Türkei

Erdogans geldpolitisches Experiment

Bei türkischen Eurobonds könnte die Wahl eines neuen Präsidenten mittelfristig eine durchgreifende Erholung auslösen. Es wären schnelle Ratingheraufstufungen zu erwarten.

Erdogans geldpolitisches Experiment

Von Janis Hübner*)

Als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan im März vergangenen Jahres zum wiederholten Mal einen seiner Zentralbankgouverneure entlassen hat, ist schnell klar gewesen, dass damit eine Phase der geldpolitischen Lockerung eingeläutet werden würde. Der geschasste Naci Agbal hatte die Zinssätze zuvor deutlich angehoben. Sein Nachfolger Sahap Kavcioglu stand für den entgegengesetzten Kurs. Erst im weiteren Jahresverlauf wurde jedoch deutlich, dass Erdogan von nun an entschlossen war, den Weg zu niedrigen Zinsen um jeden Preis zu verfolgen. So nahm die türkische Notenbank Leitzinssenkungen um insgesamt 500 Basispunkte (BP) auf 14% vor. Die klare Botschaft, dass weder Kursverluste der Lira noch Preisanstiege für die Konsumenten zu einem Umlenken führen würden, hat schließlich die Anleger entnervt. Nach dem Beginn der Zinssenkungen im September folgte bis kurz vor Weihnachten ein Absturz der Lira gegenüber dem Dollar um 50%.

Lira auf Talfahrt

Die Talfahrt der Lira hat Importgüter verteuert und zu einem massiven Anstieg der Inflationserwartungen geführt. Die Teuerungsrate vollzog allein im Dezember einen Sprung von 21,3% auf 36,1%. Das Vertrauen in die türkische Wirtschaftspolitik ist auf einem Tiefpunkt angelangt. Kurz vor Weihnachten gab es dann den Versuch eines Befreiungsschlags zur Stabilisierung der Lira: Türkische Anleger sollten zur Auflösung ihrer Fremdwährungseinlagen bewegt werden, indem ihnen Ausgleichszahlungen für Wertverluste der Lira angeboten wurden. In einem Umfeld von geringem Vertrauen in die politisch Handelnden ist dieser Vorschlag auf wenig Resonanz gestoßen.

Auch die Devisenmarktinterventionen der türkischen Notenbank im Umfang von mehr als 7 Mrd. Dollar sind verpufft, weil die Marktteilnehmer wissen, dass die Währungsreserven zu gering sind, um als dauerhafte Stütze dienen zu können. Nach einem Kurssprung der Lira bei Ankündigung der Einführung der „währungsgesicherten“ Lirakonten verlor die Währung wieder. Heute liegt sie nahe den Niveaus von Anfang Dezember.

Die Ratingagenturen reagierten auf die jüngste Entwicklung negativ. Sowohl Standard&Poor’s als auch Fitch haben ihren Ratingausblick im Dezember von „stabil“ auf „negativ“ gesenkt. Dass die türkische Politik in so kurzer Abfolge mehrere Währungskrisen herbeiführt und damit makroökonomische Erfolge wie die Verringerung des Leistungsbilanzdefizits zunichtemacht, sorgt für Ratlosigkeit. Die Ratings blieben allerdings zunächst unverändert, was vor allem damit zu erklären ist, dass sie sich bereits auf niedrigem Niveau befinden. Vergibt Fitch ein „BB–“, liegt das Rating bei Standard&Poor’s bei „B+“ und bei Moody’s mit „B2“ sogar noch eine Stufe darunter. Zudem wird die Schwäche der türkischen Institutionen, allen voran die der Zentralbank, von Agenturen schon seit langem berücksichtigt. Besser stehen türkische Eurobonds da. Sie reagierten zwar auch negativ auf den Währungsverfall, aber keineswegs panisch: Der EMBIG-Spread stieg seit September von rund 490 BP in der Spitze auf 655 BP, erholte sich aber in den vergangenen Wochen auf 560 BP.

