass ein Unternehmen in puncto Umwelt- und Sozialverträglichkeit wie auch bei der Governance entweder eine bessere Positionierung aufweist oder eine überlegene Strategie verfolgt. Man würde erwarten, dass die Aktien solcher Firmen in volatilen Zeiten weniger stark ausschlagen. Genau das ist in unserem Portfolio passiert.

Hat der global starke Trend zum ESG-Benchmarking nicht auch zu großen Preisblasen in diesen Anlagen geführt?

Die Nachfrage nach ESG-Anlagen hat in den vergangenen Jahren tatsächlich stark zugenommen, obschon sie in den vergangenen Quartalen aufgrund der steigenden Zinsen und der kriegsbedingt veränderten Risikosituation wieder etwas abgenommen hat. Aber der zugrunde liegende Trend ist sicher ungebrochen, was zu höheren Preisen geführt hat. Aber Swiss Re war eine Vorreiterin bei der ESG-Umstellung, und wir haben deshalb anfänglich auch klare Überrenditen gesehen. Diesen Windfall Profit würde man theoretisch eigentlich nicht erwarten. Wir wären bereit gewesen, für ein sichereres Portfolio auch leicht tiefere Renditen in Kauf zu nehmen.

Solche Überrenditen sind doch trügerisch.

Wir haben sie gern genommen. Sie sind für uns aber auch ein Grund mehr, genau hinzuschauen und die von den Unternehmen genannten ESG-Ziele mit ihrer Strategie und Umsetzung abzugleichen. Die von Ihnen angesprochene Preisblase hat es zwar in einzelnen Marktsegmenten klar gegeben, aber sie hat sich in der jüngeren Zeit wieder deutlich korrigiert. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass die Erzeuger fossiler Energie die starke Unterperformance der vergangenen Jahre gegenüber den Erzeugern nachhaltiger Energie aufgeholt haben. Die Preisblase ist jetzt sicher weniger offensichtlich, als sie es noch 2021 gewesen war.

Die ganze Nachhaltigkeitsthematik ist gerade stark im Fluss. Inzwischen gibt es Stimmen, die sogar Anlagen in Aktien von Kriegsmaterialherstellern als nachhaltig propagieren. Wie stellt sich Swiss Re zu solchen Argumenten?

Wir schließen grundsätzlich keinen Sektor aus unserem Anlageportfolio aus. Die Sektor-Gewichtung unserer ESG-Benchmark ist im Prinzip identisch mit jener eines traditionellen Index. Wir suchen uns in jedem Sektor jene Firmen aus, welche die glaubwürdigste ESG-Strategie verfolgen. Es gibt zwar auch bei uns gewisse Ausschlusskriterien, aber diese stellen immer die Ausnahme dar.

Kritiker sagen, ESG sei ein neoliberaler Ansatz, der dem Problem des Klimawandels gar nicht gewachsen ist. Es brauche mehr gesetzliche Leitlinien. Davon halten Sie nicht viel, oder?

Ich hoffe natürlich immer auf Anreize, die wir als Investoren setzen können. Aber der öffentliche Sektor kann sehr viel zur Lösung des Klimaproblems beitragen. Zum Beispiel, indem er global einen realistischen Preis für eine Tonne CO2 festlegt, was bislang leider nicht passiert ist. Ein anderer, vielleicht noch weniger offensichtlicher Anreiz wäre es für institutionelle Investoren wie Swiss Re, durch geeignete Regularien bei der Eigenkapitalunterlegung Anreize zur Förderung nachhaltiger Anlagen zu schaffen.

Greenwashing ist dem von Ihnen propagierten Marktmodell auch nicht förderlich. Wie groß ist das Problem?

Es ist ein sehr ernsthaftes Problem. Aber die Regulatoren sollten deshalb nicht darauf verzichten, umweltfreundliche Portfolios zu favorisieren, sondern vielmehr auf eine ganz starke Governance hinarbeiten. Die Unternehmen müssen auf strikte Transparenz und größte Verlässlichkeit verpflichtet werden, und die Art, wie Firmen über ESG rapportieren, muss standardisiert werden. Swiss Re hält sich an die Leitlinien des Financial Stability Board.

Wir beobachten gerade einen globalen Anstieg der Zinsen, begleitet von starken Schwankungen an den Aktienmärkten. Was heißt das für Swiss Re?

Wir sagen seit vielen Jahren, dass die Zinsen steigen müssen. So gesehen ist das eine positive Entwicklung. Kurzfristig hilft uns der Zinsanstieg vor allem bei der Wiederanlage unserer Liquidität. Diese betrug Ende März etwa 10% unserer Kapitalanlagen. Wenn wir auf diesen Mitteln plötzlich 1% oder mehr Zins erhalten, macht das einiges aus.

Das Interview führte

BZ+
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