Anleger sorgen sich um Brasilien

Schwierige politische Zukunft - Währung unter anhaltendem Druck - Aktienmarkt gibt nach

Anleger sorgen sich um Brasilien

Die Anleger sorgen sich zunehmend wegen der unsicheren politischen Zukunft Brasiliens mit Blick auf die Wahlen im Oktober. Die Landeswährung Real steht unter anhaltendem Druck, so dass die Notenbank gegensteuern muss, und der Aktienindex Bovespa hat bereits deutlich nachgegeben. Von Andreas Fink, Buenos AiresTrotz des erheblichen Drucks auf die Landeswährung Real beschloss der Währungsausschuss der brasilianischen Zentralbank am Mittwoch, den Leitzins Selic weiter nicht anzutasten. Die Marke verharrt damit auf ihrem Allzeit-Tiefstwert von 6,5 %. Nach dieser einstimmig beschlossenen Maßnahme kommentierte das Gremium in einer Presseerklärung, dass die Auswirkungen des elftägigen Streiks der Transporteure Ende Mai die Konjunktur eingetrübt hätten. Vor der Kampfmaßnahme hätten die Indikatoren in den ersten vier Monaten des Jahres eine Zunahme der Aktivität angezeigt, nun könnten sich Folgeeffekte dieser zeitweisen Lähmung des Landes einstellen. Folgerichtig senkte die Zentralbank auch ihre Wachstumserwartungen. Vor Monatsfrist waren die von der Zentralbank eingeholten Schätzungen noch von einer Zunahme um 2 % ausgegangen, nun werden lediglich 1,8 % erwartet. Das ist der niedrigste Jahreswachstumswert, seit Präsident Michel Temer im Mai 2016 die Regierungsgeschäfte übernahm. Die Teuerung soll in diesem Jahr bei 3,9 % liegen, damit bliebe das Land wie schon 2017 unter dem Inflationsziel von 4,5 %.Nach dem Beginn der Währungsturbulenzen in den Emerging Markets infolge des ersten Zinsschrittes der US-Notenbank hatten Anleger im Mai auf eine Erhöhung des Leitzinses Selic gewettet. An der Börse von Sao Paulo waren darum die Zinsfutures in die Höhe geschossen. Doch Zentralbankdirektor Ilan Goldfajn zeigte den Spekulanten die kalte Schulter und erklärte rundheraus, dass er die Geldwertpolitik nicht antasten werde, um den Wechselkurs des Real zu kontrollieren. Wetten gegen den DollarStatt den Leitzins zu erhöhen, emittiert die Zentralbank unter Goldfajn Währungs-Swaps, also eine Art von Wetten gegen den Dollar, aufgelegt in der Landeswährung Real. Über 12 % seines Wertes gegenüber dem Dollar hat der Real seit Jahresbeginn verloren, damit ist er nach Argentiniens Peso die am zweitstärksten gefallene Währung Lateinamerikas. Insgesamt hat die Zentralbank Währungs-Swaps im Gegenwert von 63 Mrd. Dollar ausgegeben, meldet der brasilianische Dienst von Bloomberg. Allein in der vorigen Woche seien 26 Mrd. Dollar für diese Art der Stabilisierung aufgewendet worden. Am 14. Juni hatte ein Zen-tralbank-Sprecher erklärt, es bestünden keine Hindernisse, das Ausmaß der Swap-Emissionen im Vergleich zu früheren Kampagnen “erheblich zu erhöhen”. Während Brasiliens letzter Volatilitätsphase Anfang 2016 hatte Goldfajns Vorgänger Swaps im Wert von 115 Mrd. Dollar ausgestellt. Am Montag nun bekräftigte Finanzminister Eduardo Guardia, das Land verfüge über ausreichende Möglichkeiten auf den Märkten von Zins- und Währungsfutures. Tatsächlich betragen Brasiliens Währungsreserven etwa 380 Mrd. Dollar. Dennoch kommen Bedenken auf. Brasilianische Medien zitieren einen ungenannten Funktionär