Corporate Governance: Warum die Börse in der Pflicht ist
Wer mit südafrikanischen Wirtschaftsexperten über den Bilanzskandal beim Möbelhändler Steinhoff spricht, bekommt bisweilen Überraschendes zu hören. Wäre der deutsch-südafrikanische Konzern nur an der Börse in Johannesburg gelistet gewesen, heißt es, hätte es nicht so weit kommen können. Die Argumentation geht so: Die Börse in Johannesburg verpflichtet Unternehmen, hohe Corporate-Governance-Standards einzuhalten – die Steinhoff dank des Erstlistings in Frankfurt aber umgehen konnte, weil die südafrikanischen Vorgaben nicht für Unternehmen mit Zweitlisting gelten. Deshalb seien die Verantwortlichen mit fragwürdigen Strukturen und Prozessen durchgekommen. Lehren aus Steinhoff-SkandalSicher: Solche Aussagen sind hypothetisch und womöglich vom Stolz auf eigene Errungenschaften gefärbt. Aber sie sollten uns dennoch zum Nachdenken bringen. Denn die Südafrikaner treffen einen wunden Punkt, weil das deutsche Corporate-Governance-System mit seinem Kodex tatsächlich erhebliche Schwächen hat. Eine wesentliche Schwäche ist meines Erachtens, dass Unternehmen bei Verstößen nur selten rechtliche oder finanzielle Konsequenzen fürchten müssen – unser Corporate-Governance-Kodex gibt nur Empfehlungen, die aktienrechtlichen Eingriffsschwellen sind hoch, und die Mehrheit der Investoren schaut sowieso lediglich zu (und beschwert sich allenfalls, wenn die Dividende sinkt). Papier ist geduldigPrinzipien, die nur auf geduldigem Papier stehen, bringen aber wenig. Deshalb bin ich überzeugt: Auch in Deutschland sollten wir die Einhaltung von Corporate-Governance-Standards zur Bedingung für ein Listing machen. Das würde ihnen mehr Durchschlagskraft verleihen, weil Verantwortliche dann via Börsengesetz und Börsenaufsicht Konsequenzen fürchten müssten. Nicht umsonst entwickelt sich diese Systematik zum internationalen Standard; in immer mehr Ländern von Südafrika bis zu den USA werden Börsen zu Hütern der Corporate Governance. Neben der Durchschlagskraft sehe ich einen weiteren wichtigen Vorteil: Wir könnten auf diese Weise zugleich unsere Aktienkultur stärken, was mir kaum weniger dringlich erscheint. Denn was schafft langfristig mehr Vertrauen bei Aktionären als hohe Governance-Standards, zum Beispiel in Gestalt kompetenter und unabhängiger Aufsichtsräte? Die Vereinigung der Aufsichtsräte in Deutschland (VARD) hat deshalb bereits im vergangenen Jahr Governance-Standards für das neue Start-up- und Mittelstandssegment Scale gefordert. Denn wir sind überzeugt: Das würde die Bereitschaft erhöhen, in Start-ups und mittelständische Unternehmen zu investieren – zum Wohle des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Die Deutsche Börse sollte dieses Versäumnis jetzt korrigieren – für Scale und darüber hinaus. Prägnante PrinzipienDamit das Ganze funktioniert, kommt es natürlich entscheidend darauf an, welche Corporate-Governance-Standards wir definieren. Und auch hier lohnt sich ein Blick über den Tellerrand. So besteht der südafrikanische “King IV”-Kodex aus nur 17 prägnanten Prinzipien, die zwar durch Auslegungshinweise und Konkretisierungen ergänzt werden, Verantwortlichen aber dennoch wichtigen Spielraum lassen. Hierzulande hat sich der Kodex dagegen in den vergangenen Jahren zu einem zunehmend kleinteiligen Sammelsurium von Vorgaben, Hinweisen und Empfehlungen entwickelt, das viele Verantwortliche als bürokratisch und bevormundend wahrnehmen. Tummelplatz für JuristenNoch ärgerlicher und gefährlicher ist aus meiner Sicht, dass dies einen bürokratischen Habitus fördert: Vielerorts sind Juristen und nicht die Vorstände für das Thema Corporate Governance zuständig. Und oft werden die einzelnen Vorgaben und Empfehlungen abgehakt, statt zu überlegen und zu diskutieren, was im konkreten Fall das Beste für das Unternehmen wäre. Ich bin überzeugt: Die fehlenden Diskussionen sind ein wesentlicher Grund dafür, dass unsere Corporate-Governance-Kultur an ihre Grenzen gestoßen ist und dass wir 16 Jahre nach Inkrafttreten des Kodex immer noch zahlreiche Verstöße und Skandale erleben, die den jeweiligen Unternehmen schaden und bisweilen sogar das Vertrauen in die Soziale Marktwirtschaft untergraben. Wir müssen deshalb die unternehmerische Freiheit wiederbeleben und Verantwortlichen Spielräume für Diskussionen und maßgeschneiderte Strukturen und Prozesse geben. Damit würden wir sie stärker in die Verantwortung nehmen, statt sie in ein enges Korsett zu pressen – was meines Erachtens auch deshalb kontraproduktiv ist, weil man erwünschtes Verhalten sowieso nicht verordnen kann. “Apply and explain”Und keine Sorge: Das muss keineswegs bedeuten, dass Vorstände und Aufsichtsräte wieder machen könnten, was sie wollen – womit die soeben vorgeschlagene Rolle der Börse als Hüterin der Corporate Governance verpuffen würde. Denn parallel dazu könnten wir Unternehmen verpflichten, im Rahmen eines “Apply and explain”-Prinzips detailliert zu erklären, wie sie die Prinzipien umzusetzen gedenken. Sie müssten sie dann selbst mit Leben füllen und sich daran messen lassen – von Investoren und anderen Stakeholdern, aber eben vor allem auch von der Deutschen Börse als neuer Sanktionsinstanz. —-Peter H. Dehnen ist Rechtsanwalt und Vorstandsvorsitzender der Vereinigung der Aufsichtsräte in Deutschland e. V. (VARD). Der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder und ist keine Empfehlung der VARD . In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.—–Von Peter H. DehnenDie Deutsche Börse sollte Corporate-Governance-Standards zur Bedingung für eine Börsennotierung machen.—–