Diese Turbulenzen sind anders
Politische Spannungen sind oft Kaufgelegenheiten. Die Renditeaufschläge französischer Staatsbonds erreichten vor der Präsidentschaftswahl 2017 einen Höchststand von knapp 80 Basispunkten über zehnjährigen Bunds. Dieses Niveau wurde erst wieder erreicht, nachdem Präsident Macron im Juni das Parlament auflöste. 2022 stiegen italienische Spreads am Tag nach der Parlamentswahl auf Niveaus, die seitdem nicht mehr erreicht wurden. Momentan sieht es wieder so aus, dass die politischen Turbulenzen in Frankreich erneut günstige Einstiegsmöglichkeiten eröffnet haben. Ein genauer Blick auf die Marktdynamik verdeutlicht jedoch, dass die Turbulenzen diesmal anders geartet sind.
Während der Renditeabstand langlaufender französischer Anleihen über der Swapkurve auf Werte gestiegen ist, die es seit der Staatsschuldenkrise 2012 nicht mehr gab, blieben die CDS-Spreads deutlich unter den Spitzenwerten von 2017 oder 2020. Das unterstreicht, dass die Kreditausfallsorgen oder die systemischen Risiken diesmal als deutlich niedriger erachtet werden. Das implizite Risiko eines Austritts Frankreichs aus der Währungsunion, das sich aus CDS-Kontrakten mit unterschiedlicher Dokumentation ablesen lässt, blieb während der Anspannungen diesmal weniger als halb so hoch wie in 2017. Diese Entwicklung verdeutlicht, dass die Spreads heute vor allem durch das Überangebot an Anleihen beeinflusst werden, während sich die systemischen Risiken der Währungsunion seit Draghis „whatever it takes“ und den Gemeinschaftsanleihen des Next Generation EU Programms in Grenzen halten. Da jede wie auch immer zusammengesetzte französische Regierung mehr Vorteile durch den Verbleib in der EU und der Währungsunion sehen dürfte, sollte sich daran vermutlich so schnell nichts ändern.
Verschiedene Faktoren deuten jedoch darauf hin, dass Investoren höhere Prämien für die Zeichnung von Bonds verlangen werden. Seit 2023 haben Investoren außerhalb des Euroraums und inländische Banken über 80% des französischen Nettofinanzierungsbedarfs gestemmt. Diese spreadsensitiven Investoren dürften kaum noch „short“ sein. Im Gegensatz zu den Anspannungen von 2017, als die EZB den Großteil des Angebots absorbierte, müssen aktuell durch den Bilanzabbau der EZB sogar noch zusätzliche Investoren gewonnen werden, damit die Spreads nicht noch weiter steigen.
Die EZB hat ihre PEPP-Reinvestitionen seit diesem Monat halbiert und beabsichtigt, sie Ende des Jahres ganz einzustellen. Wir schätzen, dass damit in den nächsten zwölf Monaten insgesamt über 75 Mrd. Euro bei der EZB fällig werden, zusätzlich zu einem Nettofinanzierungsbedarf von etwa 120-140 Mrd. Euro. Nebenbei bemerkt, die Einstellung der PEPP-Reinvestitionen bedeutet zudem, dass das „Anti-Fragmentierungs-Instrument“ der flexiblen PEPP-Reinvestitionen nicht mehr zur Verfügung stehen wird.
Begrenztes Potenzial
Das Potenzial für eine weitere Einengung sieht bei französischen Anleihen somit begrenzt aus, wenn neue Investoren gefunden werden müssen, während das Parlament sich im Herbst auf ein Budget und Maßnahmen zur Bereinigung des EU-Defizitverfahrens einigen muss. Ein Blick auf andere Länder unterstreicht die Herausforderungen, denen sich auch andere Staaten gegenübersehen, Investoren vor allem für ihre langen und ultralangen Bonds zu finden. Die aus der ISIN-Datenbank der EZB zur Verfügung gestellten aggregierten Bestände erlauben es, die Notionals der Portfolien über alle Euro-Staatsanleihenmärkte hinweg in einer granularen Weise nach Investorengruppen zu ermitteln. Die Auswertung der Zahlen für das erste Quartal liefert folgende Erkenntnisse: Die Nettokäufe aus Übersee waren entscheidend für die reibungslose Aufnahme der anhaltend hohen Nettoemissionen und rückläufigen EZB-Bestände. Dies gilt vor allem für Frankreich, wo Überseeinvestoren ihre Bestände im ersten Quartal um 33,8 Mrd. Euro aufgestockt haben. Über alle Euro-Staatsanleihen hinweg kauften Übersee-Investoren im ersten Quartal 145,7 Mrd. Euro und tätigten damit die mit Abstand größten Nettokäufe seit Beginn der Datenerfassung.
Massiver Beitrag
In Italien haben inländische Privatanleger (Retail) einen massiven Beitrag geleistet, indem sie 28,4 Mrd. Euro kauften und ihren Anteil an BTPs auf erstaunliche 14% ausgebaut haben (zum Vergleich: Griechenland liegt mit einem Retail-Anteil von 1,6% an zweiter Stelle). Auch die Banken waren auf der Käuferseite, wobei Italien die bemerkenswerte Ausnahme darstellt. Während dies zu Beginn des Jahres in der Regel der Fall ist, waren die Nettokäufe der Banken viel ausgeprägter als in den vorigen Jahren, was wahrscheinlich auf die günstigeren Bewertungen von Staatsanleihen gegenüber Swaps zurückzuführen ist.
ALM (Versicherer und Pensionsfonds) waren kaum aktiv, wobei die bescheidenen Nettokäufe der Pensionsfonds in den Kernländern durch Nettoverkäufe von Versicherern ausgeglichen wurden. Der gemeinsame Nenner dieser Zahlen ist, dass die Käufe von Investoren mit üblicherweise vergleichsweise kurzen Laufzeiten getätigt wurden. Insbesondere bei Bunds deuten zudem die Daten der Finanzagentur zu den Sekundärmarktaktivitäten darauf hin, dass Hedge-Fonds im ersten Quartal eine neutrale Positionierung in der Kasse und Future eingenommen haben, nach deutlichen Nettokäufen in den beiden Jahren zuvor. Dementsprechend spiegelt der Großteil der Bund-Käufe aus Übersee wahrscheinlich Real Money wider, insbesondere Devisenreserven ausländischer Zentralbanken, da die japanischen Nettokäufe ebenfalls sehr gering waren. Und anders als im Negativzinsumfeld werden die Devisenreserven bei einem höheren Zinsniveau und inverser Kurve kaum noch am langen Ende angelegt.
Die ALM-Nachfrage hingegen war praktisch nicht vorhanden (ähnlich wie letztes Jahr): Pensionsfonds und Versicherer haben in allen Bereichen praktisch keine Nettokäufe an Euro-Staatsanleihen getätigt. Dies folgt auf die größten Nettoverkäufe, die in Q4-2023 verzeichnet wurden. Da zudem die Emissionen von ultralangen Anleihen aus dem Kern und Semi-Kern und durch die EU auf ein Rekordhoch geklettert ist, führt das Fehlen der wichtigen strukturellen Durationskäufer zu Spread-Zugeständnissen gegenüber Swaps und den jeweiligen Credit-Kurven.
Kreditwürdig
Diese Turbulenzen sind anders
Von Christoph Rieger
Christoph Rieger leitet das Zins- und Credit-Research der Commerzbank.