Antje Schneeweiß

„Das schreckt Unternehmen nicht“

ESG-Investoren setzen zur Verfolgung ihrer Nachhaltigkeitsziele regelmäßig auf Engagement. Antje Schneeweiß konzentriert sich dabei auf den kritischen Dialog­ mit den Unternehmen. Themen waren zuletzt unter anderem die Förderung von Metallen für die Autoindustrie und Kinderarbeit in der Textilwirtschaft. Stärker als auf Desinvestment setzt sie auf den moralischen Druck.

„Das schreckt Unternehmen nicht“

Wolf Brandes.

Frau Schneeweiß, viel ist von Nachhaltigkeit und ESG die Rede, von Kriterien, grüne Aktien und Anleihen auszuwählen. Sie wollen zusätzlich Einfluss auf die Börsenfirmen nehmen und über Engagement etwas bewegen. Was ist Ihr Ansatz?

Es gibt im Wesentlichen zwei Wege beim Engagement. Das ist zum einen die Stimmrechtsausübung sowie die Auftritte auf Hauptversammlungen und zum anderen der Dialog mit dem Unternehmen. Wir setzen auf den kritischen Dialog, der langfristig wirkt und bei dem wir Themen platzieren können, die zu uns passen.

Warum nicht wie viele andere den Weg über Stimmrechte und Hauptversammlungen?

Das ist viel aufwendiger, als man denkt. Wir vertreten eine Vielzahl von kirchlichen institutionellen Investoren, die in Hunderte von Aktien investiert sind. Das wäre eine logistische Herausforderung. Wenn man es macht, muss man es richtig und für alle Titel machen. Beim Engagement über Gespräche können wir viel selektiver vorgehen und bei Themen ansetzen, die besonders drängend sind. Für den Bereich Stimmrechtsausübung gibt es auch zahlreiche Dienstleistungsunternehmen. Allerdings wenden einige unserer Mitglieder über spezialisierte Dienstleister ihre Stimmrechte im Sinn von ökologischen und sozialen Anliegen aus.

Ganz ohne eine Drohkulisse und Eskalationsstufen kommt man beim Dialog vermutlich nicht aus. Wie aggressiv oder defensiv gehen Sie vor?

Die unter ESG-Kriterien schlimmsten Unternehmen haben wir durch die Regeln im Leitfaden von vorneherein ausgeschlossen. Bei einem Unternehmen, das geächtete Waffen herstellt, braucht man kein Dialog zu führen. Wir werden schon sehr nachdrücklich, wenn Gespräche grundsätzlich verweigert werden. Aber die große Keule mussten wir bisher nicht schwingen. Wir haben einen thematischen Ansatz und konzentrieren uns auf Aspekte, bei denen wir ein besonderes Wissen haben und die auch ein kirchliches Anliegen ist.

Zum Beispiel?

Etwa das Thema existenzsichernde Löhne in der Textilindustrie. Das wird von anderen Investoren nicht so bearbeitet und verlangt Spezialwissen. Beispielsweise braucht man konkrete Listen von Lohnabrechnungen von ausländischen Betrieben, mit denen wir dann die Unternehmen konfrontieren.

Da waren Sie dann im Dialog mit Unternehmen wie Hugo Boss und haben denen Lohnlisten auf den Tisch gelegt?

Ja, das war eine der Firmen. Und richtig ist: Engagement funktioniert über Fakten. Sich nett mit der Investor-Relations-Abteilung an den Tisch zu setzen, bewegt gar nichts. Ein anderes Thema betrifft die Gewinnung von Metallen in der Automobilindustrie. Dabei geht es beispielsweise um Lithium, das ein Grundstoff für die Elektromobilität ist. Beim Abbau sind wiederum Menschenrechte gefährdet. Für solche Themen holen wir uns externe Mitstreiter an Bord, in dem Fall Brot für die Welt und das Institut Südwind. Die Unternehmen sind durchaus sehr interessiert an einem sachlichen Dialog und an unabhängigen Studien.

BMW bezieht ab 2020/21 kein Kobalt mehr aus dem Kongo. Sind das Beispiele, wo Sie die Unternehmen auf Umwelt- und Menschenrechtsprobleme bzw. Kinderarbeit hingewiesen haben?

Das ist richtig. Es ist für uns außerdem immer das Ziel, dass die Unternehmen in bestimmten nachhaltigen Industrievereinigungen wie der internationalen Initiative für verantwortlichen Bergbau (IRMA) Mitglied werden und das haben wir in einigen Fällen erreicht.

