Rohstoffmärkte

EU droht Diesel-Knappheit

In Europa könnte wegen der jetzt in Kraft getretenen Sanktionen gegen Russland der Dieselkraftstoff knapp werden. Zumindest ist mit einer Verteuerung zu rechnen.

EU droht Diesel-Knappheit

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt

Am Ölmarkt sind die Preise zuletzt wieder deutlich unter Druck geraten. Zum Wochenbeginn ist die Notierung der wichtigsten Ölsorte unter die Marke von 81 Dollar je Barrel gefallen, Mitte Januar hatte sie noch zu mehr als 88 Dollar notiert. Die US-Sorte WTI ist derzeit zeitweise unter 74 Dollar zu haben, Mitte Januar kostete sie fast 82 Dollar.

Zeitgleich mit dem Preisrückgang hat es in der vergangenen Woche die Sitzung des für die Produktionskürzungen zuständigen Komitees des Kartells Opec plus gegeben. Dieses hat keine Änderungen der Produktionsmengen vorgenommen, also trotz der schwierigen konjunkturellen Lage keine weiteren Kürzungen beschlossen. Nach Einschätzung von Carsten Fritsch, Rohstoffanalyst bei der Commerzbank, ist die Entscheidung der Opec plus aber nicht der Grund für den Preisverfall, da sie allgemein erwartet worden sei. Fritsch verweist zur Erklärung des Preisrückgangs stattdessen auf schwache amerikanische Konjunkturdaten sowie die Daten des US-Energieministeriums­ zu den Lagerbeständen an Rohöl und Ölprodukten. Die Bestände an Rohöl seien auf das höchste Niveau seit Juni geklettert, insgesamt habe sich seit Jahresanfang ein Lageraufbau um 32 Mill. Barrel ergeben. Normal sei für diese Jahreszeit hingegen ein Lagerabbau. Der US-Ölmarkt haben sich somit im Januar als reichlich versorgt erwiesen, und auch in Europa habe sich die Lage zuletzt entspannt.

Auf den Ölmarkt kommen indes trotz der Entspannung insbesondere bei Rohöl Schwierigkeiten zu, die vor allem Europa betreffen dürften. Grund dafür sind die neuen europäischen Sanktionen gegen russische Erdölprodukte, die am Wochenende in Kraft getreten sind und die für Produkte wie Dieselkraftstoff Preishöchstgrenzen unter den aktuellen Marktpreisen vorschreiben. Da Russland Gegensanktionen beschlossen hat und den Verkauf an Kunden untersagt, die sich den zwangsweisen Preisobergrenzen anschließen, könnte es auf Versorgungsengpässe in Europa und damit kräftig steigende Preise bei Ölprodukten hinauslaufen. Die EU hat aktuell rund 1 Mill. Barrel pro Tag (bpd) an russischen Ölprodukten zu ersetzen, davon 600000 bis 650000 bpd an Diesel.

Der Engpass in Europa an dem für die Logistik so wichtigen Dieselkraftstoff dürfte allerdings nicht sofort sichtbar werden, denn die EU hat bis zum Inkrafttreten des neuerlichen Markteingriffs umfangreiche Vorräte angelegt. So hat Russland im Dezember 1,2 Mill. bpd an Dieselkraftstoff exportiert, so viel wie seit Jahren nicht mehr. Nach Berechnungen der International Energy Agency IEA gingen davon rund 720000 bpd in die EU. Diese Vorräte sind auch dringend erforderlich, weil der Weltmarkt für Ölprodukte aktuell chaotische Zustände aufweisen könnte, weil sich neue Lieferbeziehungen aufbauen müssen. So wird die EU nun Diesel vor allem aus dem Nahen Osten und den Vereinigten Staaten importieren müssen, zu voraussichtlich deutlich höheren Preisen, um sich die Dieselmengen­ bei anderen Lieferanten zu sichern. So plant Kuwait beispielsweise, die Dieselexporte nach Europa im laufenden Jahr zu verfünffachen. Allerdings läuft die neue sehr große Raffinerie Al-Zour, die rund 145000 bpd herstellen soll, noch nicht auf vollen Touren. Dies soll erst im April der Fall sein. Saudi-Arabien steigert seine Exporte ebenfalls. Russland wiederum wird Dieselkraftstoff vor allem nach Asien, nach Lateinamerika und nach Afrika exportieren, wo eine große Nachfrage besteht. Lateinamerika wurde bislang vor allem durch die USA versorgt.

Da sich der Markt auf die neuen Sanktionen vorbereitet hat, ist nach Einschätzung der meisten Marktbeobachter zwar mit steigenden Preisen in Europa für Dieselkraftstoff, aber nicht mit tiefgreifenden Verwerfungen zu rechnen, bis sich die neuen Lieferbeziehungen etabliert haben. Allerdings befürchten einige Marktbeobachter, dass zusätzliche Dieselmengen aus neuen Raffinerien im Mittleren Osten Europa im größeren Umfang erst zum Jahresende hin erreichen werden. Sollte das der Fall sein, könnte es zumindest zeitweise doch noch zu recht deutlichen Preisreaktionen kommen. Allerdings wird überwiegend nