Die Suche nach defensiven Aktien
Von Christian Henke*)
Die derzeitigen Belastungsfaktoren dürften hinreichend bekannt sein. Der seit zwei Monaten andauernde Ukraine-Krieg, die eingeläutete Zinswende in den USA und die Sorge über eine noch straffere Geldpolitik und als bitteres Sahnehäubchen die aufkommenden Rezessionsängste stehen einem erfolgreichen Börsenjahr 2022 wie eine Betonmauer im Weg.
Kein Wunder, dass sich die Aktienmärkte seit Jahresanfang auf dem Rückzug befinden, oder charttechnisch ausgedrückt, in einem sogenannten Abwärtstrend. Bedeutet der genannte Umstand, Aktien generell zu meiden? Mitnichten. Vielmehr könnte die Suche nach defensiven Aktien von Interesse sein. Nicht alle Bereiche eines Aktienmarktes halten sich im Abwärtstrend auf, einige können sogar den Gesamtmarkt schlagen.
Aber wie kann der Anleger geeignete defensive Aktien finden? Ein Filter wie beispielsweise die Relative-Performance-Matrix könnte die Antwort auf die Frage sein. Die Berechnung bzw. grafische Darstellung ist recht einfach. Das Objekt der Begierde ist der Stoxx 600, der mit seinen neunzehn Sektoren die gesamte europäische Wirtschaft abbildet. Zuerst wird die absolute Performance ermittelt. Hierbei wird die Kursentwicklung der Subindizes der letzten drei Monate und vier Wochen berücksichtigt und in die Matrix übertragen.
Die Matrix besteht aus vier Sektoren. Im zweiten Quadranten liegen die Stoxx-Sektoren, die sich in einem Aufwärtstrend aufhalten, also auf Sicht der letzten drei Monate und vier Wochen eine positive Performance aufweisen. Wie es sich gehört, kommt es in einem Aufwärtstrend zu Korrekturen. Kurzfristig ist die Kursentwicklung negativ. Der Beobachtungswert wechselt in den Sektor III. Aus einer Konsolidierung kann ein neuer Abwärtstrend werden.
Die Performance wäre sowohl auf Sicht der vergangenen drei Monate als auch der letzten vier Wochen negativ. Und in einem Abwärtstrend kommt es zu Gegenbewegungen. Der Subindex ist dann im Erholungsmodus I zu finden. Die absolute Performance dient uns zur Trendbestimmung. Unter Berücksichtigung der Performance der Benchmark, in diesem Fall die des Stoxx 600, können wir die relative Performance ermitteln und in die Matrix übertragen. Auf diesem Weg können die Sektoren mit relativer Stärke von denen mit relativer Schwäche getrennt werden.
Genug der Theorie. Im Chart ist die absolute Performance-Matrix der Stoxx-600-Sektoren zu sehen. Wie kann der Trader diese nun nutzen? Interessant sind erst einmal die Sektoren II und IV, also die Indizes, die sich in einem Aufwärtstrend bzw. Abwärtstrend befinden. Gut sieht es im Augenblick für die Aktien aus den Bereichen Pharma, Nahrungsmittel und Öl & Gas aus. Die zuletzt deutlich gestiegenen Zinsen in den USA haben die Technologieaktien nicht nur an der Wall Street, sondern auch auf dem Alten Kontinent gen Süden gezogen. Aber auch Einzelhandelsaktien sind seit geraumer Zeit nicht gefragt. Interessant sind aber auch Dividendenpapiere aus den Bereichen Grundstoffe und Versorger. Anglo American & Co. leiden im Augenblick unter den Rezessionsängsten. Dagegen profitieren die Versorgeraktien als defensive Alternative. Letztgenannte befinden sich im Erholungssektor I, könnten aber in den Sektor II und somit in den Aufwärtstrend zurückkehren. Gleiches gilt für die europäischen Grundstofftitel.
Kommen wir zum nächste Schritt auf der Suche nach geeigneten defensiven Werten. Die beschriebene Relative-Performance-Matrix wenden wir nun bei der Auswahl von Einzeltiteln an. Als Benchmark dient nun der Stoxx 600 Healthcare. In diesem Sektor sind bekannte „Pillendreher“ wie beispielsweise AstraZeneca und GlaxoSmithKline aus Großbritannien oder die eidgenössischen Konzerne Novartis und Roche zu finden. Aber auch heimische Unternehmen wie Fresenius und Carl Zeiss Meditec haben ihren Platz in dem besagten Index.
Und gerade die Aktien der großen Arzneimittelhersteller gehören im Augenblick zu den Gewinnern. Im Sektor II und somit im Aufwärtstrend sind die Anteilscheine von Novartis, AstraZeneca, GlaxoSmithKline, UCB und als heimischer Vertreter Bayer. Ansonsten sieht es für die deutschen Indexmitglieder nicht allzu gut aus. Fresenius Medical Care und Merck halten sich zurzeit im Abwärtstrend auf. Die Aktien von Fresenius und Eurofins sind dagegen auf Erholungskurs und könnten in den Aufwärtstrend zurückkehren.
Einzeltitel unter der Lupe
Wir haben nun einen Sektor nach Werten mit relativer Stärke bzw. Schwäche gefiltert. Abschließend können beispielsweise die Aktien, die sich in einem Aufwärtstrend befinden, charttechnisch unter die Lupe genommen werden. Um nicht den Rahmen dieses Artikels zu sprengen, bleiben wir in der Heimat und schauen uns die Bayer-Aktien an.
Trotz der derzeitigen relativen Stärke waren auch bei der Bayer-Aktie zuletzt Gewinnmitnahmen zu beobachten. Der Dax-Titel verfügt über zwei wichtige Unterstützungen in Form der geschlossenen Corona-Abwärtslücke sowie des jüngsten Aufwärts-Gaps. Die Oberseite der Aufwärtslücke bei 64,35 Euro musste zur Hilfe eilen. Oberhalb des Zwischenhochs bei 67,99 Euro vom 13. April könnte die Kletterpartie in Richtung des vorherigen markanten Hochs bei 73,63 Euro fortgesetzt werden.
*) Christian Henke ist Senior Market Analyst bei IG Europe.