Dezentrale Wirtschaft

Blockchain tritt die Revolution der Maschinen los

Die Blockchain-Technologie bildet das Fundament der Zukunftswirtschaft. Doch bereits heute gibt es zahlreiche Anwendungsbeispiele, unter anderem im Maschinenbau und Finanzwesen.

Blockchain tritt die Revolution der Maschinen los

Von Alex Wehnert, Frankfurt

Die Revolution der Maschinen hat begonnen. In Österreich sind zum Beispiel Traktoren des Herstellers Lindner unterwegs, die während des Betriebs ihre Nutzungsdaten aufzeichnen und nach getaner Arbeit gewissermaßen selbst abrechnen können. Dafür kommen hochsensible Sensoren zum Einsatz, die jede Bewegung der Landwirtschaftsmaschine erfassen und die Daten direkt in das Cloud-Interface des Kölner Start-ups Cash on Ledger einspeisen. Dort werden auf dieser Basis dann in einem voll automatisierten Prozess Forderungen und tagesaktuelle Rechnungen an den Landwirt erstellt, der den Traktor nutzt, und die Abrechnung zugleich ins Enterprise-Resource-Planning-System der Lindner Traktorenwerke eingespeist.

Solche Pay-per-Use-Modelle sind auch bei vielen anderen Anbietern aus unterschiedlichen Bereichen in Arbeit, künftig könnten Druck-, Industrie- oder Werkzeugmaschinen ebenfalls auf diese Weise funktionieren. „Hersteller wie DMG Mori wissen oftmals gar nicht, wie häufig und unter welchen Bedingungen ihre Dreh- und Fräsmaschinen gelaufen sind, wenn sie diese vom Kunden zurückerhalten“, sagt Michael Geike, Vorstand der Investmentgesellschaft Advanced Blockchain AG, die auch Inkubatoren für die Fintech-Branche betreibt. Neben dem Einsatz von Telemetrie böten auch Blockchains Lösungen für dieses Problem.

Mehr als nur Bitcoin

Diese Form der Distributed-Ledger-Technologien ist vor allem als technische Basis für Kryptowährungen wie Bitcoin und Ether bekannt, doch ihr Potenzial ist weitaus größer. Sie stellt, so ist eine wachsende Anzahl an Experten überzeugt, das Fundament für die Wirtschaft der Zukunft dar. Auch die Unternehmen selbst gelangen inzwischen verstärkt zu dieser Erkenntnis, wie der „Global Blockchain Survey“ der Beratungsgesellschaft Deloitte aufzeigt. Gaben im Jahr 2018 noch 43% der befragten Unternehmen an, Blockchain-Technologien gehörten für sie zu den fünf größten Prioritäten, waren es im vergangenen Jahr bereits 55% – bei deutlich gestiegener Teilnehmerzahl der Umfrage. Der Anteil der Unternehmen, die Blockchain für irrelevant halten, halbierte sich im gleichen Zeitraum von 4% auf 2%.

Insbesondere dem Ethereum-Netzwerk kommt in der Blockchain-Wirtschaft bereits jetzt eine entscheidende Rolle zu. Denn dieses kann im Gegensatz zur Bitcoin-Blockchain mit sogenannten Smart Contracts, also Computerprotokollen, die Verträge abbilden sowie Transaktionen automatisiert und dezentral ausführen können, beschrieben werden. Somit lassen sich über Ethereum, aber auch andere Smart-Contract-fähige Blockchains nicht nur Nutzungsdaten von Maschinen und Rechnungen bei allen Teilnehmern der Wertschöpfungskette gleichzeitig fälschungssicher abspeichern und in die jeweils verwendeten Buchhaltungssysteme eingliedern, sondern auch gleich die entsprechenden Zahlungen abwickeln. Und auch die Wartung der Maschinen kann automatisiert angestoßen werden.

