Zinsmarktaussichten

„Auf dem Weg zur Normalisierung des Zins­umfeldes“

Investmentexperte Chris Iggo von Axa IM sieht das Zinsumfeld auf dem Weg zu einer Normalisierung. Die Diskrepanz zwischen Markterwartungen und Notenbankkommunikation berge dabei Risiken.

„Auf dem Weg zur Normalisierung des Zins­umfeldes“

kjo Frankfurt

Die Zentralbanken scheinen die Kontrolle über die Zinserwartungen verloren zu haben, oder sie stehen kurz davor, sie zu verlieren. Denn die Anzeichen verstärken sich, dass der Anstieg der Inflationsrisiken nach der Pandemie tiefgreifender sein könnte als noch vor einigen Monaten angenommen. Diese Einschätzung vertritt Chris Iggo, Chief Investment Officer (CIO) Core Investments bei Axa Investment Managers. Die Erwartung des Marktes, wo die kurzfristigen Zinsen in 18 Monaten stehen würden, sei an einer Reihe von Märkten seit Anfang September stark angestiegen. Die Anleiherenditen seien über das unmittelbare Niveau von vor der Pandemie geklettert. Zudem würden die Zinserwartungen in Europa und Großbritannien darauf hindeuten, dass die während der Pandemie getroffenen geldpolitischen Vorgaben bis Anfang 2023 vollständig zurückgenommen werden. „Wir befinden uns auf dem Weg zu einer Normalisierung des Zinsumfelds“, sagt Iggo.

Starre Inflation

Das Risiko bestehe darin, dass die Märkte die Zinserwartungen höher ansetzen, als es die Notenbanken signalisieren. Die Marktteilnehmer hätten kaum noch eine kollektive Erinnerung an die Reaktionen der Notenbanken auf eine höhere Inflation, weil diese viele Jahre lang von niedriger und starrer Inflation geprägt gewesen seien. „Jetzt, da die Teuerung ihren Höhepunkt erreicht, ist der bisherige Rahmen für die Festlegung der Zinserwartungen möglicherweise unzureichend. Es ist bemerkenswert, dass die Zentralbanker die Markterwartungen entweder erfolglos oder gar nicht versucht haben zu korrigieren. Es scheint fast so, als wollten die Notenbanken, dass der Markt ihre Arbeit für sie erledigt“, führt Iggo aus.

Die Heftigkeit der Bewegungen am kurzen Ende der Zinskurven habe einige Kollateralschäden verursacht. Die Renditekurven würden flacher, und die Kluft zwischen dem, was die Märkte hinsichtlich der Inflation kurz- und längerfristig einpreisen würden, habe sich vergrößert. Der Renditeabstand zwischen zehn- und zweijährigen US-Staatsanleihen ha­be sich bis Oktober um über 20 Basispunkte verringert. „Auch wenn man diese Entwicklungen nicht überdramatisieren sollte, so sind sie doch Ausdruck eines Rückgangs der Wachstums- und Inflationserwartungen am Markt“, so Iggo.

Warum das so sei, sei leicht nachvollziehbar. Ein Zins- und Energieschock werde die Haushaltseinkommen belasten. „Das ist ein Risiko für den Ausblick auf die kommenden ein bis zwei Jahre. Bislang haben die risikobehafteten Assetmärkte die Wachstumsangst jedoch nicht er­kannt“, so Iggo. Die Realzinsen seien negativ, und wenn viele Wirtschaftsakteure von einem höheren nomi­nalen Wachstum – Löhne – profitieren, sei der Anstieg der Lebenshaltungskosten vielleicht nicht so schlimm.

Doch die Zentralbanker könnten mit ihrer Inflationseinschätzung auch richtigliegen. „Wir sind zwar der Meinung, dass die Inflationsrate höher ausfallen wird als in den vergangenen Jahren. Die sehr hohen Werte der vergangenen Monate sind aber eher auf Basiseffekte und die mit Corona zusammenhängenden Lieferkettenengpässe zurückzuführen. Selbst der schockierend starke An­stieg des US-Beschäftigungskostenindex um 1,3% könnte zum Teil mit dem Ende des Zwangsurlaubs und der Hilfen für Arbeitslose zusammenhängen. Dies ist nicht unbedingt ein Dauerzustand“, führt der Experte weiter aus. Andernorts sei der Septemberwert des PCE Core Deflators (Inflationsindex der US-Notenbank) auf 0,2% im Monatsvergleich gesunken. Bleibe er dort, habe die Fed überzeugt. „Einige unserer Aktienfondsmanager sehen zudem eine Entspannung bei den Lieferkettenproblemen, insbesondere in Südostasien, und die Kosten für die Schifffahrt sind jüngst – gemessen am Baltic Freight Index – gefallen, ebenso wie die Preise für Kupfer und Erdgas“, so Iggo.

Auf den Zinsschock müssten die Zentralbanken reagieren. Sie hätten die Markterwartungen während der Pandemie sehr stabil gehalten. „Es war klar, dass der Ausstieg aus der Pandemie schwierig werden würde, doch die Erholung ist gefährdet, wenn die Märkte die Zinsen weiter in die Höhe treiben. Die Geldpolitik kann nichts an den Ölpreisen ändern. Was die Notenbanken jedoch tun können, ist, eine Botschaft zu senden, dass die Zinsen zwar steigen müssen, aber auf kontrollierte Weise und nicht so aggressiv, wie es einige Märkte nahelegen“, sagt der Kapitalmarktexperte. Wenn sie das tun könnten, werde das Risiko eines Marktabsturzes bei Anleihen und Aktien verringert.

Aktives Engagement nötig

Im Blick hat Iggo auch die Klima­aspekte. Investoren würden eine zentrale Rolle bei der Mobilisierung von Finanzmitteln zur Unterstützung von Unternehmen und Regierungen spielen, die einen Beitrag zu einer Netto-null-Zukunft leisten. Es müsse mehr getan werden. Der Index- und Ratinganbieter MSCI gehe davon aus, dass nur 10% der börsennotierten Unternehmen weltweit Pläne hätten, die mit einer Begrenzung des Temperaturanstiegs um 1,5 Grad vereinbar seien; beim 2-Grad-Ziel seien es nur 43%. „Wir müssen also weiterhin die Unternehmen unter ESG-Kriterien analysieren, aufhören, die schlimmsten Umweltverschmutzer zu finanzieren, und uns noch aktiver engagieren, um Firmen dazu zu bringen, das Richtige zu tun. Wir werden die Kontrolle vielleicht nicht zurückerlangen, aber wir können das Schlimmste verhindern“, so die Meinung von Iggo.