IM INTERVIEW: MAXIMILIAN KUNKEL, UBS

"2018 werden wir den Hochpunkt sehen"

Chief Investment Officer für Deutschland und Österreich rechnet beim Gewinnwachstum von Unternehmen im nächsten Jahr mit einer Normalisierung

"2018 werden wir den Hochpunkt sehen"

– Herr Kunkel, ich würde gern mit einem Blick auf die Geldpolitik starten. Zwar sind inzwischen sowohl die Europäische Zentralbank als auch die Federal Reserve auf dem Straffungspfad unterwegs. Während die EZB jedoch sehr vorsichtig handelt, gibt es Sorgen über ein zu forsches Vorgehen der Fed. Wie übersetzt sich dieses Bild derzeit auf die Kapitalmärkte?Wenn ich einen Schritt zurückgehen darf und wir uns das grundsätzliche Umfeld im Vergleich zu 2017 ansehen, so sehen wir als einzige Konstante ein weiterhin überdurchschnittliches Wachstum. Anders ist, dass sich die Inflation, die vergangenes Jahr noch stark durch technische Faktoren zurückgehalten wurde, nun normalisiert. Wir sind bei der Inflation in etwa auf einem 20-Jahres-Schnitt in den USA und einem 15-Jahres-Schnitt in Europa. Mit der langsamen Normalisierung bei der Inflation in der Eurozone benötigen wir auch eine langsame Normalisierung der Geldpolitik. – Wie äußert sich das an den Aktienmärkten?An den Aktienmärkten bekommen wir mit der graduellen Normalisierung der Geldpolitik auch eine graduelle Normalisierung der Bewertungen. Und das bedeutet, dass das Wachstum der Unternehmensgewinne weiterhin schneller ausfallen wird, als die Börsenkurse dies zum Ausdruck bringen. Wir haben das in diesem Jahr auch schon gesehen: Trotz eines global starken Gewinnwachstums haben die Börsen in diesem Jahr tendenziell noch nicht viel gemacht. In den Jahren zuvor hatten wir immer eine Situation steigender Gewinne und Bewertungen, weil es die Liquiditätsschwemme gab. Und nun bereitet sich der Markt darauf vor, dass wir erstmals seit langer Zeit ab dem vierten Quartal keine zusätzliche Liquidität mehr haben werden. Unserer Meinung nach ist deshalb weiterhin ein gutes Umfeld gegeben, um global in Aktien investiert zu sein. Aber die Renditeerwartungen kommen runter.- Welche Rolle spielen politische Faktoren wie die populistische Regierung in Italien oder der von der Trump-Regierung losgetretene Handelskonflikt?Politische Störgeräusche werden immer wieder dazu führen, dass wir gerade auf lokaler Ebene auch Bewegungen nach unten sehen werden. Aber diese sind limitiert, weil die Bewertungen ab einem gewissen Punkt wieder attraktiv sind, gerade angesichts des Gewinnwachstums.- Welche Auswirkungen hat in diesem Szenario die divergierende Haltung von EZB und Fed?Wir sind in der Eurozone mit dem Wirtschaftszyklus drei bis vier Jahre hinter den USA. Das ist am einfachsten am Kreditwachstum zu sehen. In den USA wurde es schon im Jahr 2011 wieder positiv, während es in der Eurozone erst ab 2015 so weit war. Die EZB kommt also mit einer Zeitverschiebung von drei bis vier Jahren nach der Fed – angefangen von der Kommunikation des Einstiegs in den Ausstieg, weitergeführt durch das Ende der quantitativen Lockerungsmaßnahmen und dann, das erwarten wir erst im nächsten Jahr, die ersten Zinserhöhungen.- Der Markt ist für den ersten Zinsschritt der EZB auf Mitte 2019 eingestellt. Was ist Ihre Erwartung?Wir gehen davon aus, dass wir im September 2019 die erste Zinserhöhung der EZB sehen werden, aber nur in sehr behutsamen Schritten von 10 Basispunkten beim Einlagensatz. Erst wenn dieser bei null liegt, was wir für 2020 erwarten, können wir davon ausgehen, dass die anderen Sätze – insbesondere der Leitzins – langsam, aber sicher über null gehen werden. Die Implikation daraus ist die Frage, ob die EZB und eng mit ihr verbundene Notenbanken wie die der Schweiz überhaupt genügend Aufbauarbeit beim Zins leisten können, um in der nächsten größeren Krise reagieren zu können. Das erscheint uns relativ unwahrscheinlich.- Müsste die EZB also im nächsten Konjunkturabschwung sofort wieder ein Programm der quantitativen Lockerung auflegen?Höchstwahrscheinlich ja. Und höchstwahrscheinlich wird die nächste Krise eine andere Form erhalten. Sie wird eher eine stagflatorische Krise sein, also eine Kombination aus einer stagnierenden Wirtschaft und hoher Inflation.