Mandy DeFilippo

„Die Krise hat Sustainability ganz klar beschleunigt“

Insbesondere Social Bonds und Nachhaltigkeitsanleihen haben ein bahnbrechendes Jahr hinter sich. Die ICMA-Vorsitzende Mandy DeFilippo blickt indes schon auf die Markttrends für die kommenden Monate.

„Die Krise hat Sustainability ganz klar beschleunigt“

Kai Johannsen.

Frau DeFilippo, was haben Sie aus der Covid-19-Krise gelernt?

Diese Krise war und ist in vielerlei Hinsicht wirklich beispiellos. Es ist schwierig, nur eine kurze Liste der gewonnenen Erkenntnisse zu erstellen. Ich denke, wir alle lernen noch, während wir uns weiter durch die verschiedenen Phasen der Pandemie bewegen. Einer der auffallendsten Aspekte ist, wie schnell die Menschen in unserer Branche – und damit meine ich alle Teile des Marktes, einschließlich der Unternehmen auf der Verkaufs- und Kaufseite, sowohl im Public als auch im Private Sector – praktisch zu 100% jenseits ihrer bisherigen Büros, also von zu Hause aus, arbeiten. Und wir waren und sind weiterhin in der Lage, über längere Zeiträume hinweg kontinuierlich und ohne größere Ausfälle jeglicher Art über mehrere Jurisdiktionen weltweit miteinander arbeiten zu können. Ich denke, wir haben uns als Branche sogar selbst ein Stück weit damit überrascht, dass wir dies möglich gemacht haben. Dies war eine großartige kollektive Leistung und wird hoffentlich den Grundstein für weitere Innovationen in Bezug auf unsere künftige Einstellung zum Arbeiten und zu unseren Arbeitsplätzen legen.

Und Ihre ganz persönliche Erfahrung?

Für mich persönlich war es eine enorme Lektion, fast täglich zu lernen, wie man sich neuen Gegebenheiten anpassen muss und kann. Für mich hat es den Wert und die Bedeutung von Widerstandsfähigkeit bzw. Belastbarkeit und Stabilität unterstrichen, und zwar nicht nur im Beruf, sondern auch im privaten Leben.

Nachhaltigkeit steht nun ganz oben auf der Agenda von Investoren und Emittenten. Glauben Sie, dass sich dieser Trend fortsetzen und möglicherweise beschleunigen wird, sobald die Krise hinter uns liegt?

Die Krise hat den Bereich Sustainability Finance an den internationalen Bondmärkten ganz klar beschleunigt. Die Emissionen von Green, Social und Sustainability Bonds stiegen im Jahr 2020 auf den Rekordwert von 589 Mrd. Dollar. Es war ein Jahr des bahnbrechenden Wachstums, insbesondere für Social Bonds und Nachhaltigkeitsanleihen – insbesondere, als supranationale Emittenten und der gesamte öffentliche Sektor – also SSA – die Fremdkapitalaufnahme angesichts der Folgen der Covid-19-Pandemie massiv erhöhten. Auch grüne Anleihen beendeten das Jahr mit einem höheren Emissionsvolumen als 2019, obwohl der Start in das Jahr etwas langsamer verlief. Insgesamt hat sich dann im gesamten Segment aber keine Verlangsamung der Emissionstätigkeit eingestellt, und auch das Anlegerinteresse ist offenkundig nicht zurückgegangen. Angesichts der hohen Wachstumsrate des Marktes für nachhaltige Anleihen lässt sich für die Zukunft natürlich nicht klar sagen, dass weitere Beschleunigungen der Emissionstätigkeiten einsetzen werden, sobald die Auswirkungen der Pandemie – hoffentlich – bald nachlassen.

Und was bedeutet es für die Community?

Es war auch ein erfolgreiches Jahr für die Community rund um die Green and Social Bond Principles, das heißt die Emittenten, Investoren, Banken, Finanzdienstleister bzw. Service Provider, Wissenschaftler und NGOs. Das sind insgesamt rund 400 Unternehmen, die die Principles unterstützen und daran arbeiten, sie ständig weiterzuentwickeln. Durch die ICMA gab es im Jahr 2020 zudem zwei wichtige neue Leitlinien.

Welche Rolle spielen Social Bonds im Rahmen der pandemiebedingten Finanzierungserfordernisse?

Wir kennen die Rolle der Social Bonds als Teil der Reaktion auf die Pandemie bereits weitgehend. Glücklicherweise waren die Principles für Social Bonds bereits zu diesem Zeitpunkt in Kraft und gaben den sicheren Aktionsrahmen für Emittenten vor, die rasch Mittel für dringend benötigte Gesundheitsprojekte besorgen mussten, einschließlich Impfstoffforschung, und für Sofort-Wirtschaftshilfeprogramme wie das EU-Coronavirus-bezogene Arbeitslosenhilfeprogramm Sure. In Zukunft können Social Bonds viele Anwendungen haben, etwa wenn wir soziale Projekte finanzieren wollen, die sich beispielsweise mit dem Zugang zu Grundversorgungen, Gesundheitsversorgung, Bildung, sauberem Wasser und Wohnraum befassen.

Im vergangenen Jahr hat die ICMA in Zusammenarbeit mit den Marktteilnehmern Richtlinien für eine neue Anlageklasse auf den Anleihemärkten herausgegeben: Die Sustainability-Linked Bonds – SLB –, sogenannte Nachhaltigkeits-gebundene oder -bezogene Anleihen versus den Green Bonds, die eine sehr strikte Verwendung der Erlöse vorsehen. Warum haben Sie diesen neuen Ansatz gewählt?

