Die Rotation in Value könnte im Sande verlaufen
Nachdem die Zentralbanken im vergangenen Jahr oft von temporärer Inflation gesprochen hatten, wurden viele Anleger vom raschen Anstieg der Inflationszahlen kalt erwischt. In den USA stieg die Gesamtinflation von 1,4% im Dezember 2020 auf 7,5% im Januar 2021, was dem höchsten Stand seit 40 Jahren entspricht. Inzwischen hat die Fed einen Kurswechsel vollzogen und die Märkte rechnen ab März mit Zinserhöhungen von 125 Basispunkten für dieses Jahr. Entsprechend heißen Anleger die vermeintlich größte Aktienumschichtung seit den neunziger Jahren willkommen und erwarten sich große Vorteile für Value-Titel.
Steigende Zinsen sind allgemein nicht gerade die besten Neuigkeiten für die Aktienmärkte, doch sie wirken sich besonders negativ auf Growth-Titel aus. Gelingt es der Wirtschaft allerdings, ihr hohes Wachstum in Zeiten der Inflation fortzusetzen, können auch Growth-Titel von Aufschlägen profitieren.
Die Antwort auf die Frage, ob Growth oder Value die bessere Option für Anleger ist, liegt in der Analyse der letzten zwei bedeutenden Straffungszyklen der vergangenen zwanzig Jahre (2015 bis 2018 und 2004 bis 2006), die aufgrund der unterschiedlichen Eigenschaften beider Zyklen verschiedene Reaktionen der Märkte und Faktoren hervorgerufen haben (siehe Tabelle. Der Zyklus 2015 bis 2018 war insofern besonders, da er von Zinsanhebungen in zwei unterschiedlichen Geschwindigkeiten geprägt war, was eine Aufteilung in zwei Unterperioden rechtfertigt. Ein durch künstliche Intelligenz unterstützter Vergleich zwischen dem aktuellen und früheren wirtschaftlichen Umfeld zeigt, dass die aktuelle Entwicklung deutlich größere Ähnlichkeit mit dem Straffungszyklus der US-Notenbank Fed von 2004 bis 2006 aufweist.
Die Tabelle zeigt die annualisierte Rendite von Faktoren in den einzelnen Zinsanhebungsphasen. Als Indizes für den breiten Markt der USA bzw. der Eurozone verwenden wir den MSCI USA bzw. den MSCI EMU. Zunächst stellen wir die Value- und Growth-Faktoren von Mid- und Large-Cap-Aktien aus den USA und der Eurozone dar. Für jeden Faktor haben wir die besten 15% der Titel aus dem Anlageuniversum ausgewählt, d. h. rund 100 Aktien aus den USA und 30 aus der Eurozone in den aktuellen Portfolios. Die Portfoliogewichtungen basieren auf einem gleich gewichteten Portfolio und einer Ausrichtung auf Aktien mit der höchsten Faktor-Exposure.
Im Jahr 2014 begann die Fed mit einer moderaten Normalisierung ihrer Geldpolitik. Als die Fed 2018 allerdings einen Gang zulegte und das Tempo seiner Zinsanhebungen auf vier im Zeitraum weniger Monate erhöhte, überschätzte sie die Widerstandsfähigkeit der US- und der Weltwirtschaft ebenso wie den Inflationsdruck, der sich im Hintergrund aufgebaut hatte. Unterdessen nahm der Markt die Geldpolitik immer mehr als Fehler wahr. Diese Wahrnehmung gipfelte Ende 2018 in einem Ausverkauf an den globalen Aktienmärkten. In der Folge stürzten beide Faktoren – Value und Growth – ab und fielen hinter die breiten Marktindizes beider Regionen zurück.
Im gesamten Konjunkturzyklus 2004 bis 2006 blieben die Wachstumsaussichten stabil. Dies war auf die günstigen Nachwirkungen der lockeren Fiskalpolitik Anfang der 2000er nach dem Platzen der Dotcom-Blase zurückzuführen. Diese förderten einen starken Produktivitätsanstieg sowie ein Lohnwachstum über dem Trend, wodurch ein selbsttragender Wachstumszyklus entstand. So wurde der aggressive Zinsanhebungszyklus der Fed für die Marktteilnehmer verträglich und ermöglichte eine starke Performance des Aktienmarktes. Aus diesem Grund entwickelten sich sowohl Value als auch Growth günstig.
Das heutige Umfeld ähnelt den oben aufgeführten Bedingungen. Das Wirtschaftswachstum und der Arbeitsmarkt in den USA entwickeln sich weiterhin stark. Da die historisch hohen Haushaltsdefizite in Zusammenhang mit Covid 19 bereits zurückgehen, ist es unwahrscheinlich, dass wir zur Politik der fiskalpolitischen Vorsicht nach der globalen Finanzkrise (2010 bis 2020) zurückkehren werden. Obwohl es mit Blick auf US-Zinserhöhungen im Zeitraum 2022 bis 2024 am Markt bereits eine Neubewertung in Höhe von 200 Basispunkten gegeben hat, sind die Finanzierungsbedingungen nach wie vor locker und versprechen günstige Refinanzierungsbedingungen.
Inflation könnte abflauen
Darüber hinaus könnte die Inflation abflauen, da sich mehrere angebotsseitige Einschränkungen langsam auflösen – z. B. ist derzeit bereits ein Rückgang der Chip- und Containerpreise zu beobachten. Zudem verharren die Inflationserwartungen der Marktteilnehmer in den USA seit November bei etwa 2,5%. Der nun restriktivere Ton der Fed wirkte sich zusätzlich stabilisierend aus.
Wenn sich die Geschichte wiederholt, besteht eine reale Chance, dass die derzeitigen Wachstumsaussichten trotz der hohen Inflation stabil bleiben. Folglich könnte die derzeitige Umschichtung hin zu Value im Sande verlaufen, da beide Faktoren voraussichtlich eine Outperformance gegenüber den breiten Marktindizes erzielen werden.
Value und Growth im Vergleich * | |||
USA | Value | Growth | MSCI USA |
30.6.2004 – 29.6.2006 | 14,46 | 13,50 | 7,39 |
16.12.2015 – 20.3.2018 | 19,02 | 12,61 | 15,14 |
21.3.2018 – 19.12.2018 | –12,07 | –16,44 | –8,87 |
Durchschnittsertrag p.a. | 7,13 | 3,22 | 4,55 |
Euroraum | Value | Growth | MSCI EWU |
30.6.2004 – 29.6.2006 | 27,33 | 26,48 | 18,60 |
16.12.2015 – 20.3.2018 | 16,67 | 12,29 | 7,29 |
21.3.2018 – 19.12.2018 | –15,66 | –15,40 | –12,49 |
Durchschnittsertrag p.a. | 9,45 | 7,79 | 4,46 |
*) Angaben in Prozent; Quelle: Vontobel Börsen-Zeitung |