Ambitionierte Erwartungen an die neue EU-Finanzkommissarin
FOKUS: Neuer Regulierungsansatz
Ambitionierte Erwartungen an die neue EU-Finanzkommissarin
Wettbewerbsfähigkeit als zentrales Kriterium
Am 6. November muss sich Maria Luis Albuquerque drei Stunden lang Fragen des EU-Parlaments stellen. Die Chancen, dass die ehemalige portugiesische Finanzministerin, die nach dem Willen von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen in den nächsten fünf Jahren in der EU-Kommission federführend für Finanzmarktregulierung zuständig sein soll, dafür den Segen des EU-Parlaments erhalten wird, gelten als sehr gut. Zwar werden ihr einige Abgeordnete vorwerfen, dass sie durch Tätigkeiten beim Vermögensverwalter Arrow Global und bei der Investmentbank Morgan Stanley eine zu große Nähe zu den Akteuren am Kapitalmarkt hat. Andere werden diese beruflichen Erfahrungen hingegen als Vorteil interpretieren, da dies die fachliche Qualität von Albuquerque fachlich unterstreiche. Die Christdemokratin, die in ihrer Amtszeit als Finanzministerin die Auflagen der Troika umsetzen musste, gilt als durchsetzungsstark und entschlossen.
Diese Durchsetzungsstärke wird sie allerdings in den nächsten fünf Jahren auch gut brauchen können. Denn sowohl EU-Kommissionschefin von der Leyen als auch die Regierungen in Deutschland, Frankreich und Italien haben bereits ambitionierte Erwartungen an Albuquerque formuliert.
Gemeinsame Forderungen aus Berlin, Paris und Rom
In Brüssel läuft derzeit ein Schreiben der Finanzministerien aus Berlin, Paris und Rom um, das an den für Finanzmarktregulierung zuständigen Generaldirektor John Berrigan gerichtet ist – und in dem durchaus ambitionierte Forderungen gestellt werden. Ambitioniert vor allem deshalb, weil sie einen neuen Ansatz in der Regulierung verlangen.
So plädieren die Finanzministerien in dem Brief, der der Börsen-Zeitung vorliegt, die EU solle angesichts der vielen zuletzt beschlossenen Vorgaben, die sich erst noch in der Umsetzung befinden, „kurz- und mittelfristig auf neue, umfassendere Gesetzgebungsinitiativen in diesem Feld verzichten“. Diese relativ unverblümte Aufforderung zu einer Regulierungspause – also zumindest in Bezug auf größere, umfassendere Gesetzespakete – ist durchaus bemerkenswert, zumal traditionell eine neuformierte EU-Kommission gerade zu Beginn eigentlich den Ehrgeiz hat, eigene legislative Akzente zu setzen.
Indirekte Kritik an Gestaltungsdrang der EBA
In gleiche Richtung geht der Wunsch, die EU-Gesetzgeber sollten darauf achten, dass delegierte Rechtsakte, Durchführungsbestimmungen und regulatorische technische Standards der EU-Bankenbehörde EBA „verhältnismäßig und risikosensitiv“ sind. Hier klingt sehr deutlich die Unzufriedenheit mit, dass die EBA nach Meinung der Regierungen – und übrigens auch vieler Marktakteure – oft deutlich über das hinausgeht, was auf Ebene der Gesetzgebung vorgesehen wurde.
Schließlich pochen die drei nationalen Regierungen in ihrem Brief auf eine spürbare Vereinfachung der regulatorischen Anforderungen an die Finanzmarktteilnehmer (siehe ausführlicher dazu zweiter Fokus-Artikel in dieser Ausgabe).
Zweifel an Sinnhaftigkeit der Green Asset Ratio
Schließlich geht es in dem Schreiben um sehr konkrete Punkte. Zum Beispiel hegen die drei Ministerien erhebliche Zweifel daran, dass die Green Asset Ratio angesichts der Notwendigkeit von Transformationsfinanzierung eine hilfreiche Kennziffer sei – und fordern eine adäquate Adressierung von Klima- und Übergangsrisiken. Und mit Blick auf mikro- und makroprudenzielle Überwachung von Banken wird dafür geworben, stärker den Aspekt zu berücksichtigen, dass sich europäische Institute in einer globalen Konkurrenz mit Banken aus anderen Regionen behaupten müssen.
Albuquerque wird also, wenn sie es sich nicht gleich mit den drei wichtigsten Mitgliedern auf Ratsseite verderben möchte, den bisherigen Regulierungsansatz insofern korrigieren müssen, als dass sie nicht mehr Finanzstabilität und Anlegerschutz ins Zentrum rückt, sondern der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Finanzdienstleister mehr Berücksichtigung schenkt.
Dies allerdings dürfte sie ohnehin vorhaben. Denn in eine ähnliche Richtung weist der „Mission Letter“ der EU-Kommissionspräsidentin. Und da man davon ausgehen darf, dass die designierten Kommissare und Kommissarinnen bei der Formulierung dieser Schreiben eingebunden waren, spricht vieles dafür, dass Albuquerque der Wettbewerbsfähigkeit ohnehin einen höheren Stellenwert beimessen will.
Verhältnismäßigkeit und Wettbewerbsfähigkeit
Im „Mission Letter“ wird unter anderem direkt auf den Dragi-Bericht Bezug genommen, der ja das Thema adressiert, wie Europa wieder wettbewerbsfähig werden kann. Auch wird darin das Instrument einer neuen Prüfung von Gesetzesinitiativen anhand des Kriteriums der Wettbewerbsfähigkeit mittelständischer Unternehmen erwähnt. Albuquerque solle, so heißt es im Schreiben, „sicherstellen, dass die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Subsidiarität und der besseren Rechtsetzung beachtet werden.“ Und sie solle die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzsektors gewährleisten.
Europäische Spar- und Investmentprodukte
An konkreten Aufforderungen enthält der Brief die Überlegung, einfache und günstige Spar- und Anlageprodukte auf EU-Ebene zu entwickeln. Ein besonderes Interesse gilt der Prüfung von EU-Vorgaben, die bislang womöglich der Wachstumsfinanzierung von Start-ups im Wege stehen. An dieser Stelle wird deutlich, dass die EU-Kommission vor allem bei der Finanzierung der zweiten und dritten Phase neu gegründeter Firmen Defizite entdeckt. Weitere Maßnahmen sollen geprüft werden, die die Verfügbarkeit von Wagnis- und anderem Risikokapital begünstigen können. Die Bankenbilanzen sollen durch die Wiederbelebung des Verbriefungsmarkts entlastet werden – eine Forderung, die auch im Schreiben der drei Ministerien enthalten ist. Und schließlich, und wenig überraschend, wird Albuquerque aufgefordert, die seit 2015 vorgeschlagene einheitliche europäische Einlagensicherung mindestens einen Schritt nach vorne zu bringen.
Schließlich enthält der „Mission Letter“ auch eine kleine Knobelaufgabe. Börsen, Zentrale Gegenparteien und Verwahrstellen dürfen darüber rätseln, warum von der Leyen explizit den Wunsch an die vorgeschlagene Finanzmarkt-Kommissarin richtet, „Hindernisse für die Konsolidierung von Börsen und nachbörslichen Infrastrukturen zu beseitigen.“