Die EU wird zum Green-Bond-Riesen
Von Christian Lenk*)
Die Corona-Pandemie hat innerhalb kürzester Zeit zu zahlreichen Umbrüchen geführt. In Nichtkrisenzeiten hätten diese mit hoher Wahrscheinlichkeit viel länger gedauert. Ein herausragendes Beispiel ist der Wandel des Kapitalmarktauftritts der Europäischen Union (EU).
Noch Anfang 2020 hatte die EU mit einem Jahresfundingvolumen im niedrigen einstelligen Milliardenbereich geplant. So ernst die EU auch als politischer Akteur wahrgenommen wird: Ihre Bedeutung am Finanzmarkt konnte diesen Anspruch bis vor kurzem nicht erfüllen. Allerdings riefen die drastischen Folgen der Pandemie nach einer raschen Antwort, und die EU meldete sich zur Stelle: Mit einem knapp 100 Mrd. Euro großen Programm zur Unterstützung der Arbeitsmärkte der Mitgliedstaaten (Sure) wurde ein Ausrufezeichen gesetzt. Bereits im Oktober 2020 begann die Mittelaufnahme an den Kapitalmärkten, die von den Investoren mit einer sehr hohen Nachfrage begrüßt wurde. Die Entscheidung, alle Sure-Anleihen als Social Bonds zu emittieren, zeigte bereits die hohe Affinität der EU für nachhaltige Anlageprodukte. Mit einem Fundingvolumen von rund 90 Mrd. Euro bis zur Jahresmitte 2021 gelang der EU durch das Sure-Programm der Ausstieg aus der Nische als Emissionszwerg.
Langfristiger Wandel
Parallel zu Sure war 2020 aber auch schon der Grundstein für das nächste Programm gelegt worden. Next Generation EU (NGEU) sollte nicht nur wie Sure die akuten Folgen der Coronakrise behandeln: Das Wiederaufbauprogramm sollte vielmehr einen langfristigen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit und einer größeren Krisenresilienz anstoßen. Mit einem vereinbarten Volumen von rund 800 Mrd. Euro wurde in vielerlei Hinsicht ein klares Signal gesendet. Zunächst wird die EU im Rahmen von NGEU nicht nur wie bisher Kredite vergeben, sondern auch Zuschüsse. Zu deren Refinanzierung wird die EU in den kommenden Jahren zusätzliche Einnahmequellen zugeteilt bekommen – ein klarer Bedeutungsgewinn für Brüssel. Mit einem jährlichen Fundingvolumen von rund 150 Mrd. Euro bis 2026 (bis dahin muss die anfängliche Mittelaufnahme abgeschlossen sein) stößt die EU innerhalb kürzester Zeit zu den größten Anleiheemittenten der Welt überhaupt vor. Im Vergleich zu den Kapitalmarktprogrammen der Mitgliedstaaten weisen aktuell nur Italien, Frankreich, Deutschland und Spanien höhere Fundingvolumina auf. In einer Kategorie dürfte die EU ihren benachbarten Sovereign-Emittenten jedoch sogar weit voraus sein: Green Bonds.
Während reguläre Anleihen im Rahmen des NGEU-Programms bereits seit Juni 2021 emittiert werden, mussten sich nachhaltig orientierte Investoren noch bis Mitte Oktober gedulden. Die Schaffung der rechtlichen und organisatorischen Grundlagen eines solchen Emissionsprogrammes dürfte sicherlich kein Pappenstiel gewesen sein – die Erstellung des NGEU-Green-Bond-Rahmenwerks war nur eine von vielen Baustellen. Dennoch wurde dieses, wie im Vorfeld angekündigt, im September 2021 veröffentlicht. 30% des Gesamtemissionsvolumens von NGEU, also bis zu 250 Mrd. Euro, sollen im Green-Bond-Format begeben werden. Bricht man diese Zahl auf das jährliche Emissionsvolumen herunter, kommt man auf 40 bis 50 Mrd. Euro. Damit wird die EU innerhalb kürzester Zeit zum größten Green-Bond-Emittenten der Welt aufsteigen. Dieses Angebot wird nicht nur das des bisherigen Rekordhalters Frankreich mit bislang knapp 40 Mrd. Euro (ausstehendes Gesamtvolumen) in den Schatten stellen. Auch ist zumindest perspektivisch eine relativ vollständige grüne Renditekurve zu erwarten. Bei grünen Staatsanleihen ist hingegen das Volumen oft auf nur einen oder zumindest sehr wenige Titel konzentriert, so wie bei Frankreich auf zwei. Erst bei typischen SSA-Emittenten wie der KfW oder der Europäischen Investitionsbank (EIB) finden sich breiter aufgestellte Renditestrukturkurven. Allerdings liegen hier die Volumina meist im niedrigen einstelligen Milliardenbereich.