Effizientere Finanzierung

Laut Geike bieten Pay-per-Use-Modelle auf Blockchain-Basis zudem die Möglichkeit, die Finanzierung für landwirtschaftlich oder industriell genutzte Maschinen effizienter zu gestalten. Gerade in Pandemiezeiten, in denen viele Firmen unklaren Zukunftsaussichten gegenüberstehen, erscheinen rigide Finanzierungsverträge über fünf oder zehn Jahre oftmals nicht mehr praktikabel. Ein rudimentäres Pay-per-Use-Modell, bei dem der Nutzer seine Maschine nur nach Einsatz bezahle, ist laut Serkan Katilmis, CEO des deutschen Pioniers Cash on Ledger, allerdings auch nicht attraktiv. Ein derartiger Ansatz berge für den Produzenten den Nachteil, dass er seine Bilanz aufblähe: Die Maschine bleibe in den Büchern, gegenrechenbar seien nur die Erträge aus der Gerätenutzung des Abnehmers.

„Die Lösung für dieses Problem besteht darin, dass eine Finanzierung durch einen Investor, zum Beispiel eine Bank, eine Private-Equity-Gesellschaft oder ein Family Office, erfolgt“, sagte Katilmis im vergangenen Jahr im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Dieser Investor könne sich auf seine Anlage Renditen sichern oder das Risiko aus den Leasingforderungen in Form besicherter Wertpapiere an den Kapitalmarkt weiterreichen. Zugleich bekomme der Hersteller die Maschine aus der Bilanz und der Nutzer spare Kosten. Auch andere Dienstleistungen wie eine Versicherung – ein Maschinenbruch kann insbesondere bei der Nutzung im Gelände immer drohen – lassen sich direkt in Pay-per-Use-Modelle auf Blockchain-Basis einbinden.

In Branchen außerhalb des Maschinenbaus besteht laut Geike noch Unsicherheit darüber, wie die Kerndienstleistungen als Open-Source-Modelle zur Verfügung gestellt werden könnten, ohne das eigene Geschäftsmodell zu untergraben. „Zwar lässt sich die Buchhaltungssoftware von SAP beispielsweise an Blockchain-Modelle anknüpfen, dezentralisiert ist das Angebot damit aber noch lange nicht“, sagt der Experte. Dennoch sei es positiv, dass sich große Konzerne bereits mit DLT auseinandersetzten und realisierten, welche Chancen Blockchain-Lösungen für sie eröffneten.

Gelegenheiten bestehen nicht nur in der Produktoptimierung, sondern auch unternehmensintern. Laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom unter Firmen ab 50 Beschäftigten setzt sich der mit 73% der größte Anteil in der Finanzabteilung, der Buchhaltung und dem Controlling mit Blockchains auseinander. Bei möglichen Mehrfachnennungen belegten die Bereiche Logistik, Lager und Versand Platz 2.

Wettbewerb demokratisiert

Tatsächlich kommt Blockchain bereits bei der Automatisierung ganzer Lieferketten zum Einsatz. So können Logistikunternehmen und ihre Kunden durch den Einsatz von Blockchain-Technologie laut Geike präziser nachvollziehen, wo sich ein Gut befinde, als es bisher der Fall sei – und auch die Zahlungsabwicklung zwischen Zulieferer und Abnehmer lasse sich so effizienter gestalten. „Zudem schafft DLT einen freieren Wettbewerb innerhalb von Lieferketten, da die Kriterien für die Auftragsvergabe klarer einsehbar werden. Bisher funktioniert diese häufig über bestehende Beziehungen, durch Dezentralisierung dürften sich die objektiv besten Angebote hingegen häufiger durchsetzen“, sagt Geike. Dies komme auch den Kunden zugute, die außerdem die Qualität von Produkten durch die Dokumentation des Herstellungsprozesses über die Blockchain besser nachvollziehen könnten. Bei Lederwaren könnten Algorithmen beispielsweise abbilden, unter welchen Bedingungen die Tiere gehalten worden seien, deren Häute der Produzent genutzt habe.

Ein weiteres Anwendungsbeispiel stellen die Lieferketten der chemischen Industrie dar, die bisher einen geringen Grad an Automatisierung aufweisen. Insbesondere bei schwierig quantifizierbaren Schüttgütern führt dies zu einer aufwendigen Inventur und langen Zeitspannen zwischen Lieferung und Rechnungsstellung – was sich im Cash-flow niederschlägt. Zudem bindet es Zeit und Ressourcen, Mitarbeiter zu beschäftigen, die Daten zu hunderten Prozessschritten ins Buchhaltungssystem eintragen müssen.

