Zementkonzern

Bei Holcim überwiegen noch die Zweifler

Der Schweizer Zementkonzern Holcim versucht, mit einem Umbau den Zementanteil am Geschäft zu reduzieren und das Geschäft mit Baumaterialien auszubauen. Noch überwiegen unter den Anlegern die Zweifler.

Bei Holcim überwiegen noch die Zweifler

Von Daniel Zulauf, Zürich

Die wirklich erfolgreichen Investoren dürften in den vergangenen Jahren kaum wertvolle Zeit mit der Aktie des Schweizer Zementherstellers Holcim verloren haben. Im Fünfjahresvergleich liegen die Titel 13% im Minus. Gemessen am Swiss Market Index (SMI), dem das Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von aktuell knapp 29 Mrd. sfr immer noch angehört, beträgt die relative Minus-Performance mehr als 40%. Noch schlechter sieht die Bilanz für den Anleger aus, wenn man den Blick bis zum Frühjahr 2015 zurückwirft. Damals hatten sich Holcim und die französische Lafarge gerade frisch vermählt – in der Hoffnung, den kostspieligen Wettbewerb um Marktanteile einzudämmen. Die Architekten der Fusion verfolgten die Absicht, die vorhandenen Kapazitäten besser auszulasten und das viele Geld, das die beiden Rivalen zuvor laufend in teure, neue Produktionswerke steckten, fortan den Aktionären in Form höherer Dividenden zukommen zu lassen. Doch der Plan scheiterte kläglich.

2017 blies der neue CEO Jan Jenisch zum Rückzug. Unter der Ägide des früheren Sika-Managers hat sich Holcim auf den Weg zu einem grundlegenden Umbau des Geschäftsmodells gemacht. Noch lässt sich in den Zahlen wenig von dieser Wende erkennen. 2021 verkaufte Holcim gut 200 Mill. Tonnen Zement und erwirtschaftete damit gut 60% des Umsatzes von 26,8 Mrd. sfr. Gemessen am Ebit von 3,6 Mrd. sfr belief sich der Zementanteil im zurückliegenden Jahr sogar auf 77%.

Doch mit dem Anfang der Woche angekündigten Verkauf des Indien-Geschäfts wird sich das Bild gründlich verändern. Die indischen Töchter Ambuja und ACC, die Holcim seit gut zehn Jahren zu zwei Dritteln beherrscht, haben 2021 einen Beitrag von rund einem Viertel zu den Zementverkäufen von Holcim geleistet und damit auch einen weit überproportionalen Beitrag zum Gewinn beigesteuert. 6,4 Mrd. sfr erlöste Holcim für das Geschäft auf dem Subkontinent. Ein hoher Be­trag, wie Finanzanalyst Martin Hüsler von der Zürcher Kantonalbank konstatiert. Nach seinen Berechnungen beläuft sich die Bewertung der beiden veräußerten Einheiten auf das Doppelte der Bewertung von Holcim. Man müsse den Preis sicher als Beleg für die hohe Profitabilität und das Wachstumspotenzial von Ambuja und ACC sehen, räumt Hüsler ein. Die Transaktion könne man aber genauso gut als Indiz für die ausgesprochen niedrige Bewertung von Holcim sehen.

Niedrige Bewertung

Der Unternehmenswert (EV) von Holcim beträgt gemäß Hüsler aktuell etwa das Sechsfache des Ebita, was klar unter dem Niveau anderer großer Schweizer Bauzulieferer liege. Die niedrige Bewertung zeige sich auch in der Dividendenrendite von über 5%. Trotzdem gehört Hüsler zu einer Minderheit von Finanzanalysten, die in der Holcim-Aktie eine Kaufgelegenheit sehen. Dafür gibt es mehrere Gründe.