Das Thema Kobalt ist nicht ganz neu. Wie lange sprechen Sie mit den Unternehmen?

Solche Dialoge laufen über einen Zyklus von zwei Jahren. Einerseits wollen wir sehen, dass sich etwas entwickelt. Das braucht eine Zeit und das wollen wir auch prüfen. Andererseits würde es ermüdend werden, wenn man noch länger spricht und stets das gleiche Thema auf den Tisch legt. Es gibt keinen Mehrwert, die Punkte zu wiederholen und insofern ist es auch nicht sinnvoll, nach drei oder vier Jahren immer wieder mit dem gleichen Thema zu kommen.

Haben Sie im Rahmen des Engagements auch Position von besonders problematischen Unternehmen reduziert oder sind Sie ganz ausgestiegen?

Das ist bisher nicht vorgekommen. Man muss aber sagen, dass es von vorne rein Ausschlusskriterien gibt. Bei solchen Unternehmen haben wir keine Position in den Beständen unserer Investoren.

Engagement als Investor im Dialog mit den Aktiengesellschaften geht selektiv vor. Wie wählen Sie die Themen aus?

Idee und Anregungen kommen oft von Partnern, also Nicht-Regierungs-Organisation, mit denen wir zusammenarbeiten. Es geht uns um Themen, die Menschen bewegen, die insbesondere benachteiligte Menschen bewegen. Das sind aus Sicht der Finanzmärkte vielleicht ungewöhnliche Themen, aber da unterscheiden wir uns von anderen Engagement-Akteuren.

Wie viele Gespräche führen Sie im Jahr?

Das ist überschaubar, etwa zehn. Hinzukommen spezielle Initiativen im Klima-Engagement, sodass wir auf insgesamt 20 Themen in einem Jahr kommen.

Wenn ich es richtig verstehe, sind die Druckmittel im Rahmen von Engagement gering?

Prinzipiell ist das Druckmittel das Desinvestment einer Position. Das wird ein Unternehmen aber nicht besonders schrecken. Das andere Mittel ist der moralische Druck, den man besonders als kirchlicher Investor aufbauen kann.

Sind die Positionen bei den Aktien in der Summe zu klein, um mit Verkaufsabsichten eine Drohkulisse aufzubauen?

Es ist nicht nur eine Frage der Größe. Als kirchliche Investoren bewegen wir einen zweistelligen Milliardenbetrag und sind damit verglichen mit anderen Investoren eher klein. Aber auch der norwegische Pensionsfonds als einer der größten institutionellen Anleger der Welt hat nicht immer Erfolg mit seinen Forderungen. So konnte er das Unternehmen Walmart nicht zur Herausgabe bestimmter Unterlagen bewegen. Ich kenne allerdings ein Beispiel, bei dem es seinerzeit um Bayer und Kinderarbeit ging. Damals hat der norwegische Pensionsfonds maßgeblich dazu beigetragen, dass das Unternehmen Kinderarbeit in Indien eingestellt hat. Dabei war es weniger die Ankündigung, dass der norwegische Pensionsfonds aussteigt, sondern dass er dies öffentlich macht. Der Fonds hat aber eine Negativliste und auf der möchte ein Unternehmen nicht stehen. Daran orientieren sich auch andere skandinavische Pensionsfonds.

Was sind Unterschiede zwischen den kirchlichen Investoren und dem norwegischen Pensionsfonds in Sachen Engagement?

Dort gibt es ein sehr strenges System, wann und wie Engagement durchgeführt wird. Das ist alles genau reguliert. Wir sind da deutlich freier und können Themen auswählen und qualitativ gewichten.

Die Eintrittskarte in den Dialog sind also in erster Linie die Aktien Ihrer Mitglieder. Machen Sie das bei Anleihen gleichermaßen?

Der Schwerpunkt des Engagements liegt auf Aktieninvestments. Das betrifft indirekt Unternehmensanleihen. Unsere Investoren sind auch in Länderanleihen investiert. Doch die Branche tut sich mit dem Engagement bei Staaten schwer. In vielen Fällen sind es demokratische Länder, die von ihren Bürgern gewählt wurden und insofern halten wir uns zurück. Natürlich gibt es Länder wie Weißrussland oder Kasachstan, die sehr kritisch gesehen werden, die aber wiederum durch die Ausschlusskriterien nicht für eine Investition in Frage kommen. In der Praxis spielt das Engagement bei Staatsanleihen eine sehr untergeordnete Rolle.

Das Interview führte

BZ+
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