GASTBEITRAG ZUR SERIE: ANLAGETHEMA IM BRENNPUNKT (31)

Die zehn Mythen von den riskanten Nebenwerten

Börsen-Zeitung, 4.8.2018 Dass Nebenwerte seit Jahren höhere Erträge als Standardwerte erzielt haben, ist bekannt. Dennoch üben sich zahlreiche private und institutionelle Investoren hartnäckig in Zurückhaltung gegenüber Small und Mid Caps. Viel zu...

Die zehn Mythen von den riskanten Nebenwerten

Dass Nebenwerte seit Jahren höhere Erträge als Standardwerte erzielt haben, ist bekannt. Dennoch üben sich zahlreiche private und institutionelle Investoren hartnäckig in Zurückhaltung gegenüber Small und Mid Caps. Viel zu riskant, lautet dabei immer wieder die Begründung. Doch stimmt das überhaupt? Zeit für einen Fakten-Check. – Mythos 1: Die Kurse von Nebenwerten schwanken stärker als die von Standardwerten.Das Gegenteil ist der Fall. In den vergangenen knapp 18 Jahren waren die europäischen Nebenwerteindizes durchschnittlich rund 10 % weniger volatil als ihre Pendants für Standardwerte. Auch bei einzelnen Krisen wie dem Platzen der Dotcom- und der Subprime-Blase haben die Kurse der Nebenwerte nicht so stark geschwankt. Der wichtigste Grund dafür: Anleger investieren in Nebenwerte eher strategisch. Taktische Investitionen werden vornehmlich in Standardwerten vorgenommen. So regeln Versicherungen oder Versorgungseinrichtungen ihren Investitionsgrad in erster Linie über Instrumente, denen Standardwerteindizes zugrundeliegen. Das sorgt für Volatilität in dieser Gewichtsklasse. – Mythos 2: Nebenwerte fallen in Krisensituationen stärker als Standardwerte.Könnte man annehmen, ist aber falsch. Seit Anfang des Jahrtausends gab es mit der Dotcom-, der Subprime-, der Euro-Schulden- und der China-Krise vier Phasen, in denen die Märkte um jeweils über 20 % eingebrochen sind. Über all diese Krisen hinweg haben Standardwerte im Durchschnitt maximal 41,5 % verloren und Nebenwerte maximal 40,7 %. Unternehmen mit breiten Produktportfolios sind so etwas wie Stellvertreter der Weltwirtschaft. Wird eine Marktkorrektur von Makrofaktoren ausgelöst, leiden solche Werte überdurchschnittlich. Bei Nebenwerten kommen hingegen unternehmensspezifische Faktoren stärker zum Tragen. – Mythos 3: Das Management von Nebenwerten nimmt es mit den Grundsätzen guter Unternehmensführung nicht so genau.Falsch. Laut einer Studie der UBS ist die Corporate Governance bei Nebenwerten besser als bei Standardwerten. Der wichtigste Grund dafür ist, dass Nebenwerte oftmals einen großen Anteilseigner haben. Unser europäisches Nebenwerteuniversum besteht beispielsweise zu rund einem Drittel aus familiengeführten Unternehmen. Diese großen Anteilseigner sorgen dann offenbar dafür, dass das Management die Interessen aller Aktionäre stärker berücksichtigt. – Mythos 4: Nebenwerte sind finanziell weniger robust als Standardwerte.Das war einmal so. Mit der Subprime-Krise erhöhte sich sowohl der Verschuldungsgrad von Standard- als auch von Nebenwerten. Allerdings war der Anstieg bei Nebenwerten wesentlich ausgeprägter und belief sich auf dem Höhepunkt im Jahr 2008 auf durchschnittlich mehr als 40 % des Enterprise Value. Der Enterprise Value errechnet sich aus der Marktkapitalisierung zuzüglich der Verbindlichkeiten und abzüglich der liquiden Mittel. Bei den Standardwerten lag der Wert in der Spitze lediglich bei rund 25 %. Das hat sich aber grundlegend gewandelt, da sich in den vergangenen Jahren der Fokus auf die Schaffung von Kapital verschoben hat. Das Ergebnis: Derzeit liegt die Nettoverschuldung von Neben- und Standardwerten gleichermaßen bei etwa 15 % des Enterprise Value. – Mythos 5: Investoren haben Nebenwerte hoch gewichtet, was