InterviewSteven Quattry, Morgan Stanley

„Zwei Märkte übertreffen sogar den S&P“

Schwellenländerexperte Steven Quattry von Morgan Stanley hat fünf Aktienmärkte ausgemacht, die vielversprechende Aussichten bieten und zudem sehr günstig bewertet sind. Im Interview der Börsen-Zeitung verrät der Portfoliomanager, welche Länder das sind und welche Märkte sogar den S&P 500 schlagen.

„Zwei Märkte übertreffen sogar den S&P“

Im Interview: Steven Quattry

„Zwei Märkte übertreffen sogar den S&P“

Hidden Emerging Markets bieten günstige Einstiegsgelegenheiten – Experte sieht viel Potenzial bei Milei – Reformen sind Triebfeder für satte Gewinne

Schwellenländerexperte Steven Quattry von Morgan Stanley hat fünf Aktienmärkte ausgemacht, die vielversprechende Aussichten bieten und zudem sehr günstig bewertet sind. Im Interview der Börsen-Zeitung verrät der Portfoliomanager, welche Länder das sind und welche Märkte sogar den S&P 500 schlagen.

Herr Quattry, wir leben in geopolitisch schwierigen Zeiten. Dennoch sind viele Aktienmärkte in diesem Jahr gut gelaufen. Gute Einstiegsmöglichkeiten sehen Sie nun bei einigen Hidden Emerging Markets, die zu historisch niedrigen Bewertungen gehandelt werden. Welche sind das?

Wir haben gerade eine sehr interessante Periode. Es gibt eine Reihe von Ländern, die derzeit mit der wahrscheinlich schwersten wirtschaftlichen Notlage konfrontiert sind, die sie seit etwa 25 Jahren erlebt haben. Zu diesen Ländern gehören Argentinien, Pakistan, die Türkei, Ägypten und Nigeria. Um die Notlage zu verdeutlichen, können Sie sich die Währungen dieser Länder ansehen, die zwischen 50 und 90% gefallen sind. Doch paradoxerweise haben sich diese Aktienmärkte in den letzten zwei Jahren erholt. Abgesehen von Nigeria sind die Aktienmärkte in Dollar gerechnet zwischen 20 und 80% gestiegen. Zwei von ihnen, Pakistan und Argentinien, übertreffen sogar den S&P.

Haben Sie eine Erklärung dafür?

Das lässt sich im Wesentlichen auf ein Wort reduzieren und das ist Reform. Wir sollten uns das so vorstellen, dass jede Wirtschaftskrise das Potenzial für neue Reformen mit sich bringt, die dann die Voraussetzungen für eine bessere Situation in den kommenden Jahren schaffen. Nun setzen viele dieser Länder Maßnahmen um, gegen die sie sich jahrelang gewehrt haben. Und Märkte blicken in die Zukunft. Trotzdem werden sie noch immer zu historisch niedrigen Bewertungen gehandelt, die zwischen dem Vierfachen und dem Siebenfachen der Gewinne liegen. Wir denken daher, dass dies ein wirklich interessanter Zeitpunkt ist, um diese Märkte näher zu betrachten.

In Argentinien gilt der libertäre Präsident Javier Milei vielen Beobachtern zumindest als unorthodox, wenn nicht als rechtspopulistisch. Die Märkte scheinen seine Politik aber bisher zu stützen. Gehen Sie davon aus, dass sich der jüngste Rekordlauf der dortigen Börse fortsetzt? Und wie weit kann der tragen?

Milei ist vielleicht unorthodox in seinen Methoden, aber wirtschaftlich ist seine Politik eine sehr willkommene Abkehr von einer unorthodoxen Wirtschaftspolitik hin zu einer orthodoxen. Unter der vorherigen Regierung und über viele frühere Regierungen hinweg hat das Land auf fiskalische Monetarisierung zurückgegriffen, im Wesentlichen auf das Drucken von Geld zur Deckung von Staatsdefiziten. Milei ist bekannt dafür, dass er bei Wahlveranstaltungen eine Kettensäge schwang und versprach, die inflationären öffentlichen Ausgaben mit der Kettensäge zu senken. Und das ist genau das, was er getan hat. Zum ersten Mal seit 70 Jahren wird die Regierung einen Haushaltsüberschuss erwirtschaften, und zwar ohne die Hilfe eines Booms bei den Rohstoffpreisen und ohne eine Art einmalige Privatisierung. Milei hat das Potenzial, einen echten Regimewechsel zu bewirken.

Und das kann so weitergehen?

