IM INTERVIEW: FRANZ WEIS, COMGEST

"Das Wachstum kann nicht ständig besser werden"

Der Fondsmanager über den Handelskonflikt der USA mit China, über europäische Aktien und warum höhere Zinsen für die Bewertung nicht entscheidend sind

"Das Wachstum kann nicht ständig besser werden"

Der französische Vermögensverwalter Comgest setzt im Flaggschifffonds European Growth auf substanzstarke, kontinuierlich wachsende Aktien. Fondsmanager Franz Weis erläutert, warum er den Handelskonflikt zwischen den USA und China sorgenvoll betrachtet, aber dennoch an Aktien festhält.- Herr Weis, wie sieht am europäischen Aktienmarkt die Chancen- und Risikoverteilung derzeit aus?Fundamental gesehen gibt es in Europa endlich die erwünschte und erhoffte Wachstumsphase. Großbritannien ist da die Ausnahme von der Regel. Europäische Unternehmen haben erstmals seit zehn Jahren ordentliches Gewinnwachstum geliefert, wobei ein Teil auf die Erholung in der Rohstoff- und Energiebranche zurückging. – Wie teuer oder günstig sind die Märkte derzeit?Weil die Zentralbanken immer noch Geld in die Wirtschaft pumpen, wenn auch nicht mehr so stark wie früher, ist es keine Überraschung, dass die Bewertungen über dem Durchschnitt liegen. Der europäische Aktienmarkt ist nicht billig, aber auch andere Assetklassen sind dies nicht. Die Frage ist, ob es Alternativen zu Aktien gibt. Ich glaube nicht, denn am Aktienmarkt findet man wenigstens Wachstum. Die Frage ist, wie lange das robuste Gewinnwachstum weiterlaufen kann – das Momentum hat sich in den vergangenen Monaten etwas abgeschwächt. Da die Investoren zugleich auf Inflation und Zinsen achten, kann dies zu Volatilität führen. Diese ist nicht überzubewerten, zeigt aber Nervosität.- Welche Rolle spielt der Handelskonflikt zwischen den USA und China? Ist dies nur viel Lärm oder eine reale Bedrohung für das Wirtschaftswachstum?Das ist in erster Linie viel Lärm, kann aber Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben. Es ist schon einige Jahre her, seit Adam Smith überzeugend erklärt hat, warum der Austausch von Gütern und Dienstleistungen ein positives Ereignis für alle Beteiligten ist. Welthandel bringt uns alle voran, auch wenn das nicht alle kapiert haben. Die Gefahr ist, dass es zu Vergeltungsmaßnahmen kommt. Die gewisse Angst teile ich, dass sich dies früher oder später negativ auf das Wachstum und damit auch auf das Gewinnwachstum von Unternehmen auswirkt – namentlich von solchen, die vom Welthandel profitieren. Ich denke da zuerst an Test- und Inspektionsunternehmen wie SGS oder Intertek oder an Logistikunternehmen.- Eine Eskalation würde zu einer Korrektur an den Märkten führen?Es kann dazu führen, dass die Wirtschaft etwas weniger schnell wächst. Ob ein Risiko besteht, dass dies schleichend oder rasch geschieht, ist aber schwierig zu sagen.- Mit Blick auf die angesprochene nicht günstige Bewertung empfiehlt sich Zurückhaltung?Der europäische Markt liegt bei einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von über 15, das langfristige Mittel beträgt eher rund 14. Solange die Unternehmen die hohe Erwartungshaltung in puncto Gewinnwachstum erfüllen, ist dies kein Problem. Der Markt ist aber etwas anfälliger auf Enttäuschungen. Wird das laut Konsensschätzungen 9 bis 10 % betragende Gewinnwachstum umgesetzt, kann der Markt weiter steigen. Kommen aber Zweifel aus, sei dies wegen einer Konjunktureintrübung oder einer Eskalation des Handelskonflikts, sind Rückschläge möglich. Die Luft wird dünner, denn das Wachstum kann nicht ständig besser werden. Insgesamt sehe ich aber keine großen Risiken für die Börse, es sei denn, es kommt etwas Unerwartetes – was immer denkbar ist.- Die US-Notenbank hat eine Normalisierung ihrer Zinspolitik eingeleitet. Welche Rolle spielen weiter steigende Zinsen für die Aktienbewertung?Das ist kein entscheidendes Element. Steigende Zinsen sind ja ein Zeichen dafür, dass die Wirtschaft wächst. Wir machen uns wieder Gedanken über Inflation. Damit muss der Markt natürlich erst einmal auch psychologisch fertig werden. Das kann auch Auswirkungen auf die Attraktivität von anderen Assetklassen gegenüber Aktien haben. Doch sollten die Zinsen weiter steigen, wäre dies ein Zeichen, dass die Inflation zurückkommt und die Preise weiter steigen. Unternehmen können die Preise erhöhen, während Verbindlichkeiten weniger wert werden, was für Aktien und gegen