Sehr hohe Nachfrage
Mitte Oktober hat die EU den Startschuss für ihr grünes Programm abgegeben. Die Entscheidung, einen grünen Bond mit einer Laufzeit von 15 Jahren zu emittieren, dürfte nur die wenigsten überrascht haben. Schließlich waren die notwendigen Grundlagen kurz vorher veröffentlicht worden. Auch der Zeitpunkt war zu erwarten, da die EU einen Emissionskalender veröffentlicht hat, der bis Jahresende alle Syndizierungs- und Auktionsfenster ausweist. Das Volumen der Anleihe war bereits im Vorfeld auf 12 Mrd. Euro festgezurrt worden, was bei grünen oder sozialen Anleihen keine Seltenheit darstellt: Schließlich sind die Mittel zweckgebunden, und der zugrundeliegende Assetpool kann nicht beliebig erhöht werden. Das Volumen der ersten grünen EU-Anleihe stellte das höchste jemals in einer einzelnen Transaktion emittierte für einen Green Bond dar: Der vorherige Rekord einer grünen britischen Staatsanleihe währte mit umgerechnet 11,8 Mrd. Euro damit nur drei Wochen. Bei einem Volumen von 135 Mrd. Euro wurden die Orderbücher für den ersten grünen NGEU-Bond bereits nach kurzer Zeit wieder geschlossen – die Kaufanfragen überstiegen das Angebot um mehr als den Faktor 11. Damit reihte sich die Nachfrage nach der neuen Anleihe in die Ergebnisse der meisten Transaktionen der vorigen Monate ein, bei denen die EU massive Überzeichnungen erreichte.
Etwas überraschend hat die erste grüne EU-Anleihe bereits das Ende des NGEU-Fundings 2021 markiert (abgesehen von einer kleineren Aufstockung Ende Oktober). Am vergangenen Freitag kündigte die EU an, ihr Fundingbedarf für NGEU sei mit 71 Mrd. Euro für 2021 bereits gedeckt – ursprünglich waren 80 Mrd. Euro angepeilt gewesen. Auch wenn es für Unkenrufe wohl etwas zu früh ist: In einem liquiditätsreichen Umfeld wie heute gelingt es der EU relativ leicht, Geld am Kapitalmarkt aufzunehmen, – hierfür sprechen die sehr gut nachgefragten Emissionen.
Teilweise Engpässe
Andererseits bestehen auf Seiten der Mitgliedstaaten teilweise Engpässe, die NGEU-Mittel rasch und effizient einzusetzen. Neben organisatorischen Hindernissen dürften auch Angebotsflaschenhälse, z. B. in der Bauwirtschaft, hierzu beitragen. Im Falle von Projekten, deren Finanzierung als Assetpool für NGEU-Green-Bonds verwendet werden soll, kommt noch der zusätzliche Aufwand für die Dokumentation und Überwachung hinzu. Ganz aktuell dürften zudem politische Streitigkeiten mit Polen und Ungarn Auszahlungen verlangsamen. Anfängliche Sorgen, das hohe NGEU-Fundingvolumen könne am Finanzmarkt zu Verdauungsproblemen wie Spreadausweitungen führen, gewinnen damit keine Nahrung: Neben dem zuletzt gesunkenen Angebot könnte Berichten zufolge auch die Nachfrage zunehmen, sofern die EZB im Rahmen zukünftiger Anleiheankaufprogramme den Anteil von supranationalen Emittenten wie der EU nach oben schraubt.
*) Christian Lenk ist Senior-Marktstratege bei der DZBank.