So gibt es einen Widerspruch zwischen der Wahrnehmung vieler Beobachter, Erdogan führe die Türkei wirtschaftlich in eine Sackgasse, und der relativ entspannten Reaktion des Eurobondmarkts. Der Grund: Erdogans Politik produziert zwar viele Verlierer, aber die Staatsfinanzen wurden bislang nicht massiv geschädigt. Hauptverlierer sind die Konsumenten, die sich selbst grundlegende Güter des täglichen Gebrauchs oftmals nicht mehr leisten können. Verlierer sind auch jene Unternehmen, die sich vornehmlich in Fremdwährung verschuldet haben, ohne gleichzeitig über Exporteinkommen Deviseneinnahmen zu erwirtschaften.

Obwohl in kaum einem anderen Land Unternehmen so stark in Fremdwährungen verschuldet sind wie in der Türkei, sind in den Währungskrisen der vergangenen Jahre die Insolvenzen nicht so stark ge­stiegen wie von manchem be­fürchtet. Im Gegenteil: Die Wirtschaft hat sich immer wieder robust gezeigt. Im ersten Coronajahr war die Türkei eine der wenigen Volkswirtschaften, die positives Wachstum aufweisen konnten, und 2021 dürfte das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) um rund 10% zugelegt haben. Profiteure der Abwertung sind insbesondere die Exporteure. Der türkische Aktienmarkt legte parallel zur Abwertung eine Rally hin, die ihn trotz eines Rückschlags vor Jahresende auf 50% über das Niveau von Ende September katapultierte.

Das starke Wirtschaftswachstum sorgt für hohe Staatseinnahmen, und die Inflation entwertet die in Lira denominierten Staatsschulden. Gleichzeitig hat die Abwertung allerdings zur Folge, dass die Fremdwährungsschulden des Staates zu einer größeren Last werden. So dürfte die gesamte öffentliche Verschuldung Ende 2021 mit rund 40% des BIP ähnlich hoch gewesen sein wie im Jahr zuvor. Die Lage der Staatsfinanzen ist nach wie vor eher ein Pluspunkt im türkischen Bonitätsprofil.

Trotzdem sind die Risiken gestiegen: Die Inflation beginnt erst jetzt wirklich zu galoppieren, und die Erfahrung zeigt, dass die Belastungen für die Wirtschaftsentwicklung bei solchen Sprüngen zunehmen. Mit Blick auf die Bonität ist entscheidend, dass der Zugang zum internationalen Kapitalmarkt für Unternehmen, Banken und Staat erhalten bleibt. Der als sprunghaft verschriene Finanzmarkt hat sich gegenüber der Türkei in den vergangenen Jahren erstaunlich ge­duldig gezeigt. Erdogan baut offenbar darauf, dass dies so bleibt. Das Bankensystem hat zudem bislang davon profitiert, dass Haushalte und Unternehmen ihre Dollars auf ihren Konten halten. Sollte es zu Befürchtungen über Abhebungs­beschränkungen kommen, könnte sich dies ändern, was die Liquiditätslage der Kreditinstitute massiv verschlechtern würde.

Risiko steigt

Auch ohne solche Szenarien hat das Ansehen Erdogans und seiner Partei AKP stark gelitten. Zu Recht wird dem Präsidenten die Hauptverantwortung für die Misere zugeschrieben. So wird der türkische Präsident 2023 erstmals um seine Wiederwahl kämpfen müssen. Dass er sich im Falle eines Erfolgs dann auch noch auf eine Mehrheit im Parlament stützen kann, erscheint aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich, weil die AKP noch stärker an Zustimmung verliert als er selbst. Dass Erdogan alle Hebel in Bewegung setzen wird, um eine Niederlage zu verhindern, ist sicher. Das Risiko neuer außenpolitischer Abenteuer, um patriotische Stimmungen zu schüren, nimmt in den kommenden Monaten zu.

Für türkische Eurobonds ergibt sich damit mittelfristig ein realistisches Szenario einer durchgreifenden Erholung. Mit einem neuen Präsidenten, der die Institutionen des Landes und die Beziehungen zu den westlichen Partnern stärkt, wären schnelle Ratingheraufstufungen zu erwarten. Ein Dauerkonflikt zwischen einem wiedergewählten Erdogan und einer ihm feindlich gesinnten Parlamentsmehrheit würde dagegen wohl kaum zu Erleichterung führen.

*) Janis Hübner ist im Makro-Research der DekaBank tätig.

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