- Hat die Fed sich solch einen Puffer aufgebaut, nachdem der Leitzins auf der Oberseite nun wieder die 2-Prozent-Marke erreicht hat?Die Fed hat wenigstens etwas an Puffer aufgebaut. Sie hat sicher nicht den gleichen Puffer wie in vorigen Jahrzehnten, als sie beim Abrutschen der US-Wirtschaft in die Rezession ihre Zinsen um 2 bis 4 Prozentpunkte senken konnte. Wir gehen wie der Markt davon aus, dass wir dieses Jahr noch zwei und nächstes Jahr drei Zinserhöhungen um jeweils 25 Basispunkte sehen werden.- Sollte die EZB im September 2019 die Zinsen anheben, so würde deren Präsident Mario Draghi noch vor dem Ende seiner Amtszeit die Zinswende geschafft haben. Als möglicher Nachfolger gilt Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. Kann man von ihm eine Beschleunigung des Zinserhöhungspfades erwarten?Ja. Die EZB hat in ihrem jüngsten Kommuniqué die Datenabhängigkeit betont, womit wir eine Angleichung an die Fed sehen würden. Solange die Daten dafür sprechen, werden wir bei Zinsen eine raschere Entwicklung sehen.- Sie sprachen schon davon, global in Aktien investiert zu bleiben. Was spricht neben den Bewertungen dafür?Wichtig ist, dass wir weiterhin solides und breites Wachstum auf globaler Ebene und auf Ebene der Unternehmen haben. Ein Großteil der entwickelten Volkswirtschaften wächst über Potenzial. In der Eurozone liegt dies bei 1,5 %, wir erwarten aber trotz eines schwachen ersten Quartals für dieses Jahr ein Wachstum von 2,2 %. In den USA sehen wir, auch fiskalisch getrieben, eine Beschleunigung des Wachstums, und in den Schwellenländern sieht es auch gut aus. Auf der anderen Seite beobachten wir ein starkes Wachstum der Unternehmensgewinne, wir werden in diesem Jahr wie 2017 ein zweistelliges Gewinnwachstum haben. Auf der anderen Seite sind die Analysten, die zum Jahresbeginn oft zu optimistisch sind, wieder in einer Situation wie im vergangenen Jahr, nämlich dass sie nicht optimistisch genug sind. Wir haben 2018 bislang 23 Wochen gesehen, in denen die Analysten ihre Gewinnprognosen global nach oben revidieren mussten. In einer Phase erhöhter Bewertungen an den Aktienmärkten müssen sie auf zwei Dinge achten: Gewinnwachstum und Gewinnrevisionen, weil diese Auswirkungen auf die Bewertungen haben. Wenn sich beides wie derzeit positiv entwickelt, sollte man auch global investiert sein. Nachhaltiger wird das Ganze dadurch, dass die Gewinnsteigerungen von Umsatzwachstum und nicht – wie lange Zeit vor allem in den USA – von Kostensenkungen getrieben werden.- Für welchen Zeitraum gilt dies?Das gilt für dieses und nächstes Jahr. 2018 werden wir den Hochpunkt sehen beim Gewinnwachstum, für 2019 erwarten wir eine Rückkehr zum langfristigen Durchschnitt. Konkretes Beispiel für die USA: Wir gehen für das Gesamtjahr 2018 von einem Gewinnwachstum von 19 %, für 2019 von 6 % aus, was aber im historischen Kontext absolut okay ist.- Ist der starke Anstieg ein Einmaleffekt der Steuersenkungen in den USA?Die Steuersenkung allein bringt sicher 6 bis 7 % zusätzlich. In den übrigen 12 % sind Effekte enthalten wie höhere Energiepreise. Wir sehen weiterhin eine Beschleunigung in Finanztiteln und weiterhin sehr starke Gewinne aus dem Technologiesektor. Wir gehen hier aber davon aus, dass viele Einmaleffekte im nächsten Jahr reduziert sein werden, wenn wir beispielsweise an Energie denken. – Wie stellen Sie sich vor diesem Hintergrund in Ihrem Portfolio auf?Wir sind global in Aktien übergewichtet. Wir haben also eine Situation, in der wir gar nicht auf einzelne Regionen verstärkt setzen, wie wir dies in der Vergangenheit getan hätten. Der Aufschwung und das Unternehmensgewinnwachstum sind so breit abgestützt, dass wir mehr Chancen als Risiken sehen in einer globalen Übergewichtung anstatt der Auswahl einzelner Regionen, weil der Mix es ausmacht. Ein anderer Grund für die globale Übergewichtung ist, dass wir über alle Anlageklassen hinweg eine Situation