Emil Wolter

„Bei China gibt es immer Geschrei“

Emerging Markets waren in den vergangenen zehn Jahren ein schwieriges Terrain, berichtet Portfoliomanager Emil Wolter. Er ist aber zuversichtlich, 2022 richtig positioniert zu sein.

„Bei China gibt es immer Geschrei“

Wolf Brandes.

Herr Wolter, nach 2020 sind auch 2021 Ihre Schwellenländerfonds ungewöhnlich schlecht gelaufen. Was ist schiefgelaufen?

Es sind sehr ungewöhnliche und nicht vorhersehbare Ereignisse gewesen, die wir in den vergangenen zwei Jahren erlebt haben. Damit meine ich die Corona-Pandemie, aber eben auch die Reaktionen von Politik und Notenbanken. Eine solch massive Intervention hat man in den letzten hundert Jahren nicht erlebt.

Warum war es für Ihren eher antizyklischen, Benchmark-unabhängigen Ansatz schwierig, an der Erholung voll zu partizipieren?

Es war zu der Zeit überhaupt nicht vorherzusehen, welche Branchen und welche Unternehmen schlechter oder besser abschneiden würden. Defensive Branchen wie Nahrungsmittel, die wir mögen, waren viel stärker getroffen als bei normalen Rückschlägen.

Warum hat es Ihren Ansatz genauso getroffen wie den Index?

Ein heikler Punkt in unserem Portfolio war das Engagement in Lebensversicherungen. In den Schwellenländern ist dieser Bereich die normale Altersabsicherung, denn Systeme wie in der westlichen Welt kennt man kaum. Die Menschen sind gezwungen, eine private Lebensversicherung abzuschließen. Ein sehr gutes, aber erklärungsbedürftiges Geschäft. Das ist natürlich mit der Pandemie sofort in sich zusammengebrochen, keine Beratung, keine Abschlüsse. Es sind eigentlich konservative Unternehmen, aber wenn keine Provisionen erwirtschaftet werden, dann hat man ein Problem. Der Anteil im Portfolio war bei 20%.

Defensiv zu sein war ein Fehler?

Wir waren sehr defensiv aufgestellt, so wie wir das üblicherweise sind. Das hat zu Beginn der Krise überhaupt nicht funktioniert. Geschäftsmodelle, die man als resilient bezeichnet, wurden besonders stark getroffen. Aus Investorensicht eine völlig verrückte Welt.

Was haben Sie nach dem Absturz und der unbefriedigenden Entwicklung verändert?

Wir haben unseren Ansatz nicht signifikant verändert. Ganz so schlimm, wie Sie es darstellen, war es in der Aufschwungphase für uns auch nicht. Auch wir haben eine starke Erholung erlebt, je nachdem welche Anteilsklasse man betrachtet. Da lagen wir auf Linie mit dem Index.

Warum lief es auch 2021 nicht so gut wie früher?

Es haben Unternehmen stark von der Erholung profitiert wie etwa die Rohstoffbranche. Die Unternehmensgewinne für Energietitel sind zum Teil um 200% gestiegen. Das sind keine Werte, die zu unseren natürlichen Jagdgründen zählen. Wir suchen eher Unternehmen, die ein durch und durch überzeugendes, stabiles Geschäftsmodell und eine Vision für ihren Markt haben.

Was zählen Sie derzeit zu Ihren Favoriten?

Beispielsweise der koreanische Videospielentwickler NCSoft, der 2021 gelitten hat, aber für ein längerfristiges Wachstum gut ist, da sich die Anzahl der Spiele auf allen Plattformen und den Vertrieb von hauptsächlich Asien auf die ganze Welt ausgedehnt hat. Die Aktie ist jetzt billig, obwohl das Unternehmen langfristig ein starkes Gewinnwachstum verzeichnet.

Was halten Sie von Alibaba, die sich unter den Top-Werten findet?

Wir haben die Schwächephase in der Diskussion um eine stärkere Regulierung genutzt, zuzukaufen. Insgesamt erwarten wir, dass das E-Commerce-Geschäft weiter gut laufen wird. Bei Alibaba geht es aber auch um die technische Infrastruktur im Bereich der Cloud-Technologie. Das ist für die Chinesen sehr wichtig, die viel stärker in den Markt eingreifen. Das würden andere Regulierer der Welt vermutlich auch gerne machen.

Zu den Top-Positionen sowohl im Index wie auch im Fonds zählt Taiwan Semiconductors. Wie beurteilen Sie das Unternehmen?

