Wirecard-Prozess: EY-Wirtschaftsprüfer stellten schon 2016 Betrugshinweise fest
Millionenkredit für Krankenwagenfahrer
Vor Gericht berichtet EY-Berater über Betrugshinweise schon vier Jahre vor Wirecard-Kollaps
sck München
Der Betrug bei Wirecard wäre schon früher aufgeflogen, wenn der jahrelange Abschlussprüfer EY Verdachtshinweisen viel konsequenter nachgegangen wäre. Dieser Eindruck erhärtet sich nach dem Schilderungen eines Zeugen von EY vor dem Landgericht München. Am 137. Prozesstag in dem Mammutverfahren berichtete Boris Klinger dem Vorsitzenden Richter Markus Födisch über Vorwürfe gegen das Unternehmen, die EY 2016 prüfte. Klinger war seinerzeit als Forensiker bei EY beschäftigt. Für den wegen des Wirecard-Skandals unter Erklärungsdruck geratenen Wirtschaftsprüfer ist der 44-Jährige weiterhin tätig.
Anlass für die damaligen Sonderermittlungen des Zeugen beim Zahlungsabwickler waren der sogenannte Zatarra-Report (Februar 2016) und ein interner Hinweisgeber (Mai 2016). Im Rahmen seiner Sachverhaltsaufklärung waren Klinger und Kollegen damit beschäftigt, die von den beiden Quellen erhobenen Anschuldigungen zu untersuchen. Der Zeuge schilderte Hindernisse von Wirecard bei seiner Arbeit. Er bemängelte die Qualität von Datensätzen des Unternehmens und die Weigerung von Stephan von Erffa, seinen E-Mail-Verkehr einsehen zu lassen. Der frühere Konzernchefbuchhalter sitzt auf der Anklagebank. Erffa will nächste Woche erstmals vor Gericht zu den Tatvorwürfen Stellung nehmen. Bislang schwieg er.
Unbesicherte Darlehen
Bei seinen Analysen stieß der Zeuge auf viele Ungereimtheiten. Klinger berichtete von unbesicherten Krediten in Millionenhöhe der Wirecard Bank im Auftrag der Muttergesellschaft Wirecard AG für Glücksspiel-Kunden. Darunter habe sich ein Krankenwagenfahrer in Dubai befunden. Dieser habe ein Darlehen von 6 Mill. Dollar erhalten. Als Erklärung dafür habe Wirecard angegeben, dass es sich um „strategische Kredite“ handelt. Klinger zufolge war das ein „Kunstbegriff“.
Im Rahmen des Untersuchungsprojekts „Ring“ aus Anlass der Vorwürfe eines Whistleblowers stellte das Forensiker-Team umfangreiche Mängel beim Erwerb des indischen Zahlungsdienstleisters Hermes durch Wirecard fest. Klinger berichtete unter anderem über aufgeblähte Umsätze beim Neuzukauf. Es sei ein „Puzzlespiel“ gewesen, an die Daten heranzukommen. Dem Hinweisgeber zufolge hätten führende Manager von Wirecard über einen Fonds auf Mauritius den Kaufpreis von seinerzeit 340 Mill. Euro kassiert, darunter auch von Erffa. Geschäftszahlen des Zukaufs seien künstlich aufgeblasen worden, um den überhöhten Kaufpreis zu rechtfertigen, lautete der Vorwurf.
Sonderuntersuchung verläuft im Sande
Klinger ist nach eigenen Angaben vom EY-Prüferteam informiert worden, für 2016 ein eingeschränktes Testat anzudrohen. Födisch merkte dazu unter Vorlage eines Schriftstücks an, dass damals der leitende EY-Abschlussprüfer Andreas Loetscher dem Wirecard-Finanzvorstand Burkhard Ley gedroht habe, das Abschlusstestat einzuschränken. Dazu kam es aber dann doch nicht. Erst nach einer Sonderprüfung von KPMG verweigerte EY im Juni 2020 das Testat für 2019, als 1,9 Mrd. Euro auf asiatischen Wirecard-Treuhandkonten sich als Luftbuchung herausstellten. Wirecard ging danach pleite.
Auf Nachfrage des Richters, warum EY den Abschluss für 2016 doch uneingeschränkt testierte, fand der Zeuge keine Antwort. Klinger zufolge beendeten die EY-Forensiker auf Anweisung von Wirecard-Vertriebsvorstand Jan Marsalek ihre Sonderprüfung vorzeitig, obwohl diese noch nicht abgeschlossen war. Man habe „damals Indikatoren gefunden“, die die Vorwürfe stützten, so der Zeuge.