Krisen als willkommenen Weckruf verstehen
Not macht erfinderisch“, heißt es. Kein Wunder also, dass manche Unternehmen in der Krise über sich hinauswachsen. Je größer der Druck, desto höher die Veränderungsbereitschaft – schlicht weil oft erst dann die Notwendigkeit eingesehen wird. Etwa, dass jetzt etwas passieren muss, um im Wettbewerb zu bestehen und wirtschaftlich zu überleben. Geschäftsmodelle und Strategien werden angepasst, Altes aufgegeben, schon lange dringend nötige Veränderungen vorgenommen, Denkverbote aufgehoben. Corona- und Energiekrise, Lieferkettenstress und Klimawandel erfordern es, Energie zu mobilisieren, Reserven anzuzapfen und den Aufbruch zu wagen.
Und es lohnt sich. Denn innovative Unternehmen kommen besser durch Krisen und streichen weniger Jobs, wie zahlreiche Studien – zuletzt auch während der Corona-Pandemie – gezeigt haben. Nach der Krise können sie zudem schneller durchstarten mit ihren neuen Produkten, effizienteren Prozessen, nachjustierten Geschäftsmodellen und neu erworbenen sowie bei der Stange gehaltenen Kunden und Mitarbeitern. Denn auch die Organisation muss sich zukunftsfest machen mit flacheren Hierarchien, schnelleren und zielgerichteteren Informationen, flexibleren Arbeitszeitmodellen und einem stärkeren Fokus auf die Mitarbeiterentwicklung. Im Kampf um die besten Talente darf lebenslanges Lernen keine Floskel bleiben, Veränderungen auf allen Ebenen und in allen Bereichen sollten mehr geschätzt als gefürchtet und der Wandel als Chance begriffen werden.
Das ZEW schließt aus einer Analyse früherer Krisen, dass sich die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) insgesamt prozyklisch entwickeln, also in Rezessionen heruntergefahren werden – entweder aus Liquiditätsnöten oder wegen der unsicheren Zukunftsaussichten. Allerdings hätten in der globalen Finanzkrise 2007/2008 immerhin ein Drittel der deutschen Unternehmen ihre Innovationsausgaben erhöht. Eine Erklärung dafür ist laut ZEW, dass die Opportunitätskosten von F&E und Innovationsaktivitäten in Form entgangener Gewinne in der Rezession aufgrund der Nachfrageausfälle deutlich geringer sind als in der Hochkonjunktur.
Zu Beginn der Coronakrise, so zeigen KfW-Umfragen, haben insbesondere Unternehmen mit starken Umsatzeinbußen auf Produkt-, Prozess- oder Geschäftsmodellinnovationen gesetzt. Wobei Firmen, die F&E ohnehin permanent betreiben, in der Krise eher am Ball bleiben oder noch mehr machen als ohnehin. Dem Bundesbericht Forschung und Innovation zufolge haben Staat, Wirtschaft und Hochschulen 2020 zusammen 105,9 Mrd. Euro in F&E gesteckt – im Rekordjahr 2019 waren es noch 110 Mrd. Euro. Im EU-weiten Vergleich gehört Deutschland mit einer F&E-Quote von 3,12% der Wirtschaftsleistung dennoch zu den führenden Ländern.
Während Innovationen laut KfW noch wesentliche Maßnahmen der Krisenbewältigung in der ersten Coronawelle 2020 waren, hat sich die Entwicklung nun aber gedreht: 2021 hat der Mittelstand, Rückgrat der deutschen Wirtschaft, die Innovationsaktivitäten zurückgefahren. Ausnahme ist die Digitalisierung – ein Bereich, in dem Deutschland hinterherhinkt. Allerdings sind in der Krise die finanziellen Mittel knapp, die Finanzierungsmöglichkeiten eingeschränkt. Das zeigt das Dilemma, das eine Krise mit sich bringt: Während zu Beginn vor allem kurzfristig umsetzbare Maßnahmen ergriffen werden, die sich direkt in der Ertragslage zeigen, werden umfangreiche und länger laufende Projekte zeitlich gestreckt – oder eingestellt.
Zukunftsinvestitionen zu unterlassen kann sich aber kein Unternehmen – und auch keine Volkswirtschaft – auf Dauer leisten, selbst wenn Investitionen in eine höhere Krisenfestigkeit vordringlich erscheinen. Geplatzte Spekulationsblasen haben zwar Krisen nach sich gezogen, doch oft die finanziellen Mittel umgelenkt, um Basisinnovationen in der Breite durchzusetzen. Krisen, so zeigt die Geschichte, sind ebenso wie Aufschwünge wesentlicher Bestandteil der wirtschaftlichen Entwicklung. Innovation bedeutet stets auch Zerstörung und Scheitern vorheriger Angebots- und Arbeitsmodelle. In der Gesamtschau, so erklärt es etwa der Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe, hätten in Umstellungskrisen die allermeisten Menschen neue produktive Beschäftigungsfelder gefunden, Einkommens- und Konsumniveau seien gestiegen.
Auch Neugründungen können trotz oder gerade in der Krise reüssieren. Eine ähnliche Ausgangslage wie jetzt gab es zuletzt 2008/2009. Trotz der globalen Finanzkrise sind damals etwa Uber, Whatsapp, Getyourguide und Airbnb gestartet und haben sich dank innovativer Geschäftsmodelle durchgesetzt. Ansatzpunkt für die Gründer sind meist Fragen wie: Welches Problem ist dermaßen eklatant, dass es selbst in der Krise gelöst werden muss? Welche Probleme hat die Krise erst hervorgebracht oder für welche Probleme sind schon lange neue Lösungen fällig? Derzeit sind die Bereiche Digitalisierung, Klimaneutralität, E-Commerce, Bildung und Gesundheit am erfolgversprechendsten. Allerdings, so mahnen Volkswirte der Deutschen Bank, gelte schon heute, dass nach zehn Jahren nur noch eines von zehn Start-ups existiere. Davon sollte man sich aber nicht ins Bockshorn jagen lassen, denn Innovationen ziehen oft weitere nach sich – oder es lässt sich mit ihnen zumindest Geld verdienen, um andere Innovationen zu realisieren. Insofern wäre eine neue Fehlerkultur angebracht: Von all den Methoden, die oft scheinbar blindlings aus den USA übernommen werden, wäre eine solche ein sinnvoller Import, der Innovationen gleichfalls fördern könnte. Ein gutes Risikomanagement vorausgesetzt, ist Scheitern kein Weltuntergang – gute Ideen in der Schublade verrotten zu lassen, hingegen schon.