„China bleibt investierbar“
Christopher Kalbhenn.
Herr Majoros, welche Risiken gehen für den chinesischen Aktienmarkt von China Evergrande aus?
Das ist eigentlich kein neues Thema. Bereits seit einigen Monaten gibt es bestimmte Indizien dafür, dass das Unternehmen in Schwierigkeiten geraten war. Es gibt keinen Grund dafür, dass dies nun unbedingt zu einer systemischen Krise in China und an den internationalen Finanzmärkten führen muss.
Aber es gibt ja noch eine Reihe anderer Gründe, aus denen die Investoren derzeit sehr skeptisch für den chinesischen Aktienmarkt sind.
Es gibt zwei Themen, die für die Investoren derzeit in China sehr relevant sind. Das eine ist die Regulierungswelle für bestimmte Bereiche der New Economy. Das andere ist, dass sich China in der wirtschaftlichen Verlangsamung befindet. Die kommenden makroökonomischen Daten werden nicht mehr so toll ausfallen wie in den zurückliegenden Quartalen. China bleibt aber nach unserer Einschätzung investierbar, solange man die notwendige Selektivität mitbringt.
Was treibt den die Behörden zu den rigiden Maßnahmen der letzten Monate an?
Nach unserem Verständnis sind die Maßnahmen, die bestimmte Bereiche betreffen, alles andere als irrational. Ein Thema der Behörden sind Quasi-Monopole in der Internetbranche. Sie wollen das unter Kontrolle kriegen beziehungsweise verhindern. Ein weiteres Motiv ist die Sozialabdeckung der Angestellten bei Internetfirmen, wie etwa von Fahrern bei Lieferdiensten. Viele Unternehmen der Branche zahlen keine Sozialleistungen. Gegen die Gamingbranche gerichtete Maßnahmen haben zum Ziel, dass Jugendliche nicht mehr so viel spielen. All dies sind Themen, die auch für Europa und Amerika relevant sind. Der Unterschied ist: In China fällt der Hammer, wenn es um Regulierung geht, weil das Land ein zentralistisches System hat. Diese Themen werden uns in Europa auch in der Zukunft verstärkt beschäftigen.
Warum ist China nach wie vor investierbar?
Zum einen glauben wir nicht, dass wir uns darauf einstellen müssen, dass Peking die großen Internetfirmen dauerhaft schwächen oder das private Eigentum beschneiden oder die Strukturen verändern will, die Börsengänge chinesischer Firmen im Ausland ermöglichen. Erstens stünde dies im Widerspruch zum langfristigen Ziel der Partei, den chinesischen Kapitalmarkt für Ausländer zu öffnen. In dieser Hinsicht hat China schon einiges umgesetzt. So ermöglicht der Shanghai-Hongkong-Connect einen einfacheren Zugang zum festlandchinesischen Aktienmarkt. Zudem verfolgt die Regierung das Ziel, den Yuan zu einer Art Reservewährung wie den Dollar zu machen. All dies würde durch extreme Maßnahmen konterkariert. Die Behörden wollen auch nicht verbieten, dass chinesische Unternehmen in Hongkong an die Börse gehen. Sie wollen Exzesse und Fehlentwicklungen korrigieren. Angesichts des Tempos, mit dem zuletzt Ankündigungen aufeinandergefolgt sind, sind wir der Auffassung, dass die Regulierungswelle möglicherweise bald zu Ende sein könnte. Ferner halten wir es für gut möglich, dass sich in den kommenden Monaten die Beziehungen zwischen den USA und China verbessern werden. Wir kommen von einem sehr niedrigen Niveau. Unserer Meinung nach ist es aber sehr gut möglich, dass sich die Beziehungen verbessern werden.
Sehen Sie dafür Anzeichen?
Das kürzlich von Joe Biden mit seinem Amtskollegen Xi Jinping geführte Telefonat ist so ein Indiz, auch die Tatsache, dass die Finanzchefin von Huawei nun Kanada verlassen durfte.
Riskiert China nicht einen Vertrauensverlust bei den internationalen Investoren, wenn einzelne Aktien durch Regulierungsmaßnahmen auf einen Schlag ein Drittel und teilweise sogar mehr an Wert verlieren?
Die Art der Vorgehensweise ist sicherlich fraglich. Aber wenn wir global investieren, müssen wir das nüchtern analysieren. Wir sehen weiterhin Opportunitäten am chinesischen Aktienmarkt.
Wo sehen Sie Opportunitäten?
Wir sehen in einigen Segmenten der New Economy, darunter im Internet-Bereich, einige Opportunitäten, die wir uns nicht entgehen lassen wollen. Wir sind in China beziehungsweise dort in der New Economy, zu der wir auch die Bereiche Technologie, Konsum und Internet zählen, übergewichtet. Diese Bereiche sind interessant. Wir vermeiden Unternehmen in zyklischen Sektoren und marode Staatsunternehmen. Es ist wichtig zu erwähnen, dass die New Economy von der Politik gefördert wird. Das ist ein Kernbestandteil des gewollten Umbaus der chinesischen Volkswirtschaft.
Welche weiteren Veränderungen plant die chinesische Regierung?
Die Regierung hat in den zurückliegenden zwei, drei Jahren erkannt, dass sie eine Reihe von Themen angehen muss, um ihre Ziele zu erreichen. So hat sie erkannt, dass sie im Halbleiterbereich investieren müssen. Der Fall Huawei zeigt, dass China eigene Kompetenzen haben muss, um eigenständig zu bleiben. Viele Maßnahmen, darunter auch die Regulierungsmaßnahmen, sind auch vor dem Hintergrund anstehender bedeutender politischer Ereignisse zu verstehen. Im Oktober 2022 steht die Bestätigung Xi Jinpings im Amt an. Das möchte die Regierung vorbereiten.
Welche größeren Positionen halten Sie?
Wir halten beispielsweise JD.com. Bei diesem Unternehmen handelt es sich um die Nummer 2 der chinesischen E-Commerce-Branche hinter Alibaba. Das Unternehmen hat aber ein ganz anderes Geschäftsmodell, das uns gefällt. Ferner zählt der Impfstoffhersteller Chongqing Zhifei Biologica im Gesundheitssektor zu unseren Top-Ten-Positionen.
Gibt es besondere große Themen, die Sie sich genauer anschauen?
Im Ausland redet man oft nur über Technologie und Regulierung. In China sind aber in den zurückliegenden Jahren viele andere Dinge geschehen. So wurde „China Care“ geschaffen, wodurch mittlerweile circa 1,4 Milliarden Chinesen eine vernünftige Krankenversicherung haben. Die Gesundheitskosten werden in China in den kommenden Jahren steigen, weil der Wohlstand der Bevölkerung wächst, weil es immer mehr Dienstleistungen in dem Bereich gibt und weil die Bevölkerung altert. Viele Unternehmen werden von diesen Entwicklungen profitieren. Hinzu kommt, dass durch die Krankenversicherung die privaten Haushalte entlastet werden, die bislang einen großen Teil ihres Einkommens sparen mussten, um für Krankheitsfälle vorbereitet zu sein. Die Familien werden dadurch mehr Geld für den Konsum ausgeben können. Davon werden unter anderem westliche Luxusgüterhersteller profitieren. Eine ähnliche Wirkung wird von dem von der Regierung angestrebten allgemeinen Wohlstand beziehungsweise der damit verbundenen Umverteilung ausgehen. Das wird der Mittelschicht zugutekommen, so dass künftig mehr Familien in der Lage sein werden, diese Luxustaschen zu kaufen.
Das Interview führte