„Die ESG-Qualität des Dax sinkt“
Von Wolf Brandes, Frankfurt
Mit der Erweiterung des Dax am 20. September wird die Reform für die Indizes der Dax-Familie abgeschlossen. Der Dax 40 wird damit weniger zyklisch und vom Branchenmix vielseitiger. Eine Berechnung zeigt jedoch, dass der neue Dax weniger nachhaltig wird. „Verbraucher sollten wissen, dass der Leitindex ein anderes Nachhaltigkeitsprofil hat“, sagt Wiebke Merbeth, Leiterin Nachhaltigkeit bei der BayernInvest.
Die ESG-Qualität sinke von 7,2 auf 6,7 nach MSCI-Systematik. „Das mag überschaubar sein, aber der Teufel steckt im Detail“, meint Merbeth und verweist darauf, dass der Umweltbereich (E-Score) von 6,5 auf 6,4 fast gleich bleibe, während der Governance-Bereich sich bereits um 0,2 auf 4,9 Punkte verschlechtere und im sozialen Bereich der Score um 0,4 auf 5,4 Punkte runtergehe. „Und das im selben Sommer, in dem der Berichtsentwurf zur sozialen Taxonomie veröffentlicht wurde – auf dem Weg zur sozial-ökologischen Transformation.“
Merbeth weist darauf hin, dass sich die generelle ESG-Bewertung aus verschiedenen Kriterien zusammensetze, also E, S und G, die gewichtet und auf aggregierter Ebene zu einem Wert zusammengefasst würden. „Die neuen Unternehmen im Dax haben vielleicht ambitionierte Umweltziele, sind aber im Governance- und im sozialen Bereich schwächer aufgestellt.“
Positiv aus ihrer Sicht sind die Auswirkungen der Umstellung auf Emissionen. „Beim Dax 30 liegen die Klimafolgen eines Investments von 1000 Euro bei 150 kg je CO2 pro Jahr. Beim neuen Dax 40 sind es nur noch 111 kg“, rechnet die Nachhaltigkeitsexpertin vor. Das liege daran, dass Hellofresh und Puma aus Sektoren dazugekommen sind, die CO2-intensive Branchen wie Automobil und Stahl stärker puffern. „Der Dax 40 ist also grüner als der Dax 30, hat aber mehr Baustellen in den Bereichen Soziales und Governance.“
Im Assetmanagement sei zu beachten, dass viele Investoren den Dax 30 genutzt und bereits ESG-Filter implementiert hätten. Für diese werde es mit dem Dax 40 auch neue Baustellen geben. „Der Bereich der umstrittenen Geschäftsfelder hat sich erhöht.“
Durch die Hintertür
Dass Airbus in den Index aufgenommen wurde, lässt Nachhaltigkeitsinvestoren wie Merbeth die Nase rümpfen. „Der Flugzeugbauer adressiert das Rüstungsthema und lässt damit die Quote umstrittener Geschäftsfelder im neuen Index hochschnellen.“ Viele Banken und Anleger hätten Investitionen in Waffensysteme aus ihren Portfolios verbannt. „Jetzt kommt der Konzern durch die Indexanpassung und aufgrund der hohen Marktkapitalisierung als ausschlaggebendes Kriterium über die Hintertür wieder ins investierbare Universum“, sagt ESG-Expertin Merbeth.
Mit der Aufnahme von Airbus verschiebe sich auch das Rendite-Risiko-Profil, wenn man umstrittenen Geschäftsfeldern eine höhere Risikokomponente zurechnet. „Zumal das Gewicht von Airbus im neuen Index bei sportlichen 4,68% liegt und es für etwa 30% der Werte, die umstrittene Geschäftsfelder aufweisen, steht.“ Wer als Investor sein Portfolio in Bezug auf den Dax hinsichtlich umstrittener Geschäftsfelder optimiert hatte, der müsse sich dessen bewusst sein. Zumal durch diese Veränderungen der Tracking Error im Zeitablauf stärker divergieren könne. Merbeth weist darauf hin, dass es zum Beispiel Sparkassen gebe, die sich im Depot A gegen den Dax messen und ab dem 20. September eine höhere Abweichung sehen werden. „Im privaten Bereich sehen es Investoren, wenn das neue Factsheet mit schlechteren Nachhaltigkeitswerten kommt.“
Gegen Ausschlusskriterien
Der ESG-Managerin geht es bei dem Thema in erster Linie um Transparenz und Klarheit. Sie hält auch in Bezug auf Airbus wenig von Ausschlusskriterien. Wichtig sei es, auch im Bereich der Rüstung die Internalisierung externer Kosten voranzubringen. „Ein Unternehmen muss nachverfolgen, was mit den Produkten passiert. Man darf sich nach dem Geschäftsabschluss nicht zurückziehen und aus der Verantwortung nehmen. Nachhaltigkeit ist Verantwortlichkeit – auf Investoren- und auf Unternehmensseite.“
Aus Sicht von Merbeth bietet die Indexerweiterung trotz der schlechteren ESG-Werte die Chance, auf Transformation bei den Unternehmen hinzuwirken und damit der Verantwortung als Investor gerecht zu werden. Es gehe also auch darum, über aktive Stimmrechtsausübung Einfluss auf das Unternehmen zu erzielen. „Unternehmen der Rüstungsindustrie müssen ihre Geschäftsbeziehungen und Absatzwege noch transparenter darstellen, das Einfordern von Mindeststandards und Policies ist hier das oberste Gebot“, sagt Merbeth.
Airbus als ESG-Wert
Im Zusammenhang mit der Dax-Umstellung fällt die Aufnahme von Airbus in den französischen CAC 40 ESG, also den Nachhaltigkeitsindex, auf. „Mir ist das rätselhaft. Hier scheint der politische Wille zu dominieren.“ Die Folgen seien klar: Die Finanzierung von Rüstung über den liquiden Kapitalmarkt werde durch solche Entscheidungen legitimiert. „Ein Unternehmen wie Airbus in einen nachhaltigen Index aufzunehmen, ist die Quadratur des Kreises.“ Schließlich formuliere der Berichtsentwurf zur sozialen Taxonomie die UN-Leitprinzipien für Unternehmen und Menschenrechte als Basis.
Merbeth stellt sich ohnehin die Frage, ob es wirklich so viele Nachhaltigkeitsindizes brauche. „Wichtig ist es, ESG-Kriterien in die Investmententscheidung zu integrieren.“ Ein ESG-Index habe schnell ein „Geschmäckle“, weil er von Nachhaltigkeitsagenturen und Indexanbietern begleitet werde. So habe MSCI dieses Jahr den Nachhaltigkeitsscore von Volkswagen hochgesetzt, ohne dass im direkten Vorfeld ein Grund dafür erkenntlich wurde. Und ISS bewerte die Bayer-Aktie ambitionierter in Bezug auf deren Kompatibilität mit dem UN Global Compact, so dass die Aktie im ESG-Dax zu finden sei. „Solche Unterschiede in den Einschätzungen verzerren Nachhaltigkeitsindizes.“