Renten spricht. Wenn also die Teuerung zurückkommt, ist dies auch positiv für bestimmte Unternehmensgeschäftsmodelle. – Steigende Zinsen wären also kein Problem für Aktien?Es kommt auf das Wachstum an – wenn ein Unternehmen in der Lage ist, den Gewinn um 10 bis 15 % p. a. in den kommenden Jahren zu wachsen, spielt das Zinsniveau nur eine geringe Rolle. Das Potenzial, das durch das Gewinnwachstum entsteht, wird durch einen etwas höheren Diskontsatz nur marginal geschmälert. Wir haben übrigens auch in den vergangenen Jahren immer mit einem langfristigen Zinssatz von 2 % gerechnet. Wir stehen da auf der konservativen Seite. Ich bin nicht der Meinung, dass steigende Zinsen schlecht sein müssen für Aktien von Unternehmen, die als hochqualitativ betrachtet werden. Wir sind immer voll investiert und machen kein Market-Timing.- Das gilt auch für kapitalintensive Geschäftsmodelle?Steigende Zinsen mögen schlecht sein für Unternehmen, die nur stabile, aber nicht steigende Gewinne liefern, wie Telekom- oder Versorgeraktien. Um mit den steigenden Anleiherenditen konkurrieren zu können, müssen sie höhere Dividendenrenditen liefern, ergo muss der Kurs sinken – denn in diesen Branchen ist Gewinnwachstum kaum möglich.- Worauf achten Sie besonders in Ihrer Auswahl?Wir achten auf die Solidität der Bilanzen. Die Verschuldung muss gut strukturiert sein, und die Unternehmen müssen freie Cash-flows erzielen. Deswegen hatten wir in der Krise kein Problem, wir haben aus bilanztechnischen Gründen kein Unternehmen verkauft. Die Bilanzen sind heute gesünder. Wir investieren in Unternehmen, die Gewinnwachstum aufgrund fundamentaler Wertschöpfung, also dauerhaftem Umsatzwachstum, erzielen. Kostensenkungen reichen dazu nicht aus. Es braucht organisches, regelmäßiges Umsatzwachstum. Wir halten auch Aktien von Unternehmen, die mehr Cash-flow erzielen, als sie investieren, aber solange wir der Meinung sind, dass sie genügend investieren, um ihr Wachstum aufrechtzuerhalten, spricht nichts dagegen, wenn die Bilanz in Maßen optimiert wird und in mäßigem Umfang Aktien zurückgekauft werden. – Wo findet sich diese Art von Wachstum – eher bei kleineren oder auch bei größeren Unternehmen?Es findet sich bei allen Größen. Bei kleineren mehr, da es einfacher ist, von einer geringeren Ausgangsbasis zu wachsen, weil sie noch Marktanteile gewinnen und international wachsen können. Bei sehr großen Unternehmen wie Nestlé ist es schwierig, das Wachstum aufrechtzuerhalten, wenn nicht die Unternehmensstruktur verändert wird. Das gilt auch für Unilever. In der zweiten oder dritten Reihe findet sich teilweise mehr Wachstum, doch gibt es auch höhere Risiken, weil rasantes Wachstum doch einige operationelle Herausforderungen mit sich bringen kann. – Beschäftigen Sie sich mit den Folgen der Digitalisierung?Ja, weil sie Geschäftsmodelle bedroht. Die Modekette H & M, deren Aktien wir lange im Portfolio hatten, gelang es etwa bisher nicht, die Digitalisierung erfolgreich ins eigene Geschäftsmodell zu übernehmen. Früher war H & M an allen wichtigen Lagen mit Geschäften vor Ort, doch heute kaufen die Menschen immer mehr über das Smartphone ein. Ein Wettbewerbsvorteil ist also verloren gegangen. Es gibt aber auch Chancen. Der Wettbewerber Inditex ist diese Herausforderung lange nicht angegangen, aber als sie umgeschwenkt haben, geschah dies sehr entschieden, und nun ist Inditex sehr erfolgreich im Internet unterwegs. Es gibt auch andere Geschäftsmodelle, die von einer Digitalisierung profitieren, wie von Asos oder Zalando, die nur über das Internet arbeiten. Im vergangenen Jahr haben wir Asos gekauft, weil wir nicht nur glauben, dass das Unternehmen stark wächst, sondern auch die Langlebigkeit hat, und Markteintrittsbarrieren hat, die andere Wettbewerber nicht haben. Zalando verfolgen wir, das Unternehmen macht sich sehr gut, aber wir sind nicht investiert.