der Zen-tralbank, der warnt, die Notenbank könne unmöglich bis zum Wahltermin im Oktober Swaps im aktuellen Rhythmus emittieren. Darum wird spekuliert, dass die Zentralbank nun, nach der Beibehaltung des Leitzinssatzes, Dollar auf dem Spot-Markt verkaufen könnte, um den Real auf Kurs zu halten. Von Seiten der Zen-tralbank wird die Marktreaktion als übertrieben dargestellt angesichts der üppigen Reserven. Brasilien sei keineswegs mit Ländern wie Argentinien oder der Türkei gleichzusetzen. Die Anleger sind offensichtlich nicht so beruhigt. Der Bovespa-Index, der am 15. Mai noch bei über 85 000 Punkten gelegen hatte, war einen Monat später unter die 70 000-Marke gerutscht, zuletzt stieg er leicht auf etwas über 72 000. Und auch börsengehandelte Indexfonds lagen Ende Mai 19 % niedriger als vor einem Jahr. Das Unbehagen nährt sich vor allem aus dem komplexen politischen Szenario Brasiliens. Dass Michel Temer, mit nur etwa 4 % Zustimmung weiterhin der unbeliebteste Präsident der Landesgeschichte, den Streik der Transporteure durch eine – auf Kredit finanzierte – Kappung des Diesel-Preises bei der halbstaatlichen Erdölkompanie Petrobras beendete, veranlasste nicht nur den Rücktritt des angesehenen Petrobras-CEO Pedro Parente, sondern löste auch Furcht vor ähnlichen Interventionen in weiteren Branchen aus. Temer hatte in seinem ersten Regierungsjahr, gestützt auf eine breite Parlamentsmehrheit, einige wichtige Reformen durchsetzen können, etwa die Liberalisierung des Arbeitsrechtes. Allerdings ist diese Mehrheit zerbröselt, einerseits wegen ständig neuer Korruptionsvorwürfe gegen den Präsidenten, aber vor allem wegen der im Oktober angesetzten Wahlen von Präsidentschaft und Kongress. Weil viele Abgeordnete nicht gewillt waren, kurz vor dem Urnengang eine schmerzhafte Neuregelung des Rentensystems mit zu beschließen, bleibt die größte Belastung für die Staatsfinanzen weiter bestehen. Die Pensionen sind Hauptursache für die hohen Budgetdefizite der letzten Jahre. 2017 entsprach das Minus etwa 7,8 % des Bruttoinlandsprodukts. Dieses gigantische Problem wird also eine kommende Regierung in den Griff bekommen müssen. Aber immer noch zeichnet sich nicht ab, wer denn den Planalto-Palast am Neujahrstag übernehmen könnte. Der Kandidat mit den höchsten Zustimmungswerten ist der Ex-Präsident Lula da Silva. Nach dessen Verurteilung durch zwei Gerichtsinstanzen zu zwölf Jahren Haft ist es freilich schwer vorstellbar, dass die Wahlgerichtsbarkeit ihn doch noch partizipieren lässt. Irrlicht am rechten RandAber auch ohne eine Teilnahme des PT-Gründers sind die Aussichten wenig ermutigend. In den Umfragen führt der ehemalige Offizier Jair Bolsonaro, bislang ein unbedeutendes politisches Irrlicht am rechten Rand, der schon sieben Parteibücher besaß. Zweitgereiht ist der Altlinke Ciro Gomes. Und die derzeit stärkste Vertreterin des Zentrums ist die Grüne Marina Silva. Der Wunschkandidat von Wirtschaft und Industrie Gerardo Alckmin erzielt bislang nur einstimmige Zuspruchsraten. Er war bis vor kurzem der Gouverneur des stärksten und bevölkerungsreichsten Bundesstaates Sao Paulo. Wer sich auch immer durchsetzen sollte, wird mit einem extrem heterogenen Kongress regieren müssen. Für Anleger gibt es also gute Gründe zur Vorsicht.