Bei KI „erst am Anfang der Übung“
Im Gespräch: Marc Decker
Bei KI erst am Anfang der Übung
Co-Aktienchef von Quintet fährt zweigleisige Strategie – Thema Gesundheit ein Megatrend
Von Tobias Möllers, Frankfurt
Nach einem turbulenten Jahr 2023 mit einer starken Jahresendrally lässt das Jahr 2024 für Aktionäre bisher viele Wünsche offen. Marc Decker, Co-Head Aktien bei der Merck-Finck-Mutter Quintet, verrät im Gespräch der Börsen-Zeitung, worauf er in diesem Jahr setzt.
Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Von extremen Stimmungen, wie sie schon Goethe kannte, wissen momentan auch Aktionäre ein Lied zu singen. Das turbulente Jahr 2023 endete an den Aktienmärkten mit einer furiosen Jahresendrally, die Indizes wie dem Dax einen Aufschlag von gut 20% bescherte. Andere Börsenbarometer wie der S&P 500, Nasdaq oder Nikkei verzeichneten gar noch höhere Gewinne. Doch davon ist seit Jahresbeginn nicht mehr viel zu spüren: Neue und alte geopolitische Risiken und nicht zuletzt die Sorge, es mit den Zinssenkungserwartungen etwas übertrieben zu haben, lasten seitdem auf den Aktienmärkten.
Für den Aktienstrategen Marc Decker hat die Jahresendrally bereits vieles, was noch im Köcher gewesen wäre, vorweggenommen. Dennoch erwartet er „eine positive Marktperformance zum Jahresende“. Quintet konnte auf die zuletzt tolle Entwicklung des Marktes „noch einmal eine gute Schippe drauflegen“ und setzt 2024 auf eine zweigleisige Strategie, in der einerseits IT- und Tech-Werte, andererseits aber auch defensivere Sektoren wie Gesundheit und Healthcare ihren Platz finden. Die Titelauswahl sei entscheidend. Im letzten Jahr sind – angefeuert von Abnehmprodukten – die Aktien von Novo Nordisk und Eli Lilly stark gestiegen. Für Decker allerdings kein Grund, deswegen Food-Werte vollständig aus dem Depot zu verbannen: „Gegessen wird immer.“ Auch der Food-Bereich biete für den defensiven Teil der Quintet-Strategie interessante Titel. Daneben sei aber besonders der Gesundheitssektor interessant, wo durch und nach der Coronakrise neue Impfstoffmöglichkeiten auch mit Blick auf die Krebsforschung in Sichtweite rücken. Für Decker „ein Megatrend“.
Quintet sei massiv investiert in amerikanischen Aktien, habe diese zuletzt aber ein wenig zugunsten von europäischen Aktien und auch von Low-Vola-Titeln reduziert. Vielen Analysten gelten der amerikanische Aktienmarkt und hier besonders die „Magnificent 7“ (Alphabet, Amazon, Apple, Meta, Microsoft, Nvidia, Tesla, Anm. der Redaktion) als vergleichsweise hoch bewertet. Für Decker allerdings kein Grund, diese Aktien unterzugewichten. Ganz im Gegenteil: „Als benchmarkorientierter Investor wäre es fast schon sträflich, wenn ich diese hoch kapitalisierten Aktien einfach an der Seite liegen lassen würde“, so Decker. Die Business-Modelle der „Glorreichen Sieben“ seien überzeugend, zudem seien gerade diese Tech-Größen die disruptiven Firmen in ihrem Sektor gewesen, die viele andere verdrängt hätten. „Es gibt einen guten Grund, warum die dort sind, wo sie sind. Dazu kommt, dass sie unfassbar viel Free Cashflow produzieren. Diese Unternehmen sind so stark, dass es für sie einfach ist, ihre Marktanteile auch zu verteidigen“, ist Decker überzeugt. Für mögliche Herausforderer seien die Eintrittsbarrieren sehr hoch. Eine weiterhin starke Performance der Tech-Größen sei wahrscheinlich – auch wenn der Quintet-Experte offenlässt, ob nicht einzelne dieser sieben Titel inzwischen eine recht hohe Bewertung erreicht haben.
Fest steht für den Aktienstrategen dagegen, dass das jüngste Hype-Thema KI noch lange nicht ausgereizt ist. „Da stehen wir gerade erst am Anfang der Übung. Ich glaube, dass da noch sehr viel Positives passieren kann“, so Decker. Die neuen Möglichkeiten, die mit ChatGPT offengelegt wurden, sind für Decker eine Art iPhone-Moment gewesen. Für den Quintet-Mann ist und bleibt KI ein weiterer Megatrend – „massiv, spannend und disruptiv“. Dabei hätten die Magnificent Seven die Voraussetzungen, um diesen Trend weiter zu bestimmen, doch auch ganz andere Bereiche könnten künftig von KI profitieren. Decker nennt Versicherungskonzerne, Banken, aber auch Vermögensverwalter. Im Investmentbereich sieht er durch die KI zusätzliche Angebote entstehen, die zwischen ETFs und aktiv gemanagten Fonds angesiedelt sein werden. „KI ist wahrscheinlich billiger als aktiv gemanagte Fonds, aber es wird teurer sein als ETFs, weil ich eine Leistung erbringe“, erklärt Decker.
Weniger optimistisch ist der Kapitalmarktstratege mit Blick auf den Dax. Zwar sei dieser im internationalen Vergleich nicht hoch bewertet, doch hätten etwa die Tech-Größen, die aktuell deutliche höhere KGVs ausweisen, diese Bewertung auch nicht zu Unrecht. „Da steckt eine ganz andere Cashgenerierung dahinter, ein anderes Wachstumspotenzial und eine andere internationale Durchschlagskraft“, konstatiert Decker. Im internationalen Vergleich sei der Dax zu unbedeutend und „von der Zusammenstellung her ein bisschen outdated“. Vor Problemen sieht Decker gerade Deutschlands langjähriges Zugpferd, die Autobranche. Das von der EU für 2035 beschlossene Verbrenner-Verbot findet Decker schwierig, das letzte Wort müsse hier noch nicht gesprochen sein. So oder so müssten die deutschen Autobauer aber „endlich ihre Hausaufgaben machen“.
Das Hausaufgabenmachen erhoffen sich viele Anleger auch von den Zentralbanken. Decker erwartet Leitzinssenkungen allerdings frühestens Mitte des Jahres. Der Quintet-Experte geht für EZB und Fed von je vier Zinsschritten à 25 Basispunkten aus. Da waren die Aktienmärkte lange optimistischer, diese Erwartungen haben sich zuletzt aber eingetrübt.
Beim Blick in die Zukunft fällt ein Name inzwischen wieder immer häufiger: Donald Trump. Sollte der Immobilienmagnat erneut US-Präsident werden, erwartet Decker eine höhere Volatilität an den Aktienmärkten, aber keine Verwerfungen. Dennoch dürfte ein Trump 2.0 die Förderung erneuerbarer Energien zugunsten traditioneller Energielieferanten zurückfahren. Sollte sich Trump stärker aus Europa und Nato zurückziehen, könnte es noch einen weiteren Profiteur geben: die Rüstungsindustrie. Stärkster Dax-Wert des bisher durchwachsenen Aktienjahres ist übrigens Rheinmetall.