Die Investoren werden langsam darauf aufmerksam. In Argentinien sind die Gewinne pro Aktie seit 2011 um 220% gewachsen, während der S&P bei 177% liegt. Trotzdem werden Aktien immer noch nur mit dem Siebenfachen des Gewinns gehandelt. Das könnte also noch weitergehen. Es hängt davon ab, ob Milei in der Lage ist, die argentinische Wirtschaft zu verbessern oder nicht. Reformorientierte Präsidenten sind in der Vergangenheit daran gescheitert, dass es einen starken politischen Widerstand gegen eine Kürzung der Staatsausgaben gab. Die Umfragen zeigen aber, dass die Zustimmungsrate zu Milei lange bei über 50% geblieben ist. Das ist ein vielversprechendes Zeichen dafür, dass die Argentinier glauben, dass ein echter Wandel notwendig ist.

Zuletzt sind Mileis Werte etwas gefallen.

Ja, die Unterstützung für ihn ist in den letzten Monaten etwas zurückgegangen und unter 50% gesunken. Das ist etwas, was wir sehr genau beobachten, weil ich denke, dass es eine Art Schlüsselfrage ist, ob er in der Lage sein wird, mit vielen seiner politischen Maßnahmen fortzufahren oder nicht. Es gibt einige vielversprechende Anzeichen, aber wir müssen abwarten, wie sich seine Zustimmungsraten entwickeln.

Auch in Nigeria kämpft ein ehrgeiziger Präsident mit einer hohen Inflation und Währungsturbulenzen. Warum ist das Land für Sie aussichtsreich?

Nigeria ist für mich das größte Land der Welt, über das Investoren am wenigsten wissen. Aber das könnte sich angesichts einiger demografischer Trends und eines möglichen Wachstumsschubs bald ändern. Wir haben in Nigeria zuletzt acht Jahre wirtschaftliche Stagnation unter der Präsidentschaft von Muhammadu Buhari gesehen. Vor Buhari, zwischen 2001 und 2014, gehörte Nigeria aber zu den 15 am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt. Während Buharis Amtszeit sank das Durchschnittseinkommen der Nigerianer dann um ein Drittel. Das war einer der stärksten Rückgänge, den ein Land in dieser Zeitspanne zu verzeichnen hatte. Zum Vergleich: Kenia, Ruanda und Ägypten verzeichneten in dieser Zeit einen Einkommensanstieg zwischen 20 und 40%. Das Problem waren wirklich schlechte politische Entscheidungen und eine überbewertete Währung, die an einen nicht wettbewerbsfähigen Kurs gebunden war. Das raubte dem Land das dringend benötigte ausländische Kapital.

Und Sie glauben, dass sich das unter dem aktuellen Präsidenten Bola Tinubu ändern wird?

Wir sind deshalb so von Nigeria begeistert, weil die neue Regierung einige wirklich ehrgeizige Reformen eingeleitet hat. Präsident Tinubu war zuvor Gouverneur des Staates Lagos und während dieser Zeit hat er den Staat schrittweise zum Wohlstand geführt. Er hat die öffentlichen Dienstleistungen erheblich verbessert und es gelang ihm, die Bürger im Gegenzug davon zu überzeugen, mehr Steuern zu zahlen. Als er zum Präsidenten wurde, sagte er bei seiner Amtseinführung ein paar Dinge, wie dass die Treibstoffsubvention, die die Regierung 10 Mrd. Dollar pro Jahr kostet, abgeschafft wird. Etwa einen Monat später schaffte er die verschiedenen Wechselkurse ab und führte eine Wiedervereinigung der verschiedenen Kurse herbei, wodurch die Währung um etwa 70% abwertete. Diese Maßnahmen haben natürlich kurzfristig zu einer hohen Inflation geführt. Die Kraftstoffpreise haben sich über Nacht verdreifacht. Diese Reformen sind zwar kurzfristig schmerzhaft, werden dem Land aber mittelfristig die Möglichkeit geben, sich anzupassen und zu wachsen.

Was spricht noch für Nigeria?