- Was haben Sie sonst für Titel im Portfolio?Teils aufgrund der Digitalisierung haben wir auch keine Autounternehmen im Fonds. Die ganze Branche ist bedroht von batteriebetriebenen Autos und selbstfahrenden Fahrzeugen. Wenn neue Wettbewerber in den Markt eintreten, kann über Nacht die Profitabilität und Wettbewerbsvorteile verschwinden – wir achten deshalb sehr auf Markteintrittsbarrieren. Unsere größte Position ist derzeit der IT-Dienstleister Amadeus. Wir finden, das Unternehmen liefert sehr gutes Wachstum, weil die Zahl der Flugpassagiere jährlich um 4 bis 5 % steigt. Das generiert eine Menge Cash, und Amadeus investiert diese Mittel wieder, um neue Lösungen anzubieten. Seit vergangenem Jahr gibt es eine effiziente IT-Lösung für Hotels, um eine gute Zimmerauslastung und die Preisstruktur zu optimieren zu erreichen, weshalb wir erwarten, dass das Wachstum langfristig weitergeht. Wir mögen auch eine Wirecard, die Zahlungslösungen anbietet. – Beide Titel sind aber bereits sehr gut gelaufen.Ja, aber die Bewertungen sind auf einem Niveau, das haltbar ist, wenn das Wachstum durchkommt. – Auf welche Unternehmen setzen Sie sonst noch?Essilor bleibt eine große Position, wir haben grünes Licht der meisten Wettbewerbsbehörden für die Übernahme von Luxxotica. In China steht sie noch aus, das wäre sehr überraschend, wenn es dort ein Problem gebe. Beide Unternehmen haben eine genaue Vorstellung, wie es weitergehen soll. Beide dürften ihr Wachstum wieder beschleunigen. Die Innovationskraft kann durch die Kombination von Gestell und Brillenglas gestärkt werden, etwa durch eine gemeinsame Spritzgussform. Das ist so wie beim Toilettenhersteller Geberit: Wenn Sie die Technik vor der Wand – durch Sanitec – mit dem Mechanismus hinter der Wand kombinieren, bieten sich neue Lösungen an. Wir haben 2017 auch den Spezialchemiekonzern Sika gekauft, und wir halten Fresenius für attraktiv. Wir halten die strategische Zielrichtung des Zukaufs von Akorn für sinnvoll, fragen uns aber, warum Fresenius gerade auf dieses Unternehmen setzt. Um dem Preisdruck in den USA zu begegnen, will Fresenius ein Gesamtanbieter werden und braucht einen guten Vertrieb. Akorn ist in unseren Augen für Fresenius nicht der beste Partner.- Welche deutschen Titel halten Sie derzeit?Wir sind auch in SAP investiert sowie im Triebwerkspezialisten MTU Aero. Da sehen wir trotz gestiegener Kurse keinen Anlass zu Vorsicht. – Was ist von Versicherern zu halten? In einem Umfeld steigender Zinsen wären sie vielleicht interessant.Wir haben einige Versicherer in unserem Asienfonds, etwa in China. Dort gibt es im Lebensversicherungsgeschäft eine starke Nachfrage und es findet sich Wachstum. Anders in Europa, da gibt es bereits eine hohe Abdeckung, auch seitens der Altersvorsorge-Angebote der Unternehmen. Die Sachversicherung wiederum ist sehr zyklisch, es geht um Marktanteilskämpfe und Preiskämpfe. Versicherer als Spekulation auf steigende Zinsen zu kaufen erscheint uns nicht angebracht. Wir wissen nicht, wie schnell und wie stark die Zinsen steigen, und wir wollen keine Makro-Vorhersage treffen.- Wo sieht es weniger gut aus?Bei den Energie- und Rohstofftiteln sowie bei den Banken sind wir bisher nicht fündig geworden. Wir hatten noch nie eine Bank im europäischen Fonds, haben aber 2017 in die Leasinggesellschaft Grenke investiert. Da sind die Risiken überschaubar. Bei Rohstoffen investieren wir nicht in Öl- oder Metallproduzenten, sondern in Christian Hansen, die Kulturen für Käse- und Joghurtproduktion anbietet, aber trotzdem vom Aktienindex als Rohstoffproduzent eingestuft werden. Gute Wachstumsmodelle finden wir auch in der Gesundheits- und IT-Branche, aber das sind unterschiedliche Geschäftsmodelle. Seien dies Hörgeräte, Onkologie-Produkte, Brillengläser oder Altersheime. – Spielt die Blockchain-Technologie in Ihrem Portfolio eine Rolle?Das ist eine interessante Technologie, die auch von einigen Unternehmen analysiert wird. Der Bankensoftwarehersteller Temenos etwa untersucht den Einsatz der Blockchain in der Banken-IT. In der Praxis wird das noch kaum umgesetzt. Wir machen uns schon Gedanken, ob Geschäftsmodelle gefährdet werden könnten oder ob die Blockchain auch Chancen bietet, bisher hat dies aber zu keinen Konsequenzen geführt. – Derzeit macht der Übernahmekampf um den Marktinfrastruktur-Anbieter Fidessa Schlagzeilen. Temenos wird überboten – was sagen Sie dazu?Wir haben Temenos im Opportunity- und Smaller-Companies-Fonds. Wegen der hohen Bewertung haben wir die Position schon stark reduziert. Die Akquisition wäre groß, und in unserem risikoaversen Ansatz erachten wir große Zukäufe immer als Risikoquelle. Rein strategisch sind wir nicht so überzeugt, dass Handelssystemlösungen und Investment-Management-Lösungen mit Core-Banking-Software so große Synergieeffekte von der Kunden- und Umsatzseite erzielen werden.—-Das Interview führte Dietegen Müller.