„Defensive Laufzeiten sind gefragt“
Kai Johannsen.
Herr Andryeyev, wie hat sich die Stimmung der Investoren und Emittenten am europäischen Corporate-Primärmarkt unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges verändert?
Das war ein Schock für alle, denn es war natürlich niemand wirklich auf so etwas vorbereitet. Es gab am Markt zunächst eine deutliche Zurückhaltung der Emittenten. Das beschäftigt den Markt natürlich weiterhin, aber der Markt hat sich damit auch ein Stück weit arrangiert. Man hat natürlich auch analysiert in der Zwischenzeit, welche Unternehmen in welchem Ausmaß davon betroffen sind. Diese Zurückhaltung ist im Laufe der Zeit wieder zurückgegangen, und die Märkte funktionieren auch wieder einwandfrei.
Welche Spread-Entwicklung hat der Primärmarkt durch den Ukraine-Krieg erfahren?
Der Ukraine-Krieg hat zu einer Ausweitung der Credit-Spreads geführt. Die Inflationsthematik hatten wir ja schon vorher im Markt, aber durch den Krieg hat die Inflation ja nochmals einen Schub erfahren. Die Marktteilnehmer mussten in der Folge ja auch noch einpreisen, dass es nun auch Reaktionen der Zentralbanken darauf geben wird. Und die Märkte stellen sich ja nun auch nach der jüngsten Zinssitzung der EZB und den Äußerungen der Verantwortlichen darauf ein, dass es im Juli hierauf eine Reaktion in Form einer Leitzinserhöhung geben wird. Die Ukraine-Krise war insofern nochmals ein weiterer Trigger für diese Notenbankreaktion in Sachen Inflation.
Wie hat sich das Emissionsgeschehen in den vergangenen Wochen, auch unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges, entwickelt?
Zunächst war am Markt eine gewisse Ruhe eingekehrt. Im Laufe der Wochen sind die Emissionen dann aber sukzessive in den Markt zurückgekehrt. Es gab dann ja auch die Signale, dass die Investoren durchaus auch wieder bereit sind, neue Bonds zu kaufen. Emittenten sind dann auch wieder schneller in den Markt zurückgekehrt. Es war ein gewisses Frontloading zu beobachten, also es wird das Funding verstärkt in der ersten Jahreshälfte vorgenommen, und viele Adressen wollen eben nicht bis zur zweiten Jahreshälfte warten, sondern einen Teil des Refinanzierungsbedarfs schon frühzeitig realisieren. Das war insbesondere von Mitte März bis in die erste Mai-Hälfte zu beobachten. Viele wollten in den Markt und das so schnell wie möglich. Aber die Emittenten mussten auch etwas höhere Aufschläge bezahlen.
Wie stufen Sie die Liquiditätssituation der Firmen in Europa ein?
Das ist natürlich etwas schwer einzuschätzen, aber wir hatten schon den Eindruck, dass die meisten Unternehmen am Jahresanfang schon gut mit Cash ausgestattet waren. Das hat sich so auch nicht verändert. Es gab einige Unternehmen, etwa aus dem Versorgerbereich, wo der Liquiditätsbedarf etwas höher war. Da spielte auch die Rohstoffpreisentwicklung und die Volatilität von Rohstoff- und Energiepreisen eine Rolle. Das wurde aber auch gut refinanziert. Insgesamt glauben wir nicht, dass für die Unternehmen in Europa Liquidität ein Problem ist.
Welche Branchen haben am Primärmarkt derzeit eher das Nachsehen, haben also mit ausgeweiteten Spreads zu kämpfen?
Das sind in erster Linie alle Unternehmen, die einen starken Rohstoffbezug haben. Zu nennen sind hier die Versorger wegen der Energiepreisentwicklung. Ölfirmen gehörten auch dazu. Die haben auch eine Beruhigung des Marktes abgewartet. Mit ausgeweiteten Spreads hat aber auch der gesamte Real Estate Bereich zu kämpfen. Diese Firmen leiden in erster Linie unter den höheren Zinsen, was natürlich die Immobilienkäufe verteuert.
Wie wirkt sich die erwartete Zinserhöhung der EZB auf das Marktgeschehen – Primär- und Sekundärmarkt – der Corporates aus?
Das große Thema ist gewesen, dass alle so schnell wie möglich an den Markt kommen wollten. Das gilt für Unternehmen und Banken gleichermaßen. Denn alle wollten natürlich noch die Phase mitnehmen, in der die EZB durch die Ankaufprogramme für Bonds am Markt aktiv ist. Das hat natürlich das Emissionsgeschehen deutlich belebt. Die nun anstehenden Zinserhöhungen der EZB bedeuten natürlich für die Unternehmen verschlechterte Konditionen in Zukunft. Viele Adressen haben das aber antizipiert und haben sich gegen diese Zinssteigerungen per Swaps abgesichert. Das haben wir schon Ende vergangenen Jahres und auch Anfang dieses Jahres gesehen. Der Anstieg der risikolosen Zinssätze in der Größenordnung von 150 bis 170 Basispunkten ist für die meisten Adressen unserer Einschätzung nach nicht ein Riesenproblem auf der Refinanzierungsseite. Viele sind eben auch sehr früh an den Markt gekommen.
