Emerging Markets besser als ihr Ruf
Ein häufig zitiertes Börsen-Bonmot lautet, dass wenn die USA niese, Europa einen Schnupfen bekomme. Diese auf die Wirkung von Kursentwicklungen an der Leitbörse der Welt abzielende Beschreibung gilt analog und verstärkt für die Risikowahrnehmung der Schwellenländer. Noch immer, obwohl sich die Lage in dieser Ländergruppe deutlich gewandelt hat.
Mit schöner Regelmäßigkeit alle paar Jahre verursachten in den 1990er Jahren Krisen einzelner Schwellenländer Schockwellen, die Ansteckungseffekte über Länder- und Assetklassengrenzen hinaus bedeuteten: 1994/95 Tequila-Krise in Mexiko, 1997/98 Asien-Krise, 1998 der Zahlungsausfall in Russland, im Jahr 2001 der Zusammenbruch Argentiniens. Alle diese Events sorgten für kollektive Panikreaktionen an den Märkten, die Risikoaufschläge der Emerging Markets schossen nach oben und Kapital ausländischer Investoren wurde abgezogen.
Wenn man die Schlagzeilen der Finanzpresse dieser Tage studiert, scheint sich die Krisenanfälligkeit nicht reduziert zu haben. Die Marktkommentatoren haben bei fast allen globalen Herausforderungen (Corona-Pandemie, Lieferketten-Verzögerungen, dem Krieg in der Ukraine mitsamt den Schockwellen für die Versorgung der Welt mit Getreide und Öl, den Ansprung der Inflation und schließlich den Anstieg der Zinsen in den USA) massive Probleme für die Solvenz der Schwellenländer angenommen. Indes, die Situation ist differenzierter zu sehen als in früheren Episoden von Volatilität.
Auf den ersten Blick scheint die ökonomische Situation herausfordernd. Die meisten Volkswirte – so auch aus unserem Hause – erwarten für dieses oder das kommende Jahr zumindest eine leichte weltweite Rezession. Diese Periode gilt weithin als „Risk-off“-Szenario, also ein Umfeld, in dem die Investoren die Risiken von Schwellenländeranlagen scheuen. Zudem sind die Renditen für „risikolose“ Dollar-Zinsanlagen (die Risikokomponente längerer Durationen durften die Anleger ja im vergangenen Jahr ausführlich erleben) als Alternative deutlich höher und stellen somit eine Konkurrenz für Emerging-Market-Emittenten dar.
Auf der anderen Seite müssen sich die Zentralbanken bei der Bekämpfung von Inflation(serwartungen) keineswegs hinter den großen Notenbanken der westlichen Welt verstecken. Sie haben früher und entschlossener die Leitzinsen angehoben als Fed, Europäische Zentralbank & Co, auf ein durchschnittliches Niveau von über 10% (Quelle: BofA, Bloomberg). Folglich sinken die Inflationsraten in den Schwellenländern bereits wieder, was mittelfristig einen höheren geldpolitischen Spielraum bei der Steuerung der Konjunktur bedeutet. Gleichzeitig sind die positiven Effekte aus der Rücknahme der Covid-Einschränkungen in China nicht zu übersehen. Hier schlagen besonders die steigenden chinesischen Importe sowie auch das Wiederanspringen des Tourismus von chinesischen Gästen positiv zu Buche. Diese Effekte sorgen – im Zusammenhang mit aus unserer Sicht stark unterbewerteten Wechselkursen der Schwellenländer – für ein positives Momentum.
Volumen vervierfacht
Aus Investorensicht sind besonders die Anleihemärkte der Schwellenländer eine wichtige Region geworden, da das ausstehende Volumen der Emerging Markets mit 28 Bill. Dollar immerhin mehr als ein Fünftel des Gesamtvolumens von 124 Bill. Dollar ausmacht (Quelle: J.P. Morgan, BIZ). Seit der globalen Finanzkrise von 2008/09 hat sich das Volumen von Emerging-Markets-Anleihen um den Faktor 4 vergrößert. Der Markt ist nicht nur volumenmäßig gewachsen, er ist auch zunehmend breit und tief. Während in den 1990er Jahren lediglich etwa zehn Länder Anleihen in Dollar emittierten, sind heute alleine 74 Länder Teil des gängigsten Anleiheindex. Auch der Markt für lokale Anleihen ist stark gewachsen, von 13 im Jahr 2005 auf heute über 45 investierbare Märkte.
Attraktive Renditen
Gleichzeitig sind die erzielbaren Renditen sowohl für Hartwährungs- als auch Lokalwährungsanleihen im historischen Vergleich recht attraktiv. Die Aufschläge gegenüber Staats- und Unternehmensanleihen aus dem Dollar-Raum sind auf mehrjährigen Hochs, und dies noch bevor eine mögliche Rezession in den USA auf den dortigen Unternehmenssektor durchschlägt. In der Vergangenheit waren Anlagen in Schwellenländeranleihen verbunden mit attraktiven laufenden Renditen und gelegentlichen, teils stärkeren, Korrekturphasen. Dies wird sich auf Grund des Verhaltens internationaler Anleger auch nicht grundlegend ändern. Für eine strategische Berücksichtigung in einem international ausgerichteten Portfolio sind sie – auch aufgrund der Diversifikationseigenschaften, eine wertvolle Ergänzung.
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