Die kräftig gestiegenen Energiepreise sind Gift für die Zementhersteller. Rund 15% der Zementerlöse müssen im Herstellungsprozess für Gas und andere Energieformen aufgewendet werden. Der massive Anstieg der Energiepreise, der sich im Zuge des Ukraine-Krieges seit Februar noch weiter beschleunigt hat, macht substanzielle Preiserhöhungen nötig, damit die Zementproduzenten ihre Margen verteidigen können. Hüsler geht von Preiserhöhungen im Rahmen von 10% aus. Dies ist Holcim in den ersten Monaten des Jahres gelungen. Aber es gibt Zweifel, ob dies im Umfeld einer sich deutlich abkühlenden Konjunktur möglich bleibt. Ein deutlicher Rückgang der Zementnachfrage könnte sich negativ auf die Preise und somit auf die Profite der Zementindustrie auswirken.

Für Unsicherheit sorgt im Fall von Holcim auch ein Strafverfahren in Frankreich, das die Schweizer von Lafarge geerbt haben. Am vergangenen Mittwoch urteilte ein Berufungsgericht in Paris, Lafarge könne wegen „Komplizenschaft bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ angeklagt werden. Das Urteil ist zwar noch nicht rechtskräftig, hängt aber wie ein Damoklesschwert über Holcim. Lafarge wird vorgeworfen, im syrischen Bürgerkrieg Bestechungsgelder an terroristische Gruppen gezahlt zu haben. Eine Verurteilung könnte für das Unternehmen hohe Strafzahlungen und Sanktionen zur Folge haben. Die Börse reagierte am Mittwoch entsprechend empfindlich.

Aber das vielleicht wichtigste Argument, das die Investoren zur Zurückhaltung gegenüber Holcim bewegt, sind die vielen Fragezeichen, die sich aus dem von Jenisch forcierten Konzernumbau ergeben. Der Konzern will das Geschäft mit Baumaterialien ausbauen, welche geeignet sind, die Lebensdauer und die Nachhaltigkeitsbilanz von Ge­bäuden zu verbessern. 2021 belief sich der Umsatzanteil des neuen Geschäftssegments „Products & Solutions“ auf 11%. Bis 2025 soll er auf 30% steigen. Holcim hat in den vergangenen 15 Monaten bereits rund 5 Mrd. sfr in den Kauf solcher Firmen investiert. Den Erlös aus dem Verkauf des Indien-Geschäfts will sie ebenfalls in Akquisitionen stecken.

Die Investoren können nur rätseln, was die Zukäufe dereinst in puncto Profitabilität hergeben werden. Holcim evaluiere derzeit nicht weniger als zehn potenzielle Übernahmeziele, erklärte Jenisch am vergangenen Montag. Die Gesamtrechnung dieser Akquisitionen müsste deutlich besser ausfallen als jene der hochrentablen Geschäfte in Indien, damit die Strategie funktioniert. Die Vorgabe ist ehrgeizig und ein Scheitern leicht vorstellbar.

Doch wie es scheint, gewinnt Jenisch langsam mehr Vertrauen. Seit Jahresbeginn liegt die Holcim-Aktie mit einer neutralen Kursperformance deutlich vor wichtigen Mitbewerbern wie der irischen CRH (–19%) oder der deutschen Heidelberg Cement (–16%). Das ist bemerkenswert, zumal CRH Holcim in den vergangenen fünf Jahren mit einer positiven Aktienperformance von 20% weit hinter sich gelassen hat. Hüsler glaubt, dass sich der Holcim-Umbau zunehmend positiv auf das Nachhaltigkeitsrating auswirkt und so auch den Aktienkurs positiv zu beeinflussen beginnt. Das ist auch die Hoffnung von Jenisch. Vor Jahresfrist sagte er, die starke Zementexposition halte die auf nachhaltige Anlagen ausgerichteten Investoren vom Kauf der Aktie ab und sei für einen Bewertungsabschlag von 30% verantwortlich. Noch ist die Wirkung von ESG-Ratings aber nicht genügend erforscht, um solche Aussagen zuverlässig überprüfen zu können. Vorerst überwiegen bei Holcim deshalb immer noch die Zweifler.