Bewertungen von BNPL-Anbietern brechen ein
Wenn es eines weiteren Beweises bedurft hätte, dass die jahrelange nullzinsbefeuerte Finanzmarktparty seltsame Blüten trieb, dann böte sich ein Blick auf ein Phänomen der besonderen Art an: die explosionsartige Ausbreitung der sogenannten „Buy now, pay later“-Angebote (BNPL) im Onlinehandel. Die entsprechenden Anbieter dieser speziellen Form des Verbraucherkredits wurden an der Börse und in privaten Finanzierungsrunden quasi aus dem Stand mit teilweise deutlich zweistelligen Milliardenbeträgen bewertet, bevor sie zuletzt kräftig Federn lassen mussten. Böse formuliert lässt sich das Geschäftsmodell dieser Unternehmen schnell zusammenfassen: jungen Konsumenten und Konsumentinnen den Weg in die Schuldenfalle vereinfachen.
Der klassische Kauf auf Rechnung ist mindestens so alt wie der Versandhandel selbst. Durch die zeitliche Divergenz zwischen Kaufvertrag und Lieferung der Ware bietet der Rechnungskauf den Kundinnen und Kunden zusätzliche Sicherheit. Erst kommt die Ware, dann folgt die Bezahlung per Rechnung mit einem festen Zahlungsziel. Betriebswirtschaftlich ist auch das schon eine Form des Kreditkaufs, wenngleich vermutlich die Wenigsten im Alltag den Kauf auf Rechnung mit dem Begriff „Kredit“ assoziieren werden. In Zeiten von Kreditkarten und boomendem Onlinehandel ist hingegen das Bezahlen am „Point of Sale“, während des Checkout-Prozesses im Onlineshop, die Regel geworden. Seit einiger Zeit wird man während des Bezahlvorgangs allerdings immer häufiger mit einer Frage konfrontiert: sofort zahlen oder in 30 Tagen?
Diese Frage kann verschiedene Reaktionen auslösen. Zunächst kommt die Erinnerung an das oben beschriebene, eher in Vergessenheit geratene Zahlungsziel. Das mag zu den mitunter recht kleinen Beträgen und Konsumgütern nicht so recht passen. Man könnte sich auch an der „Convenience“ freuen – heute etwas kaufen und zinslos erst viel später bezahlen – hat man die Ware bis dahin nicht wieder zurückgeschickt. Doch spätestens wenn auffällt, dass dieses freundliche Angebot, später zu bezahlen, nicht vom Händler, sondern von einer dazwischengeschalteten Zahlungsplattform kommt, lohnt es sich, das Modell einmal genauer zu hinterfragen.
Klarna, Affirm, Afterpay (Block Inc.), Paypal Credit oder zuletzt Apple Pay Later – BNPL hat sich binnen weniger Jahre zu einem der heißesten Trends bei Fintechs und etablierten Bezahlfirmen gleichermaßen entwickelt. Der US-Payment-Konzern Block hat sich die Übernahme der australischen Afterpay vergangenes Jahr 29 Mrd. US-Dollar kosten lassen. Klarna wurde in außerbörslichen Finanzierungsrunden in der Spitze mit rund 46 Mrd. US-Dollar bewertet, und der Börsenwert von Affirm lag Ende letzten Jahres in ähnlichen Größenordnungen. Zinslose Kleinkredite kurzer Laufzeit an Onlineshopper herauszureichen, klingt zunächst nicht nach einem Geschäftsmodell, das solche Bewertungen rechtfertigen würde.
Doch wie so oft in der digitalen Welt gilt auch hier: Nur weil Nutzer nicht direkt für eine Leistung bezahlen, heißt das noch lange nicht, dass nichts an ihnen verdient wird. Im Normalfall sind Daten die Währung für kostenlose Dienste im Internet. Daten, die es Werbetreibenden ermöglichen, individuell passgenaue Werbung auszuspielen, um die Kaufwahrscheinlichkeit zu erhöhen. Nach diesem Modell ist beispielsweise die gesamte Social-Media-Industrie aufgebaut. BNPL setzt weiter hinten in der Kette an einem Punkt an, der für den Onlinehandel aber mindestens genauso bedeutsam ist: der Conversion Rate im Checkout-Prozess. Zu viele potenzielle Käuferinnen und Käufer springen kurz vor dem finalen Kauf noch ab, und die Ware bleibt im virtuellen Einkaufskorb. An dieser Stelle möchte man aber keine Kunden mehr verlieren. Die Lösung? Das freundliche Angebot, zu kaufen, ohne zu zahlen – zumindest nicht für die nächsten vier oder sechs Wochen. Oder aber den Betrag von vielleicht 100 Euro nicht auf einmal, sondern in vier zinslosen Monatsraten von 25 Euro zu bezahlen.
Fragwürdiges Modell
Die Onlinehändler lassen sich diese Verbesserung ihrer Conversion Rate durchaus etwas kosten und sind bereit, einige Prozent Provision an den BNPL-Anbieter zu bezahlen. So weit ein normales Geschäft, an dem es wenig auszusetzen gibt. Problematischer ist die zweite attraktive Einnahmequelle der BNPL-Anbieter: die Strafzinsen derjenigen, die den Kaufpreis oder die entsprechende Rate bei Fälligkeit nicht zahlen können. BNPL ist besonders attraktiv in Käuferschichten geringerer Bildung und mit niedrigem Haushaltseinkommen. Das ist kein Vorurteil, sondern das Ergebnis einer Studie des amerikanischen Federal Reserve Boards aus dem Frühjahr. Unterhalb eines Einkommens von 50000 US-Dollar pro Jahr wird der Service doppelt so oft in Anspruch genommen wie darüber. Und rund 60% dieser Gruppe gaben in der Befragung an, BNPL genutzt zu haben, da sie sich das Produkt sonst nicht hätten leisten können. Und folgerichtig haben auch 23% dieser Gruppe ihr Zahlungsziel nicht einhalten können. Einige der Anbieter verzichten zunächst auf Strafzinsen, andere berechnen sogenannte „late fees“. Wer aber dauerhaft nicht in der Lage ist, seine Außenstände zu begleichen, der gerät in einen Abwärtsstrudel aus Schulden und Mahngebühren, aus dem es für viele kein Entkommen mehr gibt. Die besondere Beliebtheit von BNPL bei jungen Erwachsenen mit wenig bis keiner Erfahrung in Finanzdingen und der Schwerpunkt auf vermeintlich kleinere Konsumausgaben sind dabei die neuartigen Elemente, die massives Wachstum versprechen und Investoreninteresse hervorgerufen haben.
Wer ein solches Geschäftsmodell für moralisch fragwürdig hält, befindet sich allerdings in guter Gesellschaft. Die Bewertungen der betreffenden Unternehmen sind teilweise massiv eingebrochen in den vergangenen Monaten. Angesichts von Inflation, steigenden Energiepreisen und deutlicher Konjunkturabkühlung treten neben ethische Bedenken auch handfeste ökonomische Gründe.
Zuletzt erschienen:
Starker Dollar, schwache Euro-Wirtschaft (244), Assenagon
Japan – ein Land mit versteckten Schätzen (243), Comgest
Jumbo mit Siebenmeilenstiefeln (242), M.M. Warburg