Aktienmärkte

Die Gewinnprognosen fallen – folgen die Aktien?

Die Gewinnaussichten der großen börsennotierten Unternehmen sind aktuell deutlich zu hoch angesetzt. Die Folge könnten deutliche Korrekturen an den Aktienmärkten sein.

Die Gewinnprognosen fallen – folgen die Aktien?

Die Berichtssaison für das vierte Quartal neigt sich dem Ende zu – und es scheint, dass sich mit den aktuellen Zahlen auch eine unangenehme Wahrheit auftut: Die Analysten waren zu optimistisch. Für den S&P 500 war ein Gewinnrückgang von 3,3% erwartet worden. Nachdem fast alle Quartalsberichte vorliegen, beziffert das Analyseunternehmen Factset den tatsächlichen Rückgang auf 4,6%.

Ein Muster, das sich auch in Europa zu wiederholen droht. Zwar rechnen die Analysten hier noch damit, dass die Gewinne der Stoxx-600-Unternehmen im vierten Quartal im Jahresvergleich um 16,9% wachsen könnten. Allerdings sind diese Daten mit äußerster Vorsicht zu genießen: Der kleinere und im Vergleich zu den USA weniger internetorientierte Technologiesektor könnte diese Zahlen aktuell nach oben verzerren. Während Banken und Energieversorger große Gewinnsprünge verzeichnen, sind in allen anderen Sektoren deutliche Parallelen zu den Wachstumserwartungen in den USA erkennbar.

Durch Inflation verzerrt

Für die Aktienmärkte liegt bereits seit längerem ein gewisses Korrekturrisiko in der Luft – einerseits aufgrund der überhöhten Gewinnschätzungen, andererseits aber auch, weil die erwarteten Gewinne nur zum Teil auf das operative Geschäft zurückzuführen sind. Immerhin haben die Rückstellungen im vergangenen Jahr den höchsten Wert seit 30 Jahren erreicht. Werden diese in den kommenden Monaten abgebaut, wirkt das – rein rechnerisch – positiv auf die Gewinne. Hinzu kommt ein statistisches Problem, denn Gewinne werden eben als Nominal- und nicht als Realwert ausgewiesen. In Zeiten mit dauerhaft hoher Inflation wird so das Bild der zukünftigen Gewinnentwicklungen verzerrt. Bleiben die Verbraucherpreise dauerhaft auf hohem Niveau, werden sich die Probleme nach und nach immer deutlicher abzeichnen. Anfang Januar lagen die Gewinnerwartungen für den S&P 500 Index noch bei 230 Dollar pro Aktie – das entspricht einem Wachstum von 5% gegenüber den Gewinnen von 2022. Die aktuellen Analysen von Neuberger Berman für 2023 sehen jedoch eher Werte zwischen 200 und 210 Dollar pro Aktie. Damit würden die Gewinnerwartungen zwischen 4 und 9% unter das Niveau von 2022 sinken. Einige Modelle liegen mit ihrer Schätzung sogar deutlich darunter.

Dabei werden wir nicht nur niedrigere ausgewiesene und geschätzte Gewinne sehen, sondern auch eine breitere Streuung der Erträge einzelner Unternehmen. Wie gut die jeweiligen Marktakteure die aktuelle gesamtwirtschaftliche Lage bewältigen, wird erheblich davon abhängen, wie gut beziehungsweise weniger gut sie positioniert sind. Vorteile werden Unternehmen haben, die geringe Arbeits- und Rohstoffkosten zu tragen haben und die aufgrund ihres niedrigeren Verschuldungsgrads weniger von den steigenden Zinsen betroffen sind oder mit hoher Preissetzungsmacht ihre Margen potenziell halten können.

Es sind genau diese Eigenschaften, die Unternehmen in dieser Situation attraktiv machen – denn wie Unternehmen von Anlegern bewertet werden, wandelt sich aktuell rapide. Bisher wurden potenzielle Gewinne, die mitunter weit in der Zukunft lagen, automatisch in die aktuellen Bewertungen eingepreist. Strukturell höhere Zinsen begünstigen nun Unternehmen, die aktuell am gesündesten und solidesten aufgestellt sind. Bei niedriger Inflation und niedrigen Zinsen konnten es sich Anleger eher leisten, auf das Prinzip Hoffnung zu setzen. In Marktphasen mit höheren Zinsen stellt sich die Situation anders dar. Die Marktteilnehmer sind eben nicht mehr bereit, in Gewinne zu investieren, die vielleicht irgendwann in ferner Zukunft erzielt werden. Sie bevorzugen Emittenten, die sofort liefern und bereits heute reale Gewinne erzielen, reale Wachstumsaussichten aufweisen und mit plausiblen Geschäfts- und Finanzierungsmodellen operieren.

Eine Phase, die andauern dürfte, denn die Zeit des billigen Geldes ist vorbei. Auch wenn von den Zentralbanken zuletzt versöhnlichere Töne zu hören waren – und kleinere Zinsschritte wahrscheinlich sind: Ein Ende der strafferen Geldpolitik ist das noch lange nicht. Bleibt die Frage, wann der Abschwung bei Aktien kommt? Zum Jahresanfang war von einem Abwärtstrend zumindest noch nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil schien die Rally zum Jahresende Schwung für das neue Jahr mitzugeben. Das lag auch an einigen Positivfaktoren, wie etwa der sich abschwächenden Inflation. Nach dem Produzentenpreisindex sind die Erzeugerpreise in den Vereinigten Staaten so stark gefallen wie seit dem Höhepunkt der Pandemie nicht mehr. Auch aus Europa gibt es positive Signale: So haben sich allein im Dezember die Preise für Erdgas, einen der Haupttreiber der Inflation, halbiert. Einsparmaßnahmen, Erfolg beim Umstieg auf alternative Energiequellen und vor allem des bislang milden Winters sei dank.

Wachstumsrisiken

Faktoren, die mit ihrer Wirkung auf die Märkte jedoch nur von kurzer Dauer sein dürften. Denn, dass das schwächelnde Wirtschaftswachstum mittelfristig auf die Kurse drücken wird, ist gewiss. Wichtige Frühindikatoren für die Konjunktur wie die Einkaufsmanagerindizes (PMI) sind in den vergangenen Monaten eingebrochen. Der S&P Global Eurozone Composite PMI befand sich seit Juli letzten Jahres in Kontraktion, erholt sich jedoch und signalisiert zumindest wieder ein Konjunkturwachstum. Negativ auswirken dürfte es sich jedoch, dass die Inflation dauerhaft auf einem hohen Niveau bleiben wird – Deglobalisierung, Dekarbonisierung und die wirtschaftliche Neuausrichtung Chinas werden die Preise auch langfristig antreiben. Es ist davon auszugehen, dass die beiden Faktoren Konjunktur und Inflation für die Aktienmärkte im Laufe des Jahres zur echten Herausforderung werden. Anleger müssen sich darauf einstellen – schon während des ersten Quartals? Vielleicht! Mindestens aber im weiteren Verlauf des Jahres.

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