Wie Nachhaltigkeitskriterien den M&A-Markt befeuern
Wie Nachhaltigkeitskriterien den M&A-Markt befeuern
Einfluss auf Unternehmensbewertungen und Finanzierungen – Absicherung in Kaufverträgen – Chance für nachhaltige Wertsteigerungen
Von Dr. Nikolas Zirngibl *)
Die Weltwirtschaft hat in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Verschiebung hin zu mehr Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung erlebt. Diese Veränderung spiegelt sich auch in der Welt der Unternehmenskäufe wider, wo Umwelt, Soziales und Unternehmensführung, kurz ESG, eine immer wichtigere Rolle spielen und zunehmend auch über Erfolg und Misserfolg von M&A-Transaktionen bestimmen. ESG-Kriterien wirken sich auf Unternehmensbewertungen, Transaktionsfinanzierungen sowie das künftige Wachstumspotenzial von Unternehmen aus und haben Transaktionsprozesse und -verhandlungen verändert.
ESG als Treiber
ESG-Kriterien beeinflussen die M&A-Strategie von Unternehmen und Investoren aus zwei wesentlichen Gründen. Zum einen haben sich rechtliche Anforderungen und das regulatorische Umfeld im Hinblick auf ESG-Themen verändert und erfordern eine Veränderung der unternehmerischen Ausrichtung. Zum anderen begründen ESG-Themen eine hohe gesellschaftliche Erwartungshaltung bei Anlegern und dem Kapitalmarkt, bei Kunden und Mitarbeitern. Die Kombination all dieser Faktoren führt dazu, dass Unternehmen ihre M&A-Strategie an ESG-Themen ausrichten.
Einfluss auf Unternehmensbewertungen und Finanzierungen
Besonders deutlich wird dies in der Energieindustrie: Viele institutionelle Anleger, z. B. Versicherungen und Pensionsfonds, reduzieren Investitionen in Unternehmen, die fossile Brennstoffe fördern. Dies hat die Investitionslandschaft für Öl-, Gas- und Kohleunternehmen verändert. Viele Energieunternehmen investieren verstärkt in erneuerbare Energien. Die Automobilindustrie erfährt eine ähnliche Disruption mit dem Wandel weg von Verbrennermotoren hin zu Elektro- und hybriden Antriebsformen. Das Investitionsverhalten eingesessener Automobilkonzerne fokussiert sich heute auf Technologiepartnerschaften zur Batterieentwicklung, Kooperationen zur Errichtung von Ladeinfrastruktur bis hin zu Investitionen in neue Mobilitätsformen (z. B. Drohnen).
ESG-Bedenken haben andere Unternehmen dazu veranlasst, Geschäftspraktiken einzustellen oder zu verändern, auf den Einsatz bestimmter gefährlicher Chemikalien zu verzichten oder sich aus umstrittenen Regionen zurückzuziehen. Auch Investitionen in Geschäftsbereiche, die nicht als ESG-konform angesehen werden, wie z. B. die Tabak- oder Waffenindustrie, sind rückläufig.
Frühere Bewertung unzureichend
Herkömmlich werden Unternehmen aufgrund von Finanzkennzahlen bewertet und Kaufpreise für Unternehmen aus deren Substanzwert oder künftiger Ertragskraft ermittelt. Zunehmend wirken sich ESG-Faktoren direkt auf Unternehmensbewertungen und damit auch Kaufpreise aus. Käufer bringen identifizierte ESG-Risiken, z. B. Umweltbelastungen oder Bußgeldrisiken aufgrund von Compliance-Verletzungen, entweder direkt kaufpreismindernd zum Abzug oder sichern sich vertraglich ab, dass diese vom Verkäufer zu tragen sind.
Unternehmen, die hohe Umweltstandards einhalten, gelten als weniger anfällig für Umweltstrafen, Klagen und Reputationsschäden und stehen für eine bessere operative Performance und höhere Rentabilität. Käufer erwarten bei einer guten ESG-Aufstellung zudem Wettbewerbsvorteile aufgrund einer höheren Attraktivität für Kunden und Mitarbeiter.
ESG-Due-Diligence
Die ESG-Performance eines Unternehmens beeinflusst auch die Transaktionsfinanzierung. Da Investoren, insbesondere institutionelle Anleger, immer mehr Wert auf ESG-Kriterien legen, können Unternehmen, die in diesen Bereichen gut abschneiden, zu günstigeren Konditionen Kapital aufnehmen. Unternehmen können auch sogenannte grüne Anleihen (Green Bonds) begeben, um Transaktionen zu finanzieren. Verschiedene Banken bieten Kredite an, bei denen die Zinssätze an ESG-Ziele gebunden sind.
