Schnellere Zahlungsströme

Bei Azhos stimmt die Chemie

Das Fintech Azhos hat eine Lösung entwickelt, mit der sich die Zahlungsströme innerhalb von Lieferketten der chemischen Industrie erheblich beschleunigen lassen sollen. Dabei setzt das junge Unternehmen auf eine Kombination aus Sensorik und Blockchain – und hat schon prominente Partner an Bord.

Bei Azhos stimmt die Chemie

Von Alex Wehnert, Frankfurt

Sie fließen stetig und umfangreich, aber nur äußerst langsam: Zahlungen in der chemischen Industrie. Grund dafür ist der geringe Grad an Automatisierung innerhalb der verzweigten Lieferketten, der insbesondere bei Schüttgütern zu einer aufwendigen Inventur und langen Zeitspannen zwischen Lieferung und Rechnungsstellung führt – was sich im Cash-flow niederschlägt. Zudem bindet es Zeit und Ressourcen, Mitarbeiter zu beschäftigen, die Daten zu 100 Prozessschritten ins Buchhaltungssystem eintragen müssen.

Genau diese Problematik will das 2018 gegründete Fintech Azhos mithilfe von Distributed-Ledger-Technologie und Telemetrie-Daten lösen. Ziel ist die sogenannte end-to-end-integrierte Lieferkette. Heißt: Vom Silo, in dem Schüttgüter gelagert werden, über die Auftragsgenerierung und Zwischenfinanzierung bis zur Abrechnung und Zahlung laufen alle Schritte in einem automatisierten Prozess ab. „Einziger Schritt, bei dem ein Mensch eingreifen muss, ist die regulatorisch vorgeschriebene Bestätigung eines Bezahlvorgangs via Zwei-Faktor-Authentifizierung“, sagt Tony Oehm, CEO von Azhos.

Erhebliche Zeitersparnis

Am Beginn dieses Prozesses stehen sensible Sensoren, die in den Silos der Chemiekonzerne angebracht sind und jede Materialentnahme und -Beigabe punktgenau aufzeichnen. Bisher läuft die Inventur vielerorts langsamer ab, wie sich an der Verwaltung sogenannter Konsignationslager zeigt. Solche befinden sich am Kundenstandort, werden aber vom Zulieferer bewirtschaftet. Weil der Kunde nach entnommener Menge zahlt, muss der Zulieferer regelmäßig physisch die Bestände aufnehmen – in der Regel geschieht dies laut Oehm alle zwei Monate. „Es herrscht also bis zu 60 Tage lang Unklarheit über die planbaren Einnahmen, zugleich haben die Zulieferer hohe Kapitalkosten“, sagt der CEO. Hinzu komme, dass Rechnungen in der Regel mit einem Zahlungsziel von im Durchschnitt 67 Tagen, im Extremfall aber 120 Tagen versehen seien. Sensorik biete also die Möglichkeit zu erheblicher Zeitersparnis – zumal diese auch ein Signal senden, wenn zu wenig Material im Silo ist und somit automatisch neue Lieferungen auslösen können. „So lässt sich Leerlauf verhindern“, führt Oehm aus.

Telemetrie ist an sich noch keine Innovation, in Kombination mit Distributed-Ledger-Technologien entsteht aber eine neue Dienstleistung. Denn die Sensoren von Azhos speisen die erfassten Daten automatisch in eine private Blockchain ein. Über diese dezentrale Datenbank, die an die Buchhaltungssysteme der Unternehmen angeschlossen ist, werden die entnommenen Mengen bei allen Gliedern der Lieferkette gleichzeitig gespeichert. Manipulation ist äußerst schwierig möglich, da alle Blockchain-Teilnehmer wechselseitig kontrollieren können, ob die Datenlage – und damit auch die Chemie – stimmt. Auf Basis der eingespeisten Daten werden dann Rechnungen generiert und ein Zahlungsprozess angestoßen. An diesem verdient Azhos über eine Beteiligung an den Transaktionskosten Geld.

Banken als Partner

Aus Sicht des Fintechs sind dabei die Zulieferer die primäre Kundengruppe. Zwar profitiert auch der Abnehmer von schlankeren Lieferprozessen – hat aber per se noch kein Interesse daran, Forderungen möglichst schnell zu begleichen. Es muss also eine Finanzierungslösung her, weshalb Azhos auch Banken an sein System anbindet. „Bisher gestaltet sich Factoring für Schüttgüter allein schon nach den Basel-III-Kriterien schwierig“, sagt Oehm. Denn laut der Regulierung dürften Banken nicht quantifizierbare Güter nur mit Risikoaufschlägen finanzieren.

