Anlagestrategie

Das Gebot der Stunde lautet auf Schadens­begrenzung

Das Gebot der Stunde für Kapitalanleger in diesen turbulenten Monaten lautet vor allem auf Schadensbegrenzung und „flight to quality“.

Das Gebot der Stunde lautet auf Schadens­begrenzung

Eine ungesunde Mischung braut sich in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern zusammen. Der Preisauftrieb ist in vollem Gange und mittlerweile ist auch bei der Europäischen Zentralbank (EZB) das mantrahafte Ausrufen der transitorischen Inflation einem bangen Blick in die Zukunft gewichen. Das Schadenpotenzial ist durch das viel zu späte Handeln der EZB bedrohlich angewachsen. Wollte man nach der Pandemie nicht durch einen zu frühen Zinsschritt Wachstumspotenzial verschenken, haben sich die Probleme durch das lange Zögern, spätestens seit dem Beginn des Ukraine-Krieges, um ein Vielfaches vergrößert. Die Kombination aus 8% Inflation und dramatisch sinkenden Frühindikatoren verheißt nichts Gutes für die kommenden Quartale. Reist man in diesen Sommermonaten durch Deutschland und spricht mit Unternehmen aus den verschiedensten Brachen, zeigt sich: Das Land funktioniert derzeit nicht so richtig. Nur viele haben es noch nicht wirklich bemerkt. Aktuell überwiegt bei den meisten Bürgerinnen und Bürgern die Freude über einen Sommer ohne coronabedingte Einschränkungen, trotz vermutlich rekordhoher inoffizieller Inzidenzen. Reisen, Konzerte, Restaurants und Cafés – das Leben findet wieder statt.

Die Probleme offenbaren sich bei einem Blick auf das Preis-Leistungs-Verhältnis. Wohin das Auge blickt: gestrichene Flüge, endlose Lieferzeiten, fehlendes Personal und daraus resultierende, deutliche Serviceeinbußen. In vielen kleineren Hotels öffnen die Restaurants, wenn überhaupt, nur noch tageweise. Kaum ein Unternehmen, das nicht händeringend Mitarbeiter sucht. Und bei Flugreisen hat, angesichts chaotischer Zustände bei der Abfertigung, der Begriff „Gepäck aufgeben“ eine ganz neue Bedeutung bekommen.

Sind das temporäre Probleme, die sich mit der Zeit von allein lösen? Oder sind es die Vorboten für noch deutlich schwerwiegendere Probleme, die auf uns zurollen? Vieles spricht leider für Letzteres. Haben die Nachholeffekte nach dem coronabedingten Lockdown in den vergangenen Monaten noch die Nachfrage getrieben, könnte sich das Bild bald umkehren. In vielen Industrien ist die sprunghaft gestiegene Nachfrage auf ein knappes Angebot getroffen. Auf breiter Front haben Produzenten und Dienstleister aus der Not eine Tugend gemacht und die Preise bis an die Schmerzgrenze erhöht. So kostet ein Flug von Frankfurt nach London in diesen Tagen nicht mehr 150 Euro, sondern regelmäßig mehr als das Dreifache. Produktionsausfälle und gestörte Lieferketten treiben auch in vielen anderen Industrien die Preise. In einigen Bereichen wird das sehr absehbar zu „demand destruction“ führen. Naturgemäß überall dort, wo Verzicht am einfachsten ist. Wer nicht bereit – oder ganz einfach nicht in der Lage – ist, für seine Reise, den Restaurantbesuch oder nicht notwendige Anschaffungen Preiserhöhungen im deutlich zweistelligen Bereich zu akzeptieren, der wird als Konsument notgedrungen streiken. Doch längst hat sich die Inflation auch tief in die unverzichtbaren Ausgaben gefressen. Noch bevor die große Energiepreiskeule im Winter viele Haushalte vor erhebliche Probleme stellt und inflationsindexierte Mietverträge nächstes Jahr zuschlagen, ist das Haushaltsbudget durch gestiegene Lebensmittelpreise und höhere Kosten in fast allen Lebensbereichen strapaziert.

In dieser Situation sieht sich die EZB jetzt gezwungen, den Geldhahn zuzudrehen. Das unnötig lange Zögern erfordert ein umso stärkeres Eingreifen. Die Sicherung der Geldwertstabilität ist oberster Auftrag der Zentralbanken und im Zweifel wird man auch eine Rezession in Kauf nehmen müssen, um dem dramatischen Kaufkraftverfall Einhalt zu gebieten.

Beim Blick zurück in die Vergangenheit kommt einem der Vergleich mit der Wirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre in den Sinn. In den „Goldenen 1920er Jahren“ hatten es viele Bürger zu einem gewissen Wohlstand gebracht, und die Warnzeichen einer sich abkühlenden Wirtschaft wurden lange ignoriert. Technologische Neuerungen, niedrige Arbeitslosigkeit und eine geringe Inflationsrate befeuerten Sorglosigkeit und Risikofreude. Am sogenannten Schwarzen Donnerstag im Oktober 1929 brach in den USA die Börse ein und innerhalb weniger Wochen fand der fast ein Jahrzehnt dauernde Aufschwung ein jähes Ende.

Vor allem Kleinanleger, die im Vertrauen auf stetig steigende Kurse kreditfinanziert spekulierten, verloren häufig ihre gesamten Ersparnisse. Unternehmen, die Kredite teils ebenfalls mit Aktien besichert hatten, gerieten in einen Abwärtsstrudel aus Liquiditätsengpässen und, aufgrund gesunkener Kaufkraft, rapide fallender Nachfrage. Der zwangsläufig nötige Personalabbau verstärkte dann die Abwärtsspirale weiter. Im Central Park entstanden Zeltstädte, wo diejenigen hausten, die ihre Mieten nicht mehr bezahlen konnten.

Auch für Deutschland waren die Konsequenzen fatal. Der Wiederaufbau Deutschlands erfolgte zu einem großen Teil mit US-amerikanischen Krediten, die von den notleidenden US-Banken nun plötzlich zurückgerufen wurden. Der Zusammenbruch der Wirtschaft traf die Bevölkerung hart. Bis 1933 wuchs die Arbeitslosenquote in Deutschland auf über 30%, und dem Extremismus wurde der Nährboden bereitet.

Der Crash ist schon da

Die Weltwirtschaftskrise von damals mag sich aus vielerlei Gründen nicht eins zu eins auf die heutige Zeit übertragen lassen. Die zugrundeliegenden Wirkmechanismen lassen sich allerdings auch nicht außer Kraft setzen. In riskanteren Anlage- bzw. Spekulationsklassen, wie vielen Technologieaktien, Spacs oder dem gesamten Kryptosektor, ist der Crash schon längst da. Die Kombination aus sinkendem Vermögenswert, massiven Kaufkrafteinbußen, weiter steigenden Warenpreisen und dem sich anbahnenden Energiepreisschock wird die pandemiebedingt aufgeschobene Übernachfrage in vielen Bereichen schon bald enden lassen. Die derzeit allgegenwärtigen Schilder „Personal gesucht“ könnten dann der Vergangenheit angehören. Das Gebot der Stunde für Kapitalanleger in diesen turbulenten Monaten lautet vor allem auf Schadensbegrenzung und „flight to quality“. Mut wird in solchen Marktphasen nicht belohnt.