Käufer führen vor einem Unternehmenskauf im Rahmen einer Due Diligence eine Prüfung des Zielunternehmens durch. Die Due Diligence dient dem Ziel, potenzielle Risiken zu identifizieren. Aufgrund deren hoher Bedeutung für den künftigen Erfolg eines Unternehmens müssen ESG-Themen heute umfassend im Rahmen der Due Diligence berücksichtigt werden. Die ESG-Due-Diligence darf dabei kein isolierter Prozess sein, sondern muss eng in den sonstigen Due-Diligence-Prozess integriert werden. ESG-Risiken und -Chancen variieren je nach Branche.
Umweltrisiken und Soziales
Sofern ein Unternehmen anfällig für Umweltrisiken ist, sollte eine entsprechende Umwelt-Due-Diligence durchgeführt werden. Diese kann von einer Vor-Ort-Begehung, Prüfung von Unterlagen und Einsichtnahme in das Schadstoffregister bis hin zu technischen Boden-, Grundwasser- oder Luftuntersuchungen reichen, um Kontaminationen oder andere Umweltbelastungen festzustellen.
Im Mittelpunkt der Due Diligence zur Prüfung der Einhaltung sozialer Standards stehen arbeitsrechtliche Anforderungen, etwa Arbeitszeiten und Mindestlöhne, nicht nur in Deutschland, sondern auch in internationalen Lieferketten, nicht zuletzt wegen steigender Anforderungen aufgrund des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) und der europäischen Lieferkettenrichtlinie (CSDDD).
Im Rahmen der Governance Due Diligence werden Organisationsabläufe der Binnenorganisation eines Unternehmens analysiert, vor allem aber allgemeine Compliance-Strukturen. Die Due Diligence steht dabei in direktem Bezug zum Kaufvertrag: Wurde im Rahmen der Due Diligence ein konkreter, betragsmäßig feststehender Schaden (z. B. ein erhobenes Bußgeld wegen einer Schadstoffemission) identifiziert, kann ein Käufer diesen direkt vom Kaufpreis zum Abzug bringen.
Absicherung von ESG-Risiken in Unternehmenskaufverträgen
Zur Absicherung abstrakter Risiken (etwa der Abwesenheit unbekannter Umweltschäden) lässt sich ein Käufer typischerweise vom Verkäufer entsprechende Garantien geben: Während Garantien zu ESG-Themen früher eher kurz und allgemein gehalten waren, werden diese heute umfassender und konkreter. Hat die Due Diligence ein Risiko identifiziert, ist jedoch die Schadenshöhe noch unklar, können Käufer und Verkäufer eine Freistellung vereinbaren, nach welcher der Verkäufer dem Käufer den Schaden ersetzt, wenn er sich realisiert.
In dem verkäuferfreundlichen Marktumfeld der letzten Jahre hat sich durchgesetzt, dass Verkäufer für fahrlässige Garantieverletzungen selbst nicht haften, sondern der Käufer sich hierfür mit einer Warranty-&-Indemnity(W&I)-Versicherung schützt. Diese Versicherungen decken in der Regel finanzielle Verluste ab, die durch Verletzungen der vom Verkäufer abgegebenen Garantien entstehen. Grundsätzlich erfordern W&I-Versicherer zu den Themenbereichen, für die sie den Versicherungsschutz übernehmen, eine umfassende Due-Diligence-Prüfung. Viele Versicherungspolicen sehen spezifische Ausschlüsse für ESG-Themen vor, z. B. Haftung für Umwelt-Altlasten. Allerdings reagieren auch W&I-Versicherer auf die veränderten Anforderungen des Marktes und bieten Deckung für ESG-Themen an.
ESG und Post-Merger-Integration
Der Erfolg einer M&A-Transaktion hängt maßgeblich von der Post-Merger-Integration (PMI) ab. Die ESG-Praktiken der beteiligten Unternehmen sind im Rahmen der Integration aufeinander abzustimmen. Aufsatzpunkt ist die Due Diligence: Identifizierte Risiken können im Rahmen der PMI adressiert werden. Die ESG-Due-Diligence bleibt dabei ein fortlaufender Prozess, da sich Unternehmen und ihre Umweltbedingungen sowie Erwartungen und Standards in Bezug auf ESG ständig ändern.
Auch nach Abschluss der Transaktion müssen ESG-Standards kontinuierlich überwacht werden. Zu einer üblichen ESG-Integration gehören ein klarer ESG-Integrationsplan, regelmäßige Schulungen für Mitarbeiter und die Überwachung bestimmter ESG-KPIs. Je erfolgreicher Unternehmen ESG-Faktoren effektiv in die PMI einbinden, desto besser lassen sich potenzielle Risiken mindern und langfristige Wertsteigerungen erzielen.
Beitrag zu mehr M&A-Aktivität
Ein verändertes gesellschaftliches Bewusstsein für ESG-Themen und erhöhte diesbezügliche regulatorische Anforderungen haben auch die M&A-Welt verändert. Unternehmenskäufer und -verkäufer haben sich darauf eingestellt und begreifen ESG als Chance, nachhaltige Wertsteigerungen zu erzielen. ESG-Themen und die dadurch bedingte Disruption in vielen Industriezweigen werden deshalb auch zu einer weiter steigenden M&A-Aktivität beitragen.