Welche Laufzeiten werden in diesem Zinsumfeld und dem erwarteten EZB-Zinsumfeld sowie der höheren Bondrenditen am Markt seitens der Unternehmen angesteuert?
Durch den Ukraine-Krieg und durch die erwarteten Leitzinserhöhungen werden von der Buy Side, also auch von den Real Money Accounts, eher die etwas defensiveren Laufzeiten angefragt, also im Bereich von drei bis sieben Jahren. Wir haben dieses Jahr von den Unternehmen noch keinen 30-jährigen Bond gesehen. Es gab eine 20-jährige Laufzeit und nur sehr wenige Anleihen mit Laufzeiten zwischen zwölf und 20 Jahren. Der Grund ist, dass die Nachfrage hier einfach sehr gering ist. Die Investoren wollen eher in die kürzeren bis mittleren Fälligkeiten. Da sehen wir derzeit die stärkste Nachfrage.
Wie sieht es aus mit der Fälligkeitenstruktur und dem Nachschub an Anleihen seitens der Unternehmen insgesamt aus?
Unternehmen versuchen verständlicherweise, dort zu emittieren, wo die Nachfrage des Marktes ist. Wir sehen auf der Emissionsseite der Unternehmen auch keine Probleme. Manche Adressen haben höhere Investitionsausgaben, dort gab es dann auch etwas längere Laufzeiten. Die niederländische Tennet etwa hat Bonds mit Laufzeiten von bis zu 20 Jahren gebracht. Die Unternehmen können ihre Fälligkeiten derzeit doch noch sehr gut steuern. Viele sind sehr konservativ aufgestellt und arbeiten doch sehr weit vorausschauend. Die Investoren zeigen Appetit auf diese Bonds; ich sehe dort keinen Mismatch.
Wie gut laufen derzeit noch Hybrid-Bonds der Unternehmen?
Da ist die Marktsituation nicht ganz so gut. Die sogenannten High-Beta-Produkte laufen in dem gegenwärtigen Umfeld schwieriger. Einen Hybrid-Bond haben wir zuletzt Ende März gesehen. Danach war der Markt erstmal auf Eis gelegt. Das gilt aber nicht nur für die Unternehmen, sondern auch für die Banken. Letztere emittierten mehrere Wochen auch praktisch keine Tier-1- oder Tier-2-Anleihen. Für solche Produkte braucht man einfach Ruhe im Markt. In den vergangenen drei bis vier Wochen waren die Spreads im Corporate-Markt nun stabil. Von den Unternehmen haben wir aber noch keine Hybrid-Anleihen gesehen. Bei den Banken laufen diese Emissionen vereinzelt wieder an. Investoren sind auch wieder bereit, sich High-Beta-Produkte anzusehen, und deshalb will ich auch nicht ausschließen, dass die Unternehmen in den kommenden Monaten wieder Hybride emittieren werden.
Wie stufen Sie die Entwicklung derzeit bei den Green Bonds der Unternehmen ein?
Das ist ohne Frage weiterhin ein großes Thema am Markt. Das Produkt ist im Markt fest etabliert, und die Investoren fühlen sich mit grünen Unternehmensanleihen sehr wohl. Wir sehen auch eine sehr große Investorennachfrage für diese Green Bonds. Und es gibt auch immer mehr Emittenten, die auf diese Nachfrage reagieren wollen und entsprechend grüne Anleihen emittieren wollen. Von den ESG-Anleihen, also in einem breiteren Kontext, haben wir in etwa 10% mehr Emissionen solcher Anleihen gesehen als im Vorjahreszeitraum. Wir sehen also, dass der Markt hier weiter wächst. Und wir gehen auch davon aus, dass dieser Trend in Zukunft ganz klar weitergehen wird. Manche Unternehmen sind auch dabei, dass sie ihre Emissionstätigkeit ganz auf ESG-Papiere umstellen wollen. Green und Sustainable ist ganz klarer Mainstream im Markt.
Sie rechnen hier also weiterhin mit einer regen Emissionstätigkeit in diesem Marktsegment?
Auf jeden Fall. Immer mehr Unternehmen steigen in dieses Segment ein. Das betrifft grüne, soziale, nachhaltige und auch die nachhaltigkeitsgebundenen – sogenannte Sustainability-Linked Bonds.
Das Interview führte