SERIE: ANLAGETHEMA IM BRENNPUNKT (14)

Aktienbewertung zwischen Inflationshoffnung und Inflationsangst

Börsen-Zeitung, 21.4.2018 Das Konjunkturwachstum ist solide, mit Wachstumsraten auf oder über dem Vorjahresniveau. Dennoch hat sich das Marktumfeld seit Jahresanfang stark gewandelt: Das in 2017 vorherrschende außergewöhnlich gute Umfeld mit...

Aktienbewertung zwischen Inflationshoffnung und Inflationsangst

Das Konjunkturwachstum ist solide, mit Wachstumsraten auf oder über dem Vorjahresniveau. Dennoch hat sich das Marktumfeld seit Jahresanfang stark gewandelt: Das in 2017 vorherrschende außergewöhnlich gute Umfeld mit zunehmender Konjunkturbeschleunigung, positiven Wachstumsüberraschungen und ohne Inflationsbefürchtungen ist beendet. Sowohl Inflationsüberraschungen als auch Wachstumsenttäuschungen haben zugenommen. So ging nach den unerwartet starken amerikanischen Lohninflationsdaten von Anfang Februar das Inflationsgespenst um und es herrschte Zinsangst an den Kapitalmärkten. Die Suchhäufigkeit des Begriffes “US Inflation” stieg bei Google im Februar auf den höchsten Stand seit 2008. Es wurden Befürchtungen geschürt, dass die amerikanische Zentralbank die Geldpolitik erheblich stärker straffen könnte als bisher erwartet. Zuletzt dämpften zwar moderatere Inflationsdaten, schwächere Wirtschaftsdaten und politische Unsicherheit die Zinsängste. Diese dürften über kurz oder lang aber wieder erstarken. Die Märkte haben sich unzweifelhaft dem Punkt genähert, an dem die positive Hoffnung auf Inflation in Angst vor zu viel Inflation kippen könnte. Gestiegene Anleiherenditen, geringere Aktienmarktbewertungen und erhöhte Volatilität sind Spiegelbild dieser Unsicherheit.Was bedeutet das für Aktien und deren Bewertung? Die Beziehung zwischen Inflationserwartungen und den nominalen Anleiherenditen auf der einen und der Aktienbewertung auf der anderen Seite wird von Anlegern kontrovers diskutiert. Das klassische Argument lautet: Da die Inflation zu steigenden Anleiherenditen führt, muss das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von Aktien sinken – die Gewinn- oder Dividendenrendite von Aktien muss steigen, um den relativen Attraktivitätsverlust gegenüber Anleihen auszugleichen. Mit anderen Worten: Da künftige Dividenden, Gewinne oder Cashflows mit einem höheren risikofreien Zinssatz abgezinst werden, nimmt der Barwert dieses Ertragsstroms ab. Auf den ersten Blick scheint diese Meinung mit dem auf der Formel nach Gordon basierenden Dividendenwachstumsmodell vereinbar. Auf Basis diese Modells ergibt sich das KGV als das Verhältnis aus der Auszahlungsquote im Zähler und des risikofreien Zinses plus der Aktien-Risikoprämie abzüglich der Wachstumsrate im Nenner. Bei steigendem risikofreiem Zins steigt daher ceteris paribus der Nenner und folglich sinkt das KGV.Doch der Inflationsanstieg sollte auch zu einem höheren nominalen Gewinnwachstum führen – eine Änderung der erwarteten Inflation sollte sich unmittelbar in einer entsprechenden Modifizierung des erwarteten Gewinnwachstums niederschlagen. Damit hebt sich der Effekt der Inflation im Dividendenwachstumsmodell augenscheinlich wieder auf. Die Inflation hätte demnach keine Auswirkungen auf die Aktienbewertung, sie ist somit lediglich eine Geldwertillusion – die Bewertung von Aktien als reale Vermögenswerte bleibt von ihr unbeeinflusst.Diese Schlussfolgerung scheint indes genauso falsch. Inflation und Inflationserwartungen wirken sich durchaus auf die Bewertung von Aktien aus. Erstens, die Inflation der Faktorkosten ist in der Regel der Verbraucherpreisinflation zeitlich voraus. Steigt die Inflation der Faktorkosten, dauert es zunächst eine Weile, bis diese Entwicklung auch in den Umsätzen und den Gewinnen ihren Niederschlag findet. Deshalb kommt es anfänglich häufig zunächst zu Margendruck. Zweitens, Inflationserwartungen beeinflussen das reale Wachstum und die von Aktienmarktanlegern