Wenn Sie mit Kabinettsmitgliedern sprechen, wird klar, dass ihre oberste Priorität darin besteht, die Wirtschaft durch private Investitionen wachsen zu lassen. Und der Präsident ist ein Reformer, der einige der wichtigsten Hemmnisse beseitigt. Ein weiterer Grund für die vielversprechende Entwicklung ist, dass Nigeria eine Bevölkerung von 220 Millionen Menschen hat, in den nächsten zehn Jahren wird die Zahl der Arbeitskräfte um weitere 38 Millionen steigen. Das ist mehr als in jedem anderen Land der Welt außer Indien. Und wenn die Zahl der Arbeitskräfte wächst, steigt in der Regel auch die Nachfrage nach Konsumgütern, Kleidung, Gebrauchsgütern und anderen Produkten. Zudem ist die Bevölkerung unglaublich jung. Die Hälfte der Bevölkerung, über 110 Millionen Menschen, sind unter 18 Jahre alt. Diese junge, technikaffine Bevölkerung bietet eine Reihe wirklich interessanter Möglichkeiten. Wir sind sehr gespannt auf das künftige Wachstum dieses großen Landes, sobald die Reformen greifen.

In der Türkei hat Präsident Erdogan eine Kehrtwende vollzogen und ist zu einer strikteren Geldpolitik übergegangen. War das der Startschuss für die rasante Erholung an den Aktienmärkten?

Ja. Das Land hat unter Erdogan lange eine sehr lockere Geldpolitik betrieben. Erdogan hatte diesen sehr unorthodoxen Glauben, dass Zinssenkungen der Schlüssel zur Inflationsbekämpfung sind. Es war klar, wie das ausgehen würde. Das hat zu einer Inflation geführt, die um bis zu 85% anstieg, während die Währung um 70% gefallen ist. Nach seiner Wiederwahl hat Erdogan dann eine dramatische Wende hin zur monetären Orthodoxie vollzogen. Er ernannte eine Reihe von glaubwürdigen Beamten, sowohl für die Zentralbank als auch für das Finanzministerium. Außerdem hob er die Zinssätze von 8,5% auf 50% an. Damit wurde endlich damit begonnen, die Ursache für die hohe Inflation zu bekämpfen.

Und daraufhin haben auch die Aktienmärkte angezogen?

Nach der Ernennung glaubwürdiger Beamter und nach der Erhöhung der Zinssätze ging es mit dem Markt aufwärts. In letzter Zeit gab es allerdings einen Ausverkauf auf dem türkischen Markt, teilweise im Zusammenhang mit dem geopolitischen Risiko, das wir auch sehen. Nichtsdestotrotz halten wir die Türkei für einen interessanten Markt. Sie hat eine Reihe von wirklich interessanten Unternehmen, die mit dem Export verbunden sind. Eine schwächere Währung könnte diesen Unternehmen weiterhelfen. Und der Markt wird nur mit dem 4- bis 5-fachen der Gewinne gehandelt.

Pakistan gilt mit seinem interventionistischen Militär und islamistischen Auswüchsen als notorisch unruhig. Doch auch hier sehen Sie Chancen.

Letzten Endes investieren wir in Unternehmen und der Unternehmenssektor hat sich als sehr widerstandsfähig erwiesen. In Pakistan gibt es eine Reihe von säkularen Themen, die eine Rolle spielen, wie zum Beispiel Digitalisierung und Fintechs. Der pakistanische Gewinn pro Aktie ist in den letzten knapp 15 Jahren um 360% gestiegen. Er übertrifft damit sogar den S&P-Gewinn pro Aktie, der um 170% gestiegen ist.

Worauf setzten Sie im Speziellen?

Wir haben in die größte digitale Bank in Pakistan investiert. In dem Land mit etwa 250 Millionen Einwohnern gibt es nur 80 Millionen Bankkunden, die Bankendurchdringung ist also gering. Das bietet ein enormes Wachstumspotenzial für digitale Banken. Und diese Bank hat in den letzten zehn Jahren eine Gewinnsteigerung von 40% pro Jahr im Durchschnitt und auf Dollarbasis erzielt. Trotz der Volatilität der Währung und der politischen und wirtschaftlichen Einflüsse. Außerdem haben wir in einen IT-Dienstleister, der seine Dienste Kunden in der ganzen Welt anbietet, investiert. Technologie ist einer der herausragenden Sektoren Pakistans. Die Exporte sind in diesem Jahr um 24% auf 3,2 Mrd. Dollar gestiegen. Das ist ein Allzeithoch. Und auch hier profitiert man von einer abwertenden Währung, weil die Kostenbasis in Landeswährung angegeben wird und diese Kosten weiter sinken, wenn die Währung abwertet. Die Einnahmen werden jedoch in Dollar erzielt, da das Unternehmen eine Reihe von Kunden in den USA und im Nahen Osten bedient. Ein interessantes Unternehmen wie dieses wird mit einem KGV von etwa dem Zehnfachen der Gewinne des nächsten Jahres gehandelt. Ein ähnliches Unternehmen in den USA wird mit dem 25- oder 30-fachen des Gewinns gehandelt.

