EZB vor historischer Sitzung
Von Mark Schrörs, Frankfurt
Die Europäische Zentralbank (EZB) steht am Donnerstag vor einer historischen Sitzung: Erstmals seit elf Jahren wird der EZB-Rat um EZB-Chefin Christine Lagarde die Leitzinsen anheben. Das hat er bei der zurückliegenden Sitzung im Juni in Amsterdam angekündigt. Konkret dürften die Leitzinsen um jeweils 25 Basispunkte steigen. Derzeit liegt der Hauptrefinanzierungssatz bei 0%, der Einlagensatz sogar unter null, bei −0,5%. Eine Anhebung gleich um 50 Basispunkte halten viele Beobachter nicht für ganz ausgeschlossen – aber für sehr unwahrscheinlich.
Hintergrund für die Entscheidung ist die Rekordinflation, die bei 8,6% liegt und damit mehr als vier Mal so hoch ist wie das mittelfristige EZB-Inflationsziel von 2%. Zudem ziehen die Inflationserwartungen an und nehmen die Sorgen vor einer gefährlichen Lohn-Preis-Spirale zu. Die EZB steckt dabei aber in einem Dilemma, denn zugleich sind die Konjunktursorgen deutlich gewachsen. Für beides ist der Ukraine-Krieg ganz entscheidend: Einerseits befeuert er über steigende Energiepreise die Inflation zusätzlich. Andererseits dämpft er die wirtschaftliche Aktivität vor allem in Europa. Sollte Russland den Gashahn ganz zudrehen, gilt eine Rezession als ausgemacht.
Als wäre die Lage nicht schon kompliziert genug, ist zu Wochenbeginn der Euro zum Dollar erstmals seit fast 20 Jahren auf die Parität gefallen, also auf ein Verhältnis von 1:1. Die EZB hat zwar kein Wechselkursziel. Allerdings hat der EZB-Rat den Wechselkurs stets genau im Blick. Aktuell gilt das wohl mehr denn je: Der schwache Euro verteuert Importe und befeuert so die Inflation. Im Vergleich dazu dürfte der eher positive Einfluss auf die Exportchancen der Wirtschaft vernachlässigbar sein.
Grund für die Euro-Schwäche ist neben den konjunkturellen Risiken für die Euro-Wirtschaft die Tatsache, dass die EZB bei Zinserhöhungen sehr viel zaghafter ist als andere. Die US-Notenbank Fed hat seit Jahresbeginn ihren Leitzins um insgesamt 150 Basispunkte angehoben und steuert auf weitere kräftige Zinserhöhungen zu. In den USA gilt das Inflationsproblem als noch akuter. Allerdings wächst auch in Euroland die Kritik am Zögern der EZB.
Neben der Zinsanhebung nächste Woche hatte der EZB-Rat im Juni bereits einen weiteren Zinsschritt für September angekündigt, dann vermutlich um 50 Basispunkte. Zudem avisierte er für die Zeit danach weitere Erhöhungen. Wie weit es mit den EZB-Leitzinsen nach oben geht, ist aber unklar und im EZB-Rat durchaus umstritten. Die Hardliner („Falken“) drängen wegen der Inflationsgefahr auf deutliche Zinsschritte. Die „Tauben“ mahnen zur Vorsicht.
Fast noch umstrittener ist das neue „Antifragmentierungsinstrument“, das der EZB-Rat kurz nach der Amsterdam-Sitzung in einer Krisensitzung in Aussicht gestellt hatte – wegen der zuvor stark gestiegenen Euro-Anleiherenditen und -spreads. Damit soll ein Auseinanderdriften der Euro-Länder verhindert werden. Konkret geht es um Unterstützung für hoch verschuldete Länder wie Italien. Vor allem die EZB-Oberen aus der Peripherie dringen auf ein mächtiges Instrument. Andere wie Bundesbankchef Joachim Nagel warnen und sehen hohe Hürden für ein Eingreifen.