Reparaturen am deutsch-französischen Motor
Cuvée de l’Amitié“ heißt der weiße Biowein, den zwei Winzer aus dem Elsass und aus Baden zu einem besonderen Anlass herausbringen wollen. Rechtzeitig zum Jubiläum des Élysée-Vertrags am 22. Januar 2023 haben sie ihren „Freundschaftscuvée“ abgefüllt. Auf den Tag genau 60 Jahre ist es dann her, dass Präsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer jenes Abkommen unterzeichneten, mit dem die einstigen Erzfeinde Deutschland und Frankreich 18 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges den Grundstein für eine enge Zusammenarbeit legten. Seitdem gilt das deutsch-französische Paar als Motor Europas. Doch der ist ins Stottern geraten.
Es gab jedenfalls schon bessere Zeiten in den Beziehungen zwischen den beiden größten Volkswirtschaften Europas. Als der für Ende Oktober geplante deutsch-französische Ministerrat kurzfristig auf einen zunächst unklaren Termin vertagt wurde – inzwischen ist der 22. Januar bestätigt –, reagierten französische Medien alarmiert. Die Absage des seit 2003 mindestens einmal pro Jahr stattfindenden Treffens hat die Spannungen zwischen beiden Ländern offen zu Tage treten lassen. Paris war irritiert, dass Bundeskanzler Olaf Scholz seinen „Doppelwumms“ gegen die Energiekrise ohne vorherige Konsultation seines engsten europäischen Partners ankündigte. Ebenso wenig versteht man in Frankreich, dass Deutschland in Verteidigungsfragen eine enge Nähe mit den USA und weniger mit Frankreich pflegt und dass Berlin auf russisches Gas sowie die Abkehr von der Atomkraft gesetzt hat. „Es hat sich einiges aufgestaut“, beobachtet der Politikwissenschaftler Stefan Seidendorf, stellvertretender Direktor des deutsch-französischen Instituts in Ludwigsburg.
Seidendorf ist ins Zweifeln gekommen, ob für Berlin das Sonderverhältnis zu Frankreich noch gilt. Er macht das etwa daran fest, dass die Bundesregierungen sowohl in den vergangenen Jahren unter Angela Merkel (CDU) als auch nun unter Scholz (SPD) eine Antwort auf Emmanuel Macrons Visionen für Europa schuldig geblieben sind. Scholz hat in Grundsatzreden zur „Zeitenwende“ in Europa Frankreich kaum erwähnt. Auch sonst sei Berlin oftmals „ungeschickt“ aufgetreten, findet Seidendorf. Er erinnert daran, dass Scholz ein Treffen der Regierungschefs aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig abgesagt habe, am Abend aber im TV sein voluminöses Hilfspaket für die Wirtschaft vorstellte – von dem Paris nichts wusste.
Es gibt also reichlich Klärungsbedarf zwischen den Hauptstädten. Neben dem deutsch-französischen Ministerrat dürfte sich auch die deutsch-französische parlamentarische Versammlung mit den Themen beschäftigen. Ihr Treffen steht ebenfalls Ende Januar an. Statt zum Jubiläum des deutsch-französischen Abkommens neue große Vorhaben anzukündigen, täten Berlin und Paris gut daran, bereits angekündigte Projekte etwa im Verteidigungsbereich voranzutreiben, meinen Kenner der Thematik. Berlin und Paris müssten die deutsch-französische Freundschaft ständig pflegen, statt alle paar Jahre große Ankündigungen zu machen.
Kanzler Scholz habe das inzwischen verstanden, meint Seidendorf. Er registriert große Betriebsamkeit hinter den Kulissen. In Berlin ist man bemüht, den deutsch-französischen Motor zu reparieren – um am 22. Januar in Harmonie anstoßen zu können.