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Die ökonomischen Risiken dominieren die politischen

Börsen-Zeitung, 6.1.2017 Es ist kaum übertrieben, zu behaupten, das Kapitalmarktjahr 2016 sei anstrengend gewesen. Kaum gestartet, lagen Aktien schon rund 20 % hinten, und mit Blick auf die später im Jahr stattfindenden Brexit- und...

Die ökonomischen Risiken dominieren die politischen

Es ist kaum übertrieben, zu behaupten, das Kapitalmarktjahr 2016 sei anstrengend gewesen. Kaum gestartet, lagen Aktien schon rund 20 % hinten, und mit Blick auf die später im Jahr stattfindenden Brexit- und US-Präsidentschaftsvoten erschien eine erfolgreiche Aufholjagd Ende des ersten Quartals noch reichlich unwahrscheinlich.Nun, nach dem Ende des Jahres, sind wir schlauer. Wir haben nicht nur gelernt, dass die Märkte Event-Risiken nicht nur anders als gedacht preisen können, sondern dass dies zum Teil auch noch in einem Umfeld unvorstellbar niedriger Volatilität geschieht. Insofern war das Jahr 2016 eine Art Crash-Kurs in Behavioral Finance. Mit diesen interessanten Erkenntnissen im Hinterkopf werfen wir nunmehr den Blick voraus ins Jahr 2017. Geringe WachstumsdynamikDie großen Herausforderungen für Anleger im neuen Jahr liegen wohl nicht primär, wie inzwischen an vielen Stellen thematisiert, im Bereich der politischen Risiken, sondern vor allem im ökonomischen Feld. Da ist zum einen die Erkenntnis, dass der Wachstumsdynamik in der industrialisierten Welt enge Grenzen gesetzt sind. Die Schwellenländer andererseits, in denen Investoren noch kräftiges Makrowachstum und schnell wachsende Unternehmensgewinne finden können, weisen eine Reihe struktureller Risiken auf. Allein in der Gruppe der BRICS-Staaten finden sich etwa Unwägbarkeiten wie politische Instabilität, Korruption, einseitige Rohstoffabhängigkeiten, ungünstige Demografien und vieles mehr. Anleger auf der Suche nach verlockenden Schwellenlanderträgen müssen erkennen, dass sie diese mit erheblichen Zusatzrisiken erkaufen.Dies alles ist nicht neu. Was jedoch 2017 erschwerend hinzukommt, ist die Unberechenbarkeit der neuen US-Regierung. Steigt der Dollar wegen umfangreicher Infrastrukturinvestitionen und höherer Zinsen, sind üblicherweise Schwellenländer die ersten Leidtragenden, vor allem Länder mit hoher Außenverschuldung in US-Dollar. Außerdem könnte die Trump-Administration bezüglich ihrer Protektionismuspläne Ernst machen. Und auch dann dürften diejenigen am meisten davon betroffen werden, die bis dato am stärksten von der Ausweitung des Welthandels profitiert haben – und wer ist das? Richtig, die Schwellenländer. Unterm Strich könnte es also gerade dort, wo Anleger zuletzt noch die attraktivsten Renditen erwirtschaften konnten, ungemütlicher werden.Als weitere ökonomische Herausforderung kommt auf Marktteilnehmer zu, dass ihnen der wichtigste Verbündete der vergangenen Jahre von der Fahne gehen könnte: die Zentralbanken. Nachdem die US-Notenbank Fed zum zweiten Mal die Leitzinsen erhöht und für 2017 mehrere weitere Schritte in Aussicht gestellt hat, signalisiert nun auch die Europäische Zentralbank, ihr Anleihekaufprogramm schrittweise zurückzuführen. Ende 2018 könnte in Europa Schluss sein mit Quantitative Easing (QE). Sollte dies tatsächlich so sein, würden es die Märkte schon im kommenden Jahr vorwegnehmen. Gleichzeitig richtet sich die Aufmerksamkeit wirtschaftspolitischer Beobachter auf eine expansivere Rolle der Fiskalpolitik, frei nach dem Motto: Geht der Geldpolitik die Puste aus, muss jemand anders den Staffelstab übernehmen. Die Kombination dieser beiden Entwicklungen lässt nichts Gutes hoffen. Denn wenn einerseits die Zentralbanken weniger Schuldtitel ankaufen, die Regierungen andererseits aber wieder mehr davon platzieren, ist die Markterwartung steigender Zinsen nur eine Frage der Zeit. Das sind keine schönen Aussichten für die Rentenmärkte.Und als wären diese Verschiebungen der ökonomischen Parameter nicht genug, steht der Welt auch noch ein weiteres Jahr mit politischen Großereignissen ins Haus. Sowohl bei den Parlamentswahlen in den Niederlanden im März als auch bei den französischen Präsidentschaftswahlen im April und Mai steht eine populistische Bedrohung für die Stabilität Europas im Raum, im September folgt die Bundestagswahl in Deutschland. Dazu gesellen sich Dauerthemen wie die Autokratisierung der Türkei und Russlands, die Desintegration des Mittleren Ostens sowie all die Probleme, die sich die Welt im Jahr 2016 aufgeladen, aber noch nicht mal ansatzweise verarbeitet hat, als da wären: Brexit, Trump und Italien. Was aus diesen Problemfeldern über die nächsten Monate wird, ist eine Black Box. Ernstzunehmende Prognosen? Fehlanzeige.Es mag verblüffend klingen, wenn wir angesichts eines derartigen Kataloges aus ökonomischen und politischen Risiken dennoch glauben, dass 2017 ein gutes Kapitalmarktjahr wird. Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass die europäischen Wahlen in den nächsten Monaten nicht mit Siegen der Populisten enden. Das Risiko einer Destabilisierung Europas wäre dann deutlich reduziert. Trifft zusätzlich unsere Erwartung ein, dass der Zinsanstieg in den USA und damit auch die Dollar-Aufwertung sich in Grenzen hält, dürften Verwerfungen in den Schwellenländern ausbleiben und die Weltwirtschaft somit in erster Linie vom stärkeren Wachstum profitieren. Höhere ZinsenAnleger sind unseres Erachtens gut beraten, in diesem Umfeld eher auf Aktien als auf Renten zu setzen. Die generelle Wahrnehmung von Anteilsscheinen als riskant und von Zinspapieren als sichere Alternative erscheint für 2017 als geradezu auf den Kopf gestellt. Wir gehen deshalb davon aus, dass europäische und US-Aktien in einem Jahr höhere Kurse aufweisen werden als heute. Rentenpapiere dagegen dürften niedriger notieren, denn die Zinsen werden vermutlich gestiegen sein, wenn auch nur moderat. Insgesamt verbleibt der Ausblick auf ein weiteres hochspannendes, aber anstrengendes Kapitalmarktjahr.—-Martin Lück ist Leiter Kapitalmarktstrategie für Deutschland, Österreich und Osteuropa bei BlackRock.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——–Von Martin LückAnleger sind gut beraten, in diesem Umfeld eher auf Aktien als auf Renten zu setzen.——-