Genau diese Problematik will das 2018 gegründete Fintech Azhos lösen. Ziel ist die sogenannte end-to-end-integrierte Lieferkette. Heißt: Vom Silo, in dem Schüttgüter gelagert werden, über die Auftragsgenerierung und Zwischenfinanzierung bis zur Abrechnung und Zahlung laufen alle Schritte in einem automatisierten Prozess ab. „Einziger Schritt, bei dem ein Mensch eingreifen muss, ist die regulatorisch vorgeschriebene Bestätigung eines Bezahlvorgangs via Zwei-Faktor-Authentifizierung“, sagt Tony Oehm, CEO des Start-ups.

Wie Cash on Ledger setzt Azhos dabei auf sensible Sensoren, die in den Silos der Chemiekonzerne angebracht sind und jede Materialentnahme und -beigabe punktgenau aufzeichnen, was bei der Inventur eine erhebliche Zeitersparnis ermöglicht. Die Sensoren von Azhos speisen die erfassten Daten in eine private Blockchain ein. Über diese werden die entnommenen Mengen bei allen Gliedern der Lieferkette gleichzeitig gespeichert. Manipulation ist äußerst schwierig möglich, da alle Blockchain-Teilnehmer wechselseitig kontrollieren können, ob die Datenlage stimmt. Auf Basis der eingespeisten Daten werden dann Rechnungen generiert und ein Zahlungsprozess angestoßen. An diesem verdient Azhos über eine Beteiligung an den Transaktionskosten Geld.

Zudem hat auch das in Liechtenstein ansässige Unternehmen eine Finanzierungslösung in seine Dienstleistung eingebunden. Bisher ist ein Factoring für Schüttgüter laut Oehm aufgrund der mangelnden Quantifizierbarkeit nach den Kriterien der Basel-III-Regulierung schwierig. Die Sensorik und die Speicherung der Daten auf der Blockchain lösten allerdings das Problem der Intransparenz. Auch für die Banken sei die Partizipation lukrativ, schließlich seien Chemiezulieferer bereit, ihren Kunden bei Sofortzahlung 2 bis 4% Skonto zu gewähren – folglich sei davon auszugehen, dass im Ankauf der Forderungen hohe Margen steckten. Auch Azhos will über eine Kommission an den Erlösen aus der Forderungsfinanzierung mitverdienen.

Wachstumstrend DeFi

Neben der Lieferkettenoptimierung gibt es noch zahlreiche mögliche Anwendungen für Blockchains, zum Beispiel bei der Speicherung von Patientendaten im Medizinsektor und der Vernetzung von Ladesäulen für die Elektromobilität. Am stärksten kommen DLT laut Advanced-Blockchain-Chef Geike aber vorläufig im Finanzsektor zum Tragen. „Durch die Blockchain können nicht nur Informationen, sondern tatsächliche digitale Assets in Echtzeit von A nach B verschoben werden, die Produktinnovation in diesem Bereich schreitet rasant voran“, führt er aus. Das Trendthema des dezentralisierten Finanzwesens (DeFi) biete gewaltiges Wachstumspotenzial. Der Grundgedanke hinter DeFi besteht darin, auf zentrale Intermediäre wie Börsenmakler und Banken zu verzichten und stattdessen eine offene, transparente und nutzergeführte Finanzinfrastruktur zu schaffen.

Smart Contracts mit DeFi-Bezug sind im laufenden Jahr gewaltige Mittel zugeflossen, der Großteil der Computerprotokolle wird bisher über Ethereum abgewickelt. „Ethereum besitzt einen klaren First-Mover-Advantage, außerdem entwickeln viele gute Programmierer das Netzwerk ständig weiter“, urteilt Geike. Deshalb werde es auch langfristig eine große Rolle für den DeFi-Trend spielen – allerdings lägen die größten Zukunftschancen in der Interaktion zwischen verschiedenen Blockchains.

Wer bisher auf anderen Blockchains unterwegs gewesen sei und mit Ethereum habe kommunizieren wollen, habe eine Brücke bauen müssen. Dies sei aufwendig und fehleranfällig gewesen. „Mittlerweile verfügbare Systeme wie Polkadot und Cosmos sind genau darauf ausgelegt, verschiedene Blockchains miteinander zu verknüpfen und Assets zwischen ihnen austauschbar zu machen“, sagt Geike. Neben der Revolution der Maschinen hat also auch die Revolution des Handels am Finanzmarkt begonnen.

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