Berenberg sieht Chancen für Aktien

Privatbank fordert Stärkung der Wachstumskräfte und rechnet mit Aufholeffekt im dritten Quartal

Berenberg sieht Chancen für Aktien

Nach Meinung von Berenberg wird sich die Konjunktur in Häkchenform erholen. An den Aktienmärkten sind die Tiefstände überwunden, und eine defensive Positionierung der Anleger bietet Chancen für Aktien. Dabei setzt die Privatbank auf Qualitätstitel und die strukturellen Gewinner der Krise. wrü Frankfurt – “Wir sind auf dem richtigen Weg”, erklärt Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Privatbank Berenberg, in einer Web-Pressekonferenz zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie. Denn “die Wirtschaftspolitik wird es schaffen, eine große Finanzkrise zu vermeiden”. Zudem geht Schmieding davon aus, dass es keine schlimme zweite Welle, die erneut zu einer Notbremsung führen würde, geben wird. Wahrscheinlich sei bereits im April der Tiefpunkt der Wirtschaftstätigkeit erreicht worden. Nun gehe es wieder aufwärts und die Hoffnung nehme zu. Dabei erwartet Schmieding keine V- oder U-förmige, sondern eine “häkchenförmige Entwicklung”. Im dritten Quartal komme nach dem Lockdown ein gewisser Aufholeffekt zum Tragen, danach flache der Anstieg der Wirtschaftstätigkeit aber ab. Erst in etwa zwei Jahren dürfte die ökonomische Aktivität wieder den Stand von Ende 2019 erreichen. Dabei würden der private Konsum und der Unternehmenssektor noch zurückbleiben, dies würden aber die staatlichen Konjunkturprogramme ausgleichen.Um die Konjunktur in der Krise zu beleben, gelte es, die Wachstumskräfte zu stärken. Zudem müsse man vieles tun, um eine Finanz- und Euro-Krise zu vermeiden. ” Es kommt jetzt auf die Wachstumskräfte an und nicht auf die Höhe der Schulden”, so Schmieding wörtlich. Denn wenn die Wirtschaft wieder deutlich wachse, könne Deutschland seine Schuldenlast wieder binnen weniger Jahre zurückführen.Die Konjunkturpolitik soll nach Meinung des Berenberg-Chefvolkswirts dabei auch auf Vorzieheffekte setzen. Dazu zählten Maßnahmen wie eine grüne Abwrackprämie, Sofortabschreibungen oder das Zulassen von steuerlichen Verlustrückträgen. Auf europäischer Ebene sollten an die Gewährung von Zuschüssen höhere Anforderungen gestellt werden als an die von reinen Krediten.”Die Tiefstände liegen hinter uns”, so auch die Prognose von Bernd Meyer, Chefanlagestratege von Berenberg, zu den Aktienmärkten. Nach einem übertriebenen Rückschlag hätten sich die Aktienmärkte jetzt wieder deutlich erholt. Dafür, dass es anders als nach den Crashs 1929 und 1987 dieses Mal nicht zu einem zweiten Test der alten Tiefs kommen werde, führte Meyer drei Gründe an: die massive Unterstützung der Märkte sowohl durch die Fiskalpolitik als auch durch die Geldpolitik sowie die extrem vorsichtige bzw. bearishe Positionierung der Anleger. Denn infolge des Crashs haben Anleger massiv Anleihen und Aktien verkauft und Bestände in Geldmarktfonds und Rohstoffen, insbesondere Gold, aufgebaut. Die Zuflüsse an Geldmarktfonds seien zwar zuletzt abgeebbt, doch sitzen die Anleger laut Meyer jetzt auf “Bergen von Geld bei negativem Realzins”. So übersteige das Volumen amerikanischer Geldmarktfonds derzeit mit 4,8 Bill. Dollar die Marktkapitalisierung der Aktien der Eurozone von 3,7 Bill. Dollar und erreiche nahezu die Kapitalisierung der gesamten Schwellenländeraktien von 5,1 Bill. Dollar. Hohe Zahl an BärenInsgesamt sei die Anlegerstimmung gegenüber Aktien nach wie vor sehr skeptisch. So sei die Zahl der Bären, der Marktpessimisten, immer noch deutlich höher