Boomsegment Infrastruktur
Von Wolf Brandes, Frankfurt
Anlagen in Infrastrukturprojekte stoßen bei Investoren auf ein großes Interesse. Im vergangenen Jahr flossen in nicht notierte Infrastrukturfonds erneut zweistellige Milliardensummen. Alles deutet darauf hin, dass auch 2021 ein weiteres starkes Jahr wird – ungeachtet der anhaltenden Coronakrise und deren Auswirkungen auf die Volkswirtschaften.
Wie schnell Investments in Infrastruktur wachsen, zeigt eine Zusammenstellung der Zeitschrift „Infrastructure Investor“, in der die 50 größten Investoren aufgeführt sind. Demnach haben diese insgesamt eine Summe von 464 Mrd. Dollar in Infrastruktur investiert. Das waren rund 70 Mrd. Dollar mehr als vor einem Jahr. Die Hälfte des Kapitals entfällt auf die zehn größten Investoren.Zu den wichtigsten Spielern am Markt zählen institutionelle Anleger wie Pensionsfonds, Staatsfonds, Banken und Versicherungsgesellschaften. Mit einem Volumen von 24,2 Mrd. Dollar rangiert die Allianz im Ranking beispielsweise auf Platz vier der größten Infrastrukturinvestoren. Der Versicherer hat mittlerweile einen Anteil von 3,4% seiner gesamten Assets in dieser Assetklasse angelegt. Weitere große Investoren mit Sitz in Deutschland im Bereich Infrastruktur sind Talanx, Meag sowie die Bayerische Versorgungskammer.
Niedrige Korrelation
Die wachsende Beliebtheit von Infrastrukturanlagen ist in erster Linie stabilen Renditen, einer geringen Volatilität, der schwachen Korrelation mit anderen Anlageklassen und dem Ruf als möglicher Schutz vor Inflation zu verdanken, erläutert Roger Pim von der Fondsgesellschaft Aberdeen Standard Investments. Der Investmentfokus liegt auf den Bereichen Mobilität, Energiewende, soziale und digitale Infrastruktur. Das Geschäft boomt. Die Investmentgesellschaft Vauban Infrastructure Partners aus der Natixis-Gruppe sammelte zuletzt 2,5 Mrd. Euro für Projekte ein. „Die Nachfrage war derart groß, dass nicht alle interessierten Investoren zum Zuge kommen konnten”, sagte Gwenola Chambon, CEO von Vauban.
Ausweichreaktionen
Die enorme Nachfrage nach Projekten führt dazu, dass die Anleger zunehmend in kleinere und mittlere Investments ausweichen müssen. „Im unteren Midmarket-Segment, das nach unserer Definition Transaktionen mit einem Unternehmenswert von weniger als 500 Mill. Dollar umfasst, ist die Zahl der Transaktionen deutlich höher und der Wettbewerb vergleichsweise weniger stark“, erläutert Aberdeen-Infrastrukturexperte Pim. Sein Haus hat den Fokus zum Beispiel auf die Liberalisierung des europäischen Eisenbahnmarktes und die Umstellung auf neue Personenzugflotten gerichtet, was Chancen biete. Mit dem Fonds Aberdeen Standard Core Infrastructure III soll eine jährliche Rendite von 4 bis 5% erzielt werden.
Heiko Schupp, globaler Leiter für Infrastrukturinvestments bei Columbia Threadneedle, hält hinsichtlich der Größe der Unternehmen und Transaktionen ebenfalls vor allem das Mittelfeld für interessant, weil es „nicht so überlaufen sei“ wie andere Segmente.
Staat als Treiber
Die Anlageklasse profitiert zudem von den fiskalischen Stimuli infolge der Pandemie, die zum Teil für Infrastrukturausgaben genutzt werden. Beispielsweise im Bereich digitaler Infrastruktur. Die Zahl der Glasfaseranschlüsse in Deutschland habe sich zwar verdoppelt, sei aber immer noch bei weitem zu niedrig, urteilt Michael Pfennig, Co-Head of Infrastructure bei Allianz Capital Partners. „Wenn es vor dem Lockdown noch Zweifel gab, ob digitale Infrastruktur ebenso wie Gas-, Wasser- oder Stromversorger zur kritischen Infrastruktur zählt, so sind diese nun restlos ausgeräumt.“ Gleichzeitig hätten sich Investments in die kritische Infrastruktur während des Lockdowns als sehr widerstandsfähig erwiesen, so die Allianz.
Zusätzlich Auftrieb erhält die Branche durch die Hilfsprogramme in den USA und Europa, von denen das gesamte Marktsegment profitiert. In den USA sind über die kommenden Jahre verteilt rund 550 Mrd. Dollar an neuen Investitionen in Infrastruktur geplant. Einschließlich bereits veranschlagter Mittel hat das Paket einen Umfang von 1 Bill. Dollar. Das ist zwar weniger als die von Präsident Joe Biden anfangs genannten 2 Bill. Dollar, aber immer noch eine gewaltige Summe, die in die Modernisierung der teils maroden Schienen- und Wasserwege sowie Leitungen der USA fließen wird. BlackRock beziffert das zusätzliche Wachstum durch das Paket auf 0,4 bis 1,5% für die kommenden zwei Jahre.
Mit dem Next-Generation-Paket in Höhe von 750 Mrd. Euro wurde das größte Konjunkturpaket auf den Weg gebracht, das je aus einem EU-Haushalt finanziert wurde. „Man geht davon aus, dass 75% der Infrastruktur, die wir in Europa im Jahr 2050 benötigen werden, noch nicht einmal gebaut sind, was ein großes Spektrum an Möglichkeiten für Investoren bietet“, erläutert Pfennig.
Im Sog der staatlichen Infrastrukturprojekte sind private Investments erforderlich. Wie groß der Investitionsbedarf ist, zeigt allein das Segment Immobilien. Etwa drei Viertel der 220 Millionen Gebäude in der EU gelten als energieineffizient. „In Anbetracht dessen, dass Gebäude in der EU für 40 % des Energieverbrauchs verantwortlich sind, wird der Covid-19-Wiederaufbauplan der EU bedeutende Investitionen in ihre Modernisierung lenken“, sagt Ingrid Edmund, Infrastrukturmanagerin bei Columbia.
Politische Risiken
Gleichwohl bleibt der Ausblick für Infrastruktur ungewiss, wie die Experten Pim und Schupp gleichermaßen betonen. Sie verweisen auf politische und makroökonomische Unsicherheitsfaktoren, die Investoren im Auge behalten müssten. Im Vergleich zu anderen Sektoren wird im Bereich Infrastruktur viel mehr vom Staat vorgegeben und selbst verwaltet. Die attraktiven Renditen, die geringe Marktvolatilität sowie der Mangel an Anlagealternativen dürften dennoch zu einem anhaltenden Run der institutionellen Investoren auf die Anlageklasse führen.