Pfund Sterling

Bank of England im Kreuzfeuer

Die altehrwürdige Bank of England befindet sich derzeit in einem Im Kreuzfeuer von hoher Inflation, ausgeprägter Rezession und zunehmendem Druck aus der britischen Politik.

Bank of England im Kreuzfeuer

Von Sonja Marten *)

Die Bank of England (BoE) ist eine der ältesten Zentralbanken der Welt. Gegründet wurde sie im Jahr 1694 zu Zeiten von König William III., ist also mittlerweile mehr als 325 Jahre alt. Politisch unabhängig wurde die BoE jedoch erst vor 25 Jahren, nachdem der Labour-Partei in den Wahlen am 1. Mai 1997 ein haushoher Sieg über die Konservativen unter John Major gelang. Seither hat sich die britische Zentralbank der Wahrung der Preisstabilität verschrieben. Ihr Inflationsziel liegt bei 2% mit einem Spielraum von 1–3%. Über- oder unterschreitet die Inflation diese Spanne, ist der Gouverneur der Zentralbank gezwungen, einen Brief an den Finanzminister zu schreiben.

In den vergangenen 25 Jahren ist dies durchaus häufiger der Fall gewesen. Insbesondere in den Jahren 2008–2011 sah sich der damalige Gouverneur Mervyn King häufig dazu genötigt, den Gang nach Canossa anzutreten. Insgesamt kann man allerdings durchaus festhalten, dass die BoE mit ihrer Politik Erfolg hatte. Die durchschnittliche Inflationsrate lag seit der Unabhängigkeit bei 2,1% (J/J) und damit niedriger, als dies in den Jahrzehnten zuvor der Fall war.

Die aktuelle Lage stellt jedoch auch die altehrwürdige Bank of England vor massive Herausforderungen. Lag die Inflation in der Ära King in der Spitze knapp über 5%, liegt sie aktuell bei 10,1% – Tendenz weiter steigend. Die BoE selbst geht davon aus, dass Werte von über 13% erreicht werden könnten, bevor sich eine Verbesserung einstellt. Gleichzeitig schätzt sie die Perspektiven für das Wirtschaftswachstum extrem pessimistisch ein und geht von einer Rezession aus, die sich bis weit in das kommende Jahr erstrecken wird. Geldpolitisch würde diese Kombination einer Quadratur des Kreises bedürfen.

Prekäre Lage

Angesichts der prekären aktuellen Lage, die in Großbritannien bereits als „cost of living crisis“ beschrieben wird, ist es wenig verwunderlich, dass die Bank of England zunehmend auch in den Fokus der Politik rückt. Insbesondere Liz Truss, die für den Vorsitz der Konservativen Partei und damit den Posten des Premierministers kandidiert, hat die BoE zuletzt scharf kritisiert. Diese Kritik würde unter normalen Umständen wahrscheinlich an der BoE und ihrem Gouverneur Andrew Bailey abperlen. Jedoch ist Truss nun noch einen (bedeutenden) Schritt weiter gegangen: Sollte sie Anfang September zur Premierministerin gekürt werden (was gar nicht unwahrscheinlich ist), will sie eine Überarbeitung des Mandats der Bank of England in Angriff nehmen. Dabei wurde sogar angedeutet, dass es zu prüfen gälte, ob man das Inflationsziel durch ein Wachstums- und/oder Geldmengenziel ersetzen solle. Man kann sich lebhaft vorstellen, welche Reaktionen der Vorstoß von Liz Truss in der Threadneedle Street ausgelöst hat!

Seit den 1980ern gelten Inflationsziele als das ideale Mandat für Zentralbanken. Sie sind klar definiert, eindeutig messbar und geldpolitisch erreichbar – zumindest in „normalen“ Zeiten. Inflationsziele funktionieren gut, solange das Auf- und Ab einer Wirtschaft (und der Inflation) vornehmlich von der Nachfrageseite getrieben ist. Wie wir am aktuellen Rand sehen, sind Inflationsziele jedoch wesentlich schwieriger umzusetzen, wenn die Angebotsseite dominiert. Manche Ökonomen haben daher eine Präferenz für Wachstumsziele, genauer gesagt nominale Wachstumsziele. Nominales Wachstum ist die Summe aus Inflation und realem Wachstum und, so die Theorie, ermöglicht es, beide Komponenten zu verbinden. Ein Angebotsschock, der in sehr hohe Inflation bei gleichzeitig niedrigem Wachstum mündet, würde bei einem nominalen Wachstumsziel eine wesentlich weniger harte (restriktive) geldpolitische Gangart vonnöten machen.