in Phasen schwacher Märkte für überdurchschnittlichen Abgabedruck sorgt.Das ist nicht korrekt. Einer Axa-Erhebung zufolge hatten Anleger im Jahr 2017 nur 6 bis 10 % ihrer Portfolios in Small Caps investiert. Das Interesse ist also offenbar größer als die tatsächliche Allokation. Ein Grund für die entgegengesetzte Wahrnehmung könnte die Annahme sein, dass nahezu jeder Standardwertefonds seine Wertentwicklung mit Anlagen in Nebenwerten aufpeppt. Dem ist aber nicht so. Und selbst wenn es diese Tendenz gäbe, würde sie von dem massiven Trend zu ETFs konterkariert, die gemessen am verwalteten Vermögen fast ausnahmslos ein Standardwerte-Phänomen sind. – Mythos 6: Nebenwerte sind illiquider als Standardwerte und lohnen sich wegen der hohen Handelskosten daher nicht.Ja, Handelskosten können hoch sein. Je nach Investitionsvolumen können diese zusammen mit dem Market Impact – also dem Preiseffekt, den die eigene Transaktion auslösen kann – schon bis zu 5 % betragen. Daher sollten Investoren entsprechend hohe Anforderungen an das Kurspotenzial des Investments stellen. – Mythos 7: Nebenwerte sind höher bewertet als Standardwerte.Stimmt zumindest auf den ersten Blick. Denn tatsächlich liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis leicht über dem Niveau von Standardwerten. Bereinigt man diese Kennziffer aber um die Sektoren, sind Nebenwerte günstiger. Doch spiegelt das Kurs-Gewinn-Verhältnis die tatsächliche Bewertung von Aktien wider? Wir denken nein und bevorzugen die Relation von Enterprise Value zum Umsatz und zum Gewinn vor Steuern und Zinsen. Denn dabei wird auch die Verschuldung eines Unternehmens berücksichtigt. An diesen beiden Kennziffern gemessen sind Nebenwerte sektorbereinigt niedriger bewertet. – Mythos 8: Nebenwerte sind Fliegengewichte. Sie leiden viel stärker unter Widrigkeiten wie beispielsweise einem drohenden Handelskrieg.Ganz im Gegenteil. Nebenwerte haben in der Regel keine weltweiten Wertschöpfungsketten und sind damit weniger anfällig für global ausgetragene Handelskonflikte. Zudem haben Unternehmen aus den europäischen Nebenwerteindizes einen 10 % höheren Umsatzanteil in Europa als Standardwerte. Dieser würde bei einem eskalierenden Handelskonflikt verschont bleiben. – Mythos 9: Nebenwerte wachsen nur zyklisch.Nein. Nebenwerte wachsen aus strukturellen Gründen. So kommt ihnen ihr Sektormix zugute. Rund 50 % der Nebenwerte aus unserem Anlageuniversum sind in Wachstumssektoren wie Internet oder Medizintechnik aktiv, bei den Standardwerten sind es hingegen nur knapp 30 %. Auch investieren Small und Mid Caps stärker in Forschung und Entwicklung (F & E). Gemessen am Umsatz geben sie dafür rund 30 % mehr aus als Large Caps. Und es gibt noch ein Argument: Von den fünf größten Technologieunternehmen der Welt sind vier jünger als 20 Jahre. Das lässt sich mit zyklischem Wachstum allein nicht erreichen. – Mythos 10: Nebenwerte sind intransparenter als Standardwerte.Kein Mythos, sondern eine exakte Beschreibung des Zustands. So werden beispielsweise 20 % der europäischen Nebenwerte überhaupt nicht von Analysten abgedeckt. Auch sind die Analysten von Nebenwerten in der Regel Generalisten, die Unternehmen aus mehreren Sektoren betrachten. Ein Analyst für Standardwerte aus dem Bankensektor beschäftigt sich hingegen ausschließlich mit Kreditinstituten. Das alles schafft einerseits Intransparenz. Aktiven Fondsmanagern eröffnet sich damit andererseits die Chance, durch eigene Analyse und Research die richtige Titelselektion für das Portfolio zu treffen und Überrenditen für ihre Anleger zu erzielen.—-Philipp Schweneke, Head of European Small & Mid Caps Equities, DWS