Zertifikate-Boom treibt deutsche Finanzaufsicht um
Zertifikate-Boom treibt BaFin um
lee Frankfurt
Auf ihrer Jahrespressekonferenz hat die BaFin der deutschen Kreditwirtschaft ein solides Zeugnis ausgestellt. Dank steigender Zinsmargen und damit einhergehend verbesserter Profitabilität befänden sich Banken und Sparkassen alles in allem in einer stabilen Situation, stellte BaFin-Präsident Mark Branson am Dienstag in Frankfurt fest.
Kapitalzuschläge verordnet
Der unerwartet schnelle Zinsanstieg habe aber auch erhebliche Risiken mit sich gebracht, heißt es im Jahresbericht der Aufsichtsbehörde mit Blick auf die hohen Bewertungsverluste bei festverzinslichen Anlagen. Viele der kleineren Geldhäuser, den sogenannten Less Signficant Institutions (LSI), hätten dafür im vergangenen Jahr ihre hierfür getroffenen Reserven aufgebraucht.
Wegen des erhöhten Zinsänderungsrisikos hat die BaFin nach eigenen Angaben mehr als 800 Banken und Sparkassen per sogenanntem SREP-Zuschlag zu höheren Kapitalanforderungen verdonnert. Darüber hinaus habe sie die gefährdeten Institute mit knapper Kapitaldecke eng begleitet. Zwischenzeitlich sei die Zahl der Geldhäuser mit erhöhtem Zinsänderungsrisiko wieder zurückgegangen, doch vor allem bei Sparkassen und Genossenschaftsbanken verharre sie auf hohem Niveau.
Verbünde im Fokus
Die beiden Finanzverbünde stehen auch mit Blick auf den Verbraucherschutz, den die Behörde seit Bransons Amtsantritt öffentlichkeitswirksam aufgewertet hat, im Fokus der Aufseher. Denn während vor allem die Direktbanken versuchten, die Kunden mit höheren Einlagezinsen zu ködern, setzten viele Sparkassen und Genossenschaftsbanken eher auf den Vertrieb von Zertifikaten. Oftmals als zinsnahes Produkt verpackt, feierte die seit der Lehman-Pleite in Verruf geratene Anlageklasse im vergangenen Jahr ein beachtliches Comeback.
Laut Bundesverband für strukturierte Wertpapiere wuchs das Geschäft von 80 auf 112 Mrd. Euro. Davon entfällt etwa die Hälfte auf verzinste strukturierte Anleihen. Sie versprechen die Rückzahlung des eingesetzten Kapitals zum Ende der Laufzeit in Kombination mit der Chance auf Renditen, die oberhalb des aktuellen Zinsniveaus liegen. Verbraucherschützer kritisieren die Produktkomplexität.
BaFin untersucht Vertriebspraxis
Die BaFin geht laut Branson der Frage nach, ob die Produkte im Einklang mit Verbraucherinteressen stehen. Der für Wertpapieraufsicht zuständige Exekutivdirektor Thorsten Pötzsch ergänzte, dass auch die nach Einschätzung von Anlegerschützern provisionsgetriebene Vertriebspraxis hinterfragt werde. „Wir nehmen dieses Thema sehr ernst und schauen es an“, sagte Branson. Für eine abschließende Bewertung sei es jedoch noch zu früh.
Auch die mit dem Preisverfall an den Immobilienmärkten einhergehenden Risiken für die Banken beschäftigen die BaFin. Trotz des schlagartig endenden Booms habe es im vergangenen Jahr zwar noch keine flächendeckenden Ausfälle bei gewerblichen Immobilienfinanzierungen gegeben. Vom zweiten Quartal an habe sich der Anteil der notleidenden Kredite an den Gesamtkreditvolumina jedoch erhöht, vor allem im vierten Quartal mit steigender Dynamik, wie der Bericht herausstellt.
Die Aufsicht hatte seit Jahren vor dem Risiko einer Immobilienmarktkrise gewarnt, dabei jedoch vor allem die Wohnimmobilien im Auge gehabt. Nun konstatiert sie in ihrem Bericht, dass sich der Abbau von Überbewertungen zwar grundsätzlich positiv auf die Finanzstabilität auswirke, doch dass die davon ausgehende Belastung der Ertragslage existenzbedrohend werden könne, gerade für nicht ausreichend diversifizierte Institute.
Die BaFin habe kleinere Banken mit hohem Gewerbeimmobilien-Exposure eng begleitet – vor allem Institute, die in den USA engagiert sind. Das habe unter anderem Werthaltigkeitsprüfungen und die Analyse der Kreditvergabe beinhaltet. Außerdem habe die Aufsicht auf eine Erhöhung der Risikovorsorge gedrungen.
Versicherer weniger betroffen
Laut Julia Wiens, die seit Jahresbeginn als Exekutivdirektorin für die Versicherungswirtschaft zuständig ist, stellt sich die Situation dort weniger kritisch dar: „Offensichtlich haben die Versicherer weniger in Immobilien investiert.“
Weniger Komplexität gefordert
Branson nutzt seinen Auftritt auch, um für eine Reduktion der Komplexität der Regulierung und Bankenaufsicht in Europa zu plädieren. Wenn Europa nicht anfange, hier europäisch zu denken, werde der Kontinent vermutlich als Verlierer aus der gegenwärtig schwierigen wirtschaftlichen Situation hervorgehen, warnte er. Zurückdrehen will er die Regulierung dabei jedoch nicht.
Aufsichtsbehörde untersucht Produkte und Vertriebspraxis – Fokus auch auf Immobilienrisiken und aufgebrauchten Bewertungsreserven
Die Renaissance von Zertifikaten für Privatanlegern scheucht nicht nur Verbraucherschützer auf. Auch die BaFin nimmt nach Worten ihres Präsidenten Produkte und Vertriebspraxis unter die Lupe. Die durch Wertberichtigungen auf die Eigenanlage teilweise aufgebrauchten Reserven behält die Aufsicht ebenfalls im Blick.