erhöhter Bewertungen haben. In diesem Kontext ist ein Risiko immer wieder auf lokaler politischer Ebene zu sehen. Wir versuchen diese lokalen Risiken durch eine globale Allokation zu minimieren. Denken Sie an die jüngste Entwicklung in Italien, die vor allem dort am Aktienmarkt zu spüren war. – Was bedeutet für Sie global bei Aktien?Das ist der MSCI World inklusive der Schwellenländer. Das ist auch nicht ganz perfekt, weil wichtige Regionen wie China noch nicht angemessen abgebildet werden. – Nach dem rosigen Ausblick: Wo sehen Sie die Risiken für die Märkte? Wie gefährlich ist der Handelskonflikt?Die Basis unserer positiven Erwartungen für Aktien ist solides bis sehr gutes Wachstum. Die Frage ist also, welche Elemente dieses Wachstum ins Schwanken bringen können. Die Handelsstreitigkeiten sind da sicherlich derzeit das Hauptthema. Aber vorweg: Wir befinden uns nicht in einem Handelskrieg. Der würde dann entstehen, wenn Handelspartner Zölle immer weiter gegenseitig erhöhen und am Ende das Handelsvolumen gemessen an der Wirtschaftsleistung fällt. Was stattfindet, ist eine Umverteilung von Handel. Zölle werden bislang hauptsächlich auf Produkte erhoben, welche die jeweiligen Handelspartner jeweils von anderen Handelspartnern erhalten können. So wird China weniger Sojabohnen aus den USA, aber dafür mehr aus Südamerika einführen. Und wir werden mehr Whisky aus Schottland statt Whiskey aus den USA zu uns nehmen. Das hat aber sehr geringe Auswirkungen auf das Szenario eines positiven Wachstums wie auch der Inflation. Es hat auch keinen Einfluss auf die großen Unternehmen und deren Gewinne.- Warum reagieren die Aktienmärkte dann teils so heftig auf Nachrichten zu dieser Thematik?Wir haben von beiden Seiten eine viel aggressivere Rhetorik gehört. Und wenn alle möglichen Szenarien tatsächlich implementiert würden, dann wäre das sehr negativ. Dann würden Konsumgüter in den USA teurer. Man muss sich aber fragen, ob Präsident Donald Trump und die Republikaner vor den Zwischenwahlen im November Corporate America und die Verbraucher gegen sich haben wollen. – Aber Populismus kann ja schnell aus dem Ruder laufen.Wir erwarten, dass es Verhandlungen geben wird mit einem guten Ergebnis noch vor den Zwischenwahlen. Dies ist aber eines der Kernrisiken, die wir beachten.- Gehört zu den Kernrisiken auch eine Rückkehr der Euro-Krise?Das ist eines der größeren Risiken neben protektionistischen Entwicklungen, aber nicht das größte Risiko. Von Italien sehen wir allerdings, zumindest auf kurze Sicht, kein nachhaltiges Risiko für die globalen Finanzmärkte. Italien wird unserer Meinung nach nicht aus der Eurozone austreten. Die Kosten dafür wären viel zu hoch, aber viel wichtiger ist, dass die italienische Bevölkerung allen Umfragen zufolge gar nicht aus der Eurozone austreten möchte. Natürlich gibt es eine gewisse Skepsis gegenüber der EU, aber die gibt es wahrscheinlich in der gesamten EU. Was wir in Italien sehen werden, ist, dass diese etwas unkonforme Koalition viele Diskussionen mit anderen Mitgliedern der EU über ihre fiskalpolitischen Überlegungen haben wird. Aber solange das Wachstum solide ist – und auch Italien wächst deutlich über Potenzial -, sehen wir keine Eskalation hin zu einem Euro-Austritt. Es wird aber ein Risiko geben, wenn sich das globale Wachstum abschwächt.- Sie sprachen von einem noch größeren Risiko. Um was handelt es sich?Das ist eine Überhitzung des US-Arbeitsmarktes. Beim Beginn der letzten fünf Bärenmärkte in den USA lag in vier Fällen die Arbeitslosenquote unter Vollbeschäftigung. Arbeitnehmer bekommen plötzlich wieder Preismacht, und das bei rund 60 % Personalkostenanteil an den Gesamtkosten der Unternehmen. Das bringt die Margen und die Unternehmensgewinne unter Druck. Dann würde die Fed wohl erkennen, dass sie ihr duales Mandat aus Vollbeschäftigung und Preisniveaustabilität bereits übererfüllt hat und entsprechend restriktiver agieren muss. Die Kernfrage ist allerdings: Wo liegt Vollbeschäftigung? Und die Antwort weiß niemand. Die Fed spricht bei einer Arbeitslosenquote