Wir haben die Position etwas reduziert, da die Bewertungen stark gestiegen waren und ein KGV von mehr als 30 erreichten. Relativ zum Wachstumspotenzial war uns das doch etwas teuer. Aber es bleibt eine tolle Firma. Das Schöne ist, dass das Unternehmen gar keine asiatische Firma ist, sondern ein globaler Konzern. Ihr weltweiter Marktanteil erreicht in bestimmten Bereichen fast 100%, insbesondere bei sehr kleinen Halbleitern. Ich glaube, dass das Unternehmen über viele Jahre die Gewinne noch sehr stark steigern wird. Wenn man es so sieht, ist eine 32er-Bewertung für einen internationalen Halbleiterkonzern in Ordnung.

Wachstumspotenzial war schon immer wichtig bei Comgest. Aber können die Unternehmensgewinne wirklich weiter so steigen?

Das stimmt, das war schon immer unsere Philosophie, die sich nicht geändert hat. Die wichtigsten Triebfedern der Märkte sind Wachstum und Unternehmerschaft. Global betrachtet haben die Aktien in den letzten zehn Jahren sehr stark zugelegt, vornehmlich in den USA. Verglichen damit waren die Zugewinne in den Schwellenländern aber bescheiden. Deshalb sehe ich speziell in Asien noch viel Potenzial. Wir sind mit dem Portfolio auch besser aufgestellt als der Index und kalkulieren die nächsten fünf Jahre mit einem Gewinnwachstum von 15%.

Das Gewinnwachstum in den Schwellenländern lag in den vergangenen zehn Jahren bei –5%.

Die Schwellenländer waren in den vergangenen zehn Jahren kein toller Platz zu investieren. Man konnte bestenfalls plus minus null rauskommen. Damit waren wir 5 % besser als der Index. Aber eine Null ist nicht gut genug.

Wie wichtig sind Nebenwerte, bei denen sich aktives Management gemeinhin mehr auszahlt?

Das kann man nicht vergleichen mit den Börsen der entwickelten Länder. Man muss in den Schwellenländern nicht in Nebenwerten investiert sein, weil sich in den Emerging Markets kaum jemand für Mid und Small Caps interessiert.

Wie sehen Sie China?

Viele Investoren kaufen jetzt gar keine chinesischen Aktien mehr, aber das halte ich für falsch. Bei China gibt es immer viel Geschrei, entweder man muss unbedingt investiert sein oder eben gar nicht. Was man wissen muss: China ist einfach anders. Es gibt Unternehmen mit sehr langfristigen Plänen und hoher Qualität. Und es gibt einige Unternehmen, die zu sehr niedrigen Bewertungen gehandelt werden. Und schließlich kauft ein Drittel der Unternehmen in China Aktien zurück. Das ist bemerkenswert.

Spielt ESG bei Ihren China-Investments eine Rolle?

Ich höre oft: Wie kann man in China investieren in Anbetracht von ESG-Problemen? Die Frage muss anders gestellt werden: Wie kann man in China und nicht in ESG investieren? Das ist dort ein großer Trend, auch wenn das im Westen nicht so gesehen wird. ESG ist auch in China ein Indikator für Qualität. Und wir wollen uns im Fonds möglichst keinen Umweltrisiken aussetzen.

Immobilienaktien gehören nicht zu Ihren Jagdgründen. Doch welchen Einfluss hat das Drama um Evergrande?

Richtig, wir haben kein direktes Exposure zum chinesischen Immobiliensektor. Aus unserer Sicht gibt es da zu viele regulatorische Risiken. Was man im Bereich der Immobilien in China macht, ist ein interessantes Experiment. Die Regulierer in China sind sich natürlich bewusst, dass Immobilien in dem Land eine wichtige Anlageform und eine Quelle von Wohlstand sind. Aber Immobilien können auch schnell zu einer Quelle von Frustration und Verzweiflung werden, wenn man sie sich nicht mehr leisten kann. Das hat man in der Krise 2008 in den USA erlebt. Das Experiment in China sieht nun so aus, als wollte man versuchen, aus einer Blase die Luft abzulassen. Das ist ein historischer Versuch, denn normalerweise platzen Blasen. Auch wenn man nicht weiß, wie das ausgeht, es ist clever vom Regulator.

Was wird das für Folgen haben?

Auch wenn das kontrollierte Runterfahren des Marktes funktioniert, wird es zu Verwerfungen führen – mit Entlassungen und Verlusten. Die Probleme in der Immobilienbranche werden Auswirkungen auf das Wachstum in China haben. Das wird für uns aber kein so großes Problem, weil wir nicht in den gefährdeten Unternehmen engagiert sind. Außerdem bieten wir einen Schwellenländerfonds an, der China ausschließt.

Das Interview führte

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