als die der Bullen, der Marktoptimisten. Dies sei eine deutliche Abweichung vom historischen Durchschnitt, in dem die Bullen klar dominieren. Diese Anlegerpositionierung mit den hohen Beständen an Geldmarktfonds berge Chancen für Aktien, Unternehmensanleihen und Gold.Am Aktienmarkt ist ein Ausbruch nach oben nach Ansicht von Meyer vor diesem Hintergrund durchaus möglich. Und wenn technische Marken wie 3 000 Punkte im S&P 500 genommen würden, könne dies dann zu Anschlusskäufen führen. Nach einem kräftigen Anstieg am Aktienmarkt würde der Berenberg-Chefstratege dann aber eher wieder zur Vorsicht raten. Denn er geht nicht davon aus, dass die Aktienmärkte quasi ungebremst durchstarten. Dann hätten Aktien zunächst einmal bereits vieles eingepreist.Neben Unternehmensanleihen, die von der derzeitigen Phase der Bilanzreparatur bei Firmen profitierten, sieht Meyer insbesondere auch Chancen bei Silber. Im Vergleich zu Gold befinde sich die relative Attraktivität von Silber auf einem Allzeithoch. Zudem würden die ETF-Bestände in Silber nur 6 % der Gold-ETF-Bestände betragen. Meyer folgert: “Silber könnte überproportional von Umschichtungen und Diversifikation profitieren.” Qualitätstitel relativ günstiger”Qualität zählt aktuell”, erklärt Matthias Born, Head of Investments und CIO Aktien bei Berenberg. Durch die Krise hätten Qualitätsfirmen zusätzlichen Rückenwind erhalten und deutlich besser abgeschnitten als der Gesamtmarkt. Dank robuster Gewinnentwicklung seien Qualitätsunternehmen in der Krise sogar im relativen Vergleich günstiger geworden. Den stärksten Rückenwind hätten dabei stark wachsende Firmen bekommen.”Die Krise hat zu keiner Veränderung unserer strukturellen Überzeugungen geführt”, erläutert Born. Der “Quality/Growth-Stil” habe sich relativ besser behauptet. “Und die Dividende ist kein Sicherheitsanker.” Born und das Fondsmanagement von Berenberg meiden weiterhin zyklische Sektoren, die auch strukturell stark unter Druck sind, wie zum Beispiel Autobauer. Auch Engagements in Unternehmen mit hoher Verschuldung, in den Energiesektor oder in Banken werden gemieden.Gewinner der Krise seien der Technologie- und Gesundheitssektor. Die Branche und die regionale Ausrichtung seien derzeit von besonderer Bedeutung. Durch den Crash hätten vor allem kleine Unternehmen im relativen Vergleich gelitten. Daher böten sich jetzt gute Kaufgelegenheiten bei ausgewählten europäischen Small Caps. Diagnostik wird wichtigerAusgelöst durch die Coronakrise werden laut Born bestimmte Trends jetzt noch relevanter. Dazu zählt der Fondsmanager zum einen das Konsumverhalten. Lebensmittel und Kochbox per Kurier würden entdeckt, die Bedeutung von Gesundheit und Wohlbefinden nehme zu, Hygiene werde wichtiger, was auch das kontaktlose Bezahlen fördere, und das Nachhaltigkeitsbewusstsein wachse. Beim Sektor Gesundheit würden digitale Innovationen in der Patientenbehandlung wichtiger. Zudem nehme die Bedeutung der Diagnostikindustrie zu. Insgesamt führe Corona zu stärkeren Investitionen ins Gesundheitssystem und in die Forschung.Vor allem habe Corona eine “Beschleunigung der digitalen Transformation” zur Folge, so Born. Die sogenannte Techceleration werde relevanter. Die Technologiesprünge durch künstliche Intelligenz, Big Data und 5G würden größer. Der Lockdown sei ein Innovationstreiber für mobiles Arbeiten, Webkonferenzen und Online-Handel. Die Aktienfondsmanager von Berenberg analysierten die einzelnen Unternehmengenau und setzten auf Firmen, die von der Beschleunigung der digitalen Transformation profitierten.