Die Liefermengen von Schüttgütern zu quantifizieren, sei aber aufwendig: So müsse jeder Lastwagen oder Bahnwaggon sowohl beim Zulieferer als auch beim Abnehmer gewogen und mit einzelnen Lieferscheinen versehen werden, die Banken dann prüfen müssten. „Die Prozesskosten sind sowohl für die Unternehmen als auch für die Banken meist höher als die Einsparung respektive der Erlös über die Finanzierung“, führt Oehm aus. Die Sensorik und die Speicherung der Daten lösten das Problem der Intransparenz. Auch für die Banken sei die Partizipation lukrativ, schließlich seien Chemiezulieferer bereit, ihren Kunden bei Sofortzahlung 2 bis 4% Skonto zu gewähren – folglich sei davon auszugehen, dass im Ankauf der Forderungen hohe Margen steckten. Auch Azhos will über eine Kommission an den Erlösen aus der Forderungsfinanzierung mitverdienen.

In anderen Industriezweigen ist Factoring gängige Praxis. Allerdings haben verschiedene Anbieter zuletzt negative Schlagzeilen geschrieben. Dazu zählt der deutsche Finanzdienstleister Grenke, dem Leerverkäufer unlautere Geschäftspraktiken und Bilanzungereimtheiten vorgeworfen haben. Wenngleich die Baden-Badener einige Vorwürfe entkräften konnten, laufen noch Sonderprüfungen, Zwischenberichte werfen scharfe Kritik auf. Jüngst geriet mit der Greensill Bank ein weiterer Factoring-Dienstleister in Schieflage. Als junges Fintech dürfte Azhos darauf angewiesen sein, seine Lösung bei seriösen Kreditinstituten anzudocken, um nicht unverschuldet Imageschäden davonzutragen.

CEO Oehm will jedenfalls Seriosität vermitteln. Den Firmensitz Liechtenstein habe das Fintech nicht aus steuerlichen Gründen gewählt, sondern weil dort die Blockchain-Regulierung weltweit am weitesten sei. „Azhos ist kein typisches Start-up, das mit einer Idee begonnen, dafür Geld eingesammelt und erst Jahre später gewusst hat, ob sich seine Lösung überhaupt am Markt verkauft“, betont Oehm. Im Gegenteil sei das Fintech aus dem Mittelständler Orbit Logistics, einem Dienstleister mit Fokus auf Order-Automatisierungen, hervorgegangen.

Das zwölfköpfige Azhos-Team bestehe zu großen Teilen aus Orbit-Mitarbeitern, die Prozesse und Kunden bereits kennen würden. Durch die Anbindung an Orbit könne Azhos zudem auf ein großes Netzwerk von Chemiepartnern zurückgreifen könne. Pilotprojekte hat das Fintech nach eigenen Angaben mit der 2019 aus dem Evonik-Konzern ausgegliederten Röhm GmbH und einem weiteren deutschen Chemiekonzern gestartet. Zudem profitiert Azhos vom Orbit-Telemetrienetzwerk. So hat der Mittelständler laut Oehm weltweit 6000 bis 7000 Sensoren installiert und tracke pro Jahr Güter im Volumen von knapp 10 Mill. Tonnen und einem Gesamtwarenwert von 45 bis 50 Mrd. Dollar. „Gleichzeitig unsere Technologie zu skalieren und ein Netzwerk aus Hardware-Sensoren aufzubauen wäre für uns nicht möglich gewesen“, sagt Oehm. Diese Infrastrukturanforderungen schützten das Fintech zugleich vor Nachahmern.

Nicht nur hinsichtlich der Hardware, sondern auch für die Zahlungsabwicklung hat sich Azhos einen starken Partner gesucht. So hat das Blockchain-Start-up mit der Landesbank Baden-Württemberg eine Entwicklungspartnerschaft für die Anbindung der Zahlungsabwicklung geschlossen. Im Rahmen dieser soll die Möglichkeit geschaffen werden, DLT-Netzwerke mit dem SEPA-Zahlungsverkehr zu verknüpfen. Durch die entstehende Plattform will Azhos den Prozess- und Personalaufwand für die Kunden deutlich reduzieren. Laut Oehm soll es bis zum Sommer erste Ergebnisse hinsichtlich der technischen Umsetzbarkeit geben. Funktioniert alles, könnte also schon im laufenden Jahr eine Revolution in der Spezialchemie ins Rollen kommen.

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