geforderte Risikoprämie. Zum einen erreicht das Realwachstum in einem Niedriginflationsumfeld sein höchstes Niveau. Eine steigende Inflationserwartung hemmt das Wachstum. In diesem Umfeld investieren Anleger in Gold oder Immobilien statt in Produktivvermögen und die Zentralbanken straffen die Geldpolitik, so dass das reale Wachstum sinkt. Allerdings bricht das reale Wachstum in einem deflationären Umfeld tendenziell ebenfalls ein, da Konsum- und Investitionsentscheidungen aufgeschoben werden. Anstatt ihr Geld in Produktivvermögen zu investieren, legen die Menschen es lieber “unter die Matratze”. Zum anderen erreichen die Risikoprämien für Aktien in einem Niedriginflationsumfeld ihr niedrigstes Niveau. Mit anziehender Inflation tendieren sie aus zwei Gründen nach oben: Erstens sind die Wirtschaftszyklen in dieser Situation ausgeprägter und erratischer. Unternehmen können ihre Strategie nicht schnell genug anpassen, so dass die Gewinnvolatilität steigt. Zweitens hängt die geforderte Aktienrisikoprämie in einem gewissen Maße von der risikolosen nominellen Anleiherendite ab. Bei einer Anleiheverzinsung von 10 % sind Anleger nicht bereit, für zwei Prozentpunkte mehr das Risiko einer Aktienanlage einzugehen, vielmehr fordern sie eine Risikoprämie in Höhe von etwa fünf Prozentpunkten. Ein Zusammenhang bestehtAndererseits sind sie bei Anleiherenditen von 2 % für weitere zwei Prozentpunkte eher dazu bereit, Aktienrisiken einzugehen. Allerdings dürfte die Risikoprämie in einem Deflationsumfeld ebenfalls stark steigen, da Unternehmen dann über keinerlei Preisgestaltungsmacht mehr verfügen, kein Wachstum erzielen und die Verschuldung der Unternehmen belastet. Die Tatsache, dass sowohl die Aktienrisikoprämie als auch das reale Wachstum von der Inflation (bzw. den Inflationserwartungen) abhängen, deutet darauf hin, dass ein Zusammenhang zwischen der nominellen Anleiherendite und der Bewertung von Aktien besteht. Allerdings handelt es sich nicht um die üblicherweise angeführte Verbindung. Werden die beiden Abhängigkeiten indes in das Dividendenwachstumsmodell integriert, ergibt sich daraus die in der Grafik dargestellte Beziehung zwischen der Inflationserwartung und der Bewertung des Aktienmarktes. In einem Niedriginflationsumfeld ist die Aktienbewertung gewöhnlich am höchsten, denn sowohl das reale Wachstum ist am stärksten als auch die Aktienrisikoprämie am niedrigsten. Der Anstieg der Aktienbewertung seit Mitte 2016 war damit entsprechend gerechtfertigt, weil Deflationsängste ausgepreist wurden. Mit langfristigen US-Inflationserwartungen im Bereich 2 bis 2,5 % befinden wir uns aber aktuell nahe dem Punkt, an dem sich sowohl mehr als auch weniger Inflation negativ auf die Bewertung von Aktien auswirken sollte.Die Märkte dürften in den kommenden Monaten zwischen Inflationshoffnung und -angst hin- und herschwanken und dabei sensitiv auf die Veröffentlichung von Inflationsdaten reagieren. Die Unsicherheit bzgl. der Zentralbankpolitik und dem adäquaten Anleiherenditeniveau ist hoch. Wir erwarten aber nicht, dass sich die Konsumentenpreisinflation stark beschleunigt. Letztlich bleibt es ein weiter Weg von der Lohninflation zu steigenden Preisen von Endprodukten. Dies gilt insbesondere im aktuellen Umfeld steigender Produktivität, begrenzt anziehender Lohnstückkosten, fortschreitender Digitalisierung, hoher Preistransparenz und hoher Gewinnmargen der Unternehmen. Befürchtungen vor zu hohen Preissteigerungen dürften vorerst begrenzt bleiben, auch angesichts der sich nicht weiter beschleunigenden Konjunktur. Nichtsdestotrotz dürfte das Niedriginflationsumfeld schrittweise auslaufen, so dass der Hochpunkt der Aktienmarktbewertung in diesem Zyklus insbesondere in den USA bereits hinter uns liegen dürfte. Für eine weiterhin positive Entwicklung benötigen die Aktienmärkte damit den Rückenwind soliden Gewinnwachstums der Unternehmen – dieser ist aus unserer Sicht gegeben.