Und was finden Sie an Ägypten faszinierend?

Wenn wir über die zunehmende geopolitische Volatilität in der heutigen Welt sprechen, steht Ägypten genau im Zentrum des Fadenkreuzes. Es wurde von einer ganzen Reihe externer Schocks getroffen. Covid hat den Tourismus ziemlich hart getroffen. Wegen des Ukraine-Konflikts stiegen die Preise für Weizen um mehr als 40% an. Ägypten ist nach China der zweitgrößte Weizenimporteur der Welt. Mit den jüngsten Problemen im Gazastreifen wurde erneut der Tourismus getroffen. Zudem sind die Ölpreise in die Höhe geschossen. Ägypten importiert Öl. Und sogar die Einnahmen aus dem Suezkanal, die in der Vergangenheit ein guter Anker für stabile Dollareinnahmen waren, wurden in Mitleidenschaft gezogen.

Das klingt alles erstmal nicht so toll.

Ägypten hat beim Ras-el-Hekmah-Deal eine Kapitalspritze in Höhe von 35 Mrd. Dollar aus den Vereinigten Arabischen Emiraten bekommen. Außerdem hat Ägypten als Gegenleistung für die Verpflichtung zu Reformen 15 Mrd. Dollar von IWF und Weltbank erhalten. Eine der Reformen besteht darin, dass sie einer nominalen Obergrenze für die öffentlichen Ausgaben zugestimmt haben, die ziemlich verschwenderisch sind. Sie haben auch einer Schuldenobergrenze zugestimmt, weil die Staatsverschuldung historisch hoch ist. Ägypten ist damit eines der wenigen Länder, in denen die Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP in den kommenden Jahren deutlich sinken wird. Und der Aktienmarkt in Ägypten wird zu einem eher anspruchslosen siebenfachen Gewinn gehandelt.

All diese Länder haben gemeinsam, dass sie in der jüngeren Vergangenheit in erhebliche Turbulenzen geraten sind. Können die hohen Renditeaussichten die Unsicherheiten, die mit Investments in diesen Ländern einhergehen, wirklich ausgleichen?

Ich schlage nicht vor, dass die Leute ihre gesamten Ersparnisse in diese Märkte stecken. Aber es gibt starke Argumente dafür, dass jedes globale Aktienportfolio einen kleinen Prozentsatz seiner Schwellenländerallokation diesen Märkten zuweisen sollte. Die Wahrnehmung ist, dass diese Märkte unglaublich volatil sind, aber obwohl sie wirtschaftlich und politisch volatil sein mögen, ist das Wachstum der Unternehmensgewinne unglaublich stabil. Dafür gibt es Gründe. Die Unternehmen sind oft in der Lage, Preiserhöhungen weiterzugeben und sie sind in der Lage, ihre Kostenbasis nach unten zu korrigieren. Länder wie die Türkei haben ihre Gewinne schneller gesteigert als Indien, das ein globaler Favorit ist. Und man kann diese robusten Gewinne zu historisch niedrigen Bewertungen kaufen.

Das macht diese Länder sogar interessanter als Indien?

Ich glaube, der Unterschied zwischen einer wirklich großartigen Geschichte und etwas, in das man investieren sollte, ist der Preis, den man zahlt. Wenn der S&P mit dem 25-fachen des Gewinns gehandelt wird, oder der globale Liebling der Schwellenländer, Indien, mit dem 24-fachen des Gewinns gehandelt wird, dann sind das großartige Geschichten. Aber Sie zahlen dafür einen hohen Preis. Wenn Anleger nach etwas Anderem suchen, nach einer gewissen Diversifizierung, dann sind diese Länder etwas, das nicht so stark mit globalen Aktien korreliert. Ich denke, dass diese Märkte, die zwischen dem Vier- und Siebenfachen des Gewinns gehandelt werden, einen genaueren Blick wert sind.

Zur Person: Steven Quattry ist Investor im Emerging Markets Equity Team und Portfoliomanager für die Next Gen Emerging Markets Strategie bei Morgan Stanley. Er konzentriert sich auch auf thematisches Research und reist ausgiebig in die Grenz- und Schwellenländer, die er abdeckt. Er kam 2011 zu Morgan Stanley und verfügt über 20 Jahre Anlageerfahrung.

Das Interview führte Tobias Möllers. Das vollständige Interview lesen Sie unter www.boersen-zeitung.de.