Green Bonds sind ein etabliertes Produkt zur Finanzierung bestimmter förderfähiger Projekte oder entsprechender grüner Assets. Sie werden von einer Vielzahl von Emittenten eingesetzt. Die Anleger konzentrieren sich jedoch zunehmend und verständlicherweise auf die Gesamtleistung des Unternehmens in Bezug auf seine Nachhaltigkeitsstrategie. Nachhaltigkeitsgebundene Anleihen spiegeln genau dies wider. Ein Emittent definiert wichtige Leistungsindikatoren und Nachhaltigkeitsziele. Dies könnte so etwas wie die Reduzierung der CO2-Emissionen um einen Zielprozentsatz, die Verwendung von mehr recycelten Materialien in seinen Produkten oder die vollständige Umstellung auf erneuerbare Energiequellen sein. Wenn die Ziele in der angegebenen Zeit nicht erreicht werden, wird eine weitere Komponente in dem Bond aktiviert, was bedeuten kann, dass der Emittent den Anlegern einen höheren Zins bzw. Kupon zahlt. Dies macht nachhaltigkeitsgebundene Anleihen sehr flexibel. Der erste SLB, der sich an den neuen Grundsätzen orientiert, wurde im September vorigen Jahres emittiert.

Läuft der Markt gut an?

Ja, bis Ende 2020 belief sich das Emissionsvolumen bereits auf über 8 Mrd. Dollar, und zwar aus so unterschiedlichen Sektoren wie Einzelhandel, Schifffahrt und dem Modebereich. Wir glauben, dass sich die beiden Ansätze von Green Bonds und Sustainability-Linked Bonds sehr gut ergänzen, was den Markt insgesamt weiter voranbringen sollte.

Wir haben grüne, soziale, nachhaltige und nachhaltigkeitsgebundene Anleihen. Darüber hinaus sprechen einige von Blue Bonds, um die Ozeane vor Verschmutzung zu schützen. Brauchen wir wirklich immer mehr getrennte Anleiheklassen in diesem Bereich – wo liegt die Grenze? Und befürchten Sie dadurch nicht eine Marktfragmentierung mit negativen Auswirkungen auf die Liquidität?

Blue Bonds sind eigentlich eine Unterkategorie von Green Bonds und stehen in den allermeisten Fällen im Einklang mit den Green-Bond-Prinzipien. Wir verstehen die Gründe, warum bestimmte Transaktionen mit speziellen Labels oder Themen vermarktet werden. Das Wesentliche dabei ist, dass die Anleihen – unabhängig davon, wie sie speziell fokussiert und vermarktet werden – gemäß den Richtlinien der Green Bond Principles oder alternativ der Sustainability-Linked Bond Principles emittiert werden, um das Risiko einer Marktfragmentierung zu vermeiden.

Wir befinden uns jetzt in der Phase des Übergangs zu einer grünen und nachhaltigen Finanzmarktwelt. Was sind die wichtigsten Herausforderungen und Chancen für das Thema Transition Finance in den kommenden Jahren?

Es wird sicherlich viel über den Klimawandel gesprochen und geschrieben, aber es ist wichtig, dass wir alle zusammen ein gemeinsames Verständnis dafür entwickeln, was er tatsächlich bedeutet. Unsere Leitlinien basieren auf dem breiten Marktkonsens darüber, dass es beim Übergang darum geht, die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen, indem die globale Erwärmung idealerweise auf 1,5 Grad Celsius und zumindest auf deutlich unter 2 Grad Celsius begrenzt wird. Dies ist die Grundlage für die Entwicklung der internationalen Übergangsfinanzierung. Die Übergangsfinanzierung soll inklusiv sein, und es den kohlenstoffintensivsten Unternehmen ermöglichen, Teil des Marktes für nachhaltige Finanzen zu sein, um die schrittweise Dekarbonisierung ihrer Aktivitäten zu finanzieren. Ihr Engagement ist entscheidend, um die Pariser Ziele zu erreichen und die globale Erwärmung und Umweltschäden zu begrenzen.

Was tragen die Leitlinien dazu bei?

Wir hoffen, dass die Leitlinien, die wir vergangenes Jahr im Climate Transition Finance Handbook veröffentlicht haben, es einem möglichst breiten Spektrum von Emittenten ermöglichen werden, die Übergangsfinanzierung glaubwürdig und transparent zu gestalten, unterstützt durch wissenschaftlich fundierte Ziele, die mit dem Pariser Abkommen in Einklang stehen. Dies wird zu einer schnelleren Transformation, zu einer klimafreundlicheren und nachhaltigeren Weltwirtschaft beitragen.

Was sind die wichtigsten Markttrends in Bezug auf Nachhaltigkeit für 2021 und darüber hinaus?

In diesem Jahr zeichnen sich hier drei klare Trends ab. Erstens gibt es eine anhaltend starke Aktivität bei der Emission von Social Bonds nach ihrem ohnehin schon kräftigen Anstieg der Emissionen im Jahr 2020, wodurch die Volumina dieser Anleihen diejenigen der grünen Anleihen im vorigen Jahr sogar für eine Zeit lang überholt hatten. Zweitens sehen wir einen Trend zur Emission von Anleihen zur Finanzierung von Projekten, die sowohl grüne als auch soziale Ziele verfolgen. Sie laufen unter der Definition der Nachhaltigkeitsanleihen. Schließlich scheint der Enthusiasmus für die Emission von nachhaltigkeitsgebundenen Anleihen – der sogenannten Sustainability-Linked Bonds – bei Non-Financials zu wachsen.

Das Interview führte