von 4,6 % von Vollbeschäftigung, geht für den Rest des Jahres aber von einer Quote von unter 4 % aus. Wir müssen wohl eher auf die Entwicklung des Lohnwachstums schauen, also auf die Entwicklung der monatlichen durchschnittlichen Stundenlöhne achten. Wir haben in den vergangenen Monaten Werte von 2,6 bis 2,7 % gesehen, was heißt, dass die Lohnstückkosten nicht übermäßig steigen und die Verbraucher gleichzeitig etwas mehr Geld für Konsumausgaben haben. Kritisch wird es unserer Meinung nach bei einem nachhaltigen Lohnanstieg von mehr als 3,5 %. – Könnte ein starker Lohnanstieg in den USA nicht auch dem Populismus von Präsident Trump den Wind aus den Segeln nehmen?Dieses Thema hat sich über einen sehr langen Zeitraum etabliert und wird sich nur aufgrund einer positiven Entwicklung am Arbeitsmarkt nicht schnell wieder egalisieren. Die Schere zwischen denjenigen, die Kapital haben und dies auch investieren, und denjenigen, die bestenfalls Schulden abgebaut haben, hat sich weit geöffnet – in den USA , aber zum Teil auch in der Eurozone. Eine Überhitzung des US-Arbeitsmarktes brächte allerdings auch eine positive Konnotation mit sich: Zum Ende des Bullenmarktes käme es zu einem Exzess – und Bullenmärkte enden meist mit Exzessen. Für Anleger sind die letzten Jahre eines Bullenmarktes, zusammen mit dem ersten Jahr, meist die profitabelsten.- Was wären für Anleger die Signale zum Ausstieg aus dem Aktienmarkt?Die entscheidende Frage ist, ob ich es schaffe, sechs Monate vor dem nächsten starken Abschwung in den USA herauszugehen aus dem Aktienmarkt, denn diese Monate tun sehr weh im Portfolio. Typischerweise gibt es vier Kriterien: exzessive Bewertungen, Überinvestitionen, starke Verringerung der Marktbreite, massive Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen für Unternehmen wie Investoren. Wir sehen bei diesen Indikatoren derzeit alles in allem noch keine Warnzeichen. – Wie bereitet man sich als Investor auf einen Ausstieg vor?Wir versuchen in unseren Portfolien einige gegenzyklische Positionen aufzubauen und sind seit einiger Zeit in zehnjährigen US-Staatsanleihen übergewichtet. Das ist eine Versicherung, die knapp 3 % zahlt und sich in einer holprigen Phase gut entwickelt. Ein anderes Beispiel ist eine Übergewichtung im Yen gegenüber dem Dollar. Der Yen ist weiterhin massiv unterbewertet gegenüber dem Dollar und sollte als sicherer Hafen agieren etwa bei negativen Auswirkungen des Handelsstreits auf das Wachstum. Eine andere Möglichkeit ist, dass man die Volatilität ausnutzt und damit die Volatilität in seinem eigenen Portfolio senkt, zum Beispiel durch das systematische Verkaufen von Call- oder Put-Optionen. Das bringt über eine längere Zeit eine ähnliche Rendite, als ob man im Markt bleibt, aber in einem Marktumfeld, wie wir es derzeit haben – Normalisierung der Volatilität und herunterkommende Renditen – sogar die besten Resultate.- Der klassische Ausstieg aus Aktien wäre der Umstieg auf Anleihen. Scheidet das für Sie aus?Wir müssen darüber nachdenken, aus was wir eigentlich aussteigen. Cash ist keine wettbewerbsfähige Vermögensklasse und wird es in naher Zukunft auch nicht sein. Deshalb ist eine breite Diversifikation vielleicht noch wertvoller als in früheren Endphasen von Bullenmärkten.- Von den 3 % bei US-Staatsanleihen bleibt für den Euro-Anleger nach Währungssicherung kaum etwas übrig.Wir bedienen ja nicht nur europäische Kunden, aber aus europäischer Sicht gibt man mit einer Währungssicherung die 3 % auf, hat aber eine Absicherung im Portfolio, die nichts kostet. – Warum sollte der europäische Kunde nicht einfach eine zehnjährige Bundesanleihe kaufen?Auf gar keinen Fall. Wir schätzen das Risiko viel höher ein, dass die zehnjährigen Bundesanleihen sich sowohl im Basis- als auch im Risikoszenario bei der Rendite nach oben entwickeln – in einem Umfeld, in dem wir nicht davon ausgehen, dass die Eurozone implodiert. Die Rendite wird nicht bei 0,4 bis 0,5 % bleiben, wenn wir in Deutschland eine Inflationsrate von über 2 % haben. —-Das Interview führte Stefan Schaaf.