Nicht ohne Risiken

Dies kommt jedoch nicht ohne Risiken, vor allem mit Blick auf die Inflationserwartungen. Selbst in Phasen, in denen es einer Zentralbank nicht gelingt bzw. gelingen kann,das Inflationsziel einzuhalten, hilft ein eindeutiger Fokus auf die Wahrung der langfristigen Preisstabilität die Inflationserwartungen zu verankern. Aktuell liegen diese in Großbritannien bei 3,6% – also deutlich unterhalb des Inflationsniveaus. Wäre die Bank of England gezwungen, ihr Inflationsziel aufzugeben, bestünde die Gefahr, dass die Inflationserwartungen in die Höhe schießen. Dies würde aller Wahrscheinlichkeit eine Spirale in Gang setzen, die die Inflation noch weiter befeuert. Ein Wachstumsziel würde außerdem eine potenziell gefährliche Vermischung von Geld- und Fiskalpolitik mit sich bringen und die Unabhängigkeit der Zentralbank in Frage stellen. Sollte Liz Truss also Premierministerin werden und Worten Taten folgen lassen, wäre mit einer deutlich negativen Reaktion am Finanzmarkt zu rechnen. Das Pfund würde u. E. nach deutlich an Wert verlieren und die Renditen britischer Staatsanleihen würden steigen. Letzteres wäre auch für Truss, die ambitionierte fiskalpolitische Ausgaben plant, problematisch.

Doch selbst ohne weitere, unerwünschte Einmischungen aus Westminster sieht sich die Bank of England mit großen Herausforderungen konfrontiert. Der Mix aus hoher Inflation und niedrigem oder gar negativem Wachstum ist geldpolitisches Gift. Der Markt rechnet derzeit damit, dass die Zentralbank ihren Leitzins bis Mai 2023 um weitere 200 Basispunkte anheben wir. Gleichzeitig plant die BoE nun, ihre Bilanz aktiv abzubauen. Bislang hat sie eine passive Strategie verfolgt, bei der sie lediglich fällig werdende Papiere auslaufen lässt.

Angesichts des massiven Drucks, der auf der BoE lastet, soll die Bilanz aber nun schneller reduziert werden. Aber auch hier macht die politische Lage der BoE das Leben schwer, denn derzeit weiß sie nicht, wie die fiskalpolitischen Pläne der neuen Regierung aussehen werden – und somit auch nicht, wie hoch das Emissionsvolumen sein wird. Vorstellbar wäre theoretisch, dass die BoE sich das Ziel setzt, ihre Bilanz pro Quartal um 30–40 Mrd. Pfund zu verkürzen. Verwerfungen am Gilt-Markt sollen jedoch unbedingt vermieden werden. Sollte das Emissionsvolumen daher deutlich steigen, könnte sich die Zentralbank gezwungen sehen, vorsichtiger vorzugehen.

Politische Unsicherheit

Für das Pfund stellt all dies eine äußerst schwierige Gemengelage dar. Politische Unsicherheit, die potenzielle Bedrohung des Mandats der BoE, die wirtschaftliche Schieflage und die hohe Inflation belasten das Sentiment. Fast überrascht es, dass das Pfund es nach seinem Exkurs auf Kurse von 1,1760 Dollar Mitte Juli geschafft hat, sich wieder leicht zu erholen. Zuletzt hat der Druck, der auf der Währung lastet, jedoch wieder zugenommen, und es ist zumindest kurzfristig davon auszugehen, dass die Währung weiter an Wert verliert. Im Falle einer durchaus vorstellbaren Verkettung von neuen Hiobsbotschaften könnten wir uns sogar eine dynamische, kurzfristige Abwertung in Richtung der Tiefs von 2020 in der Region von 1,15 Dollar vorstellen.

*) Sonja Marten ist Leiterin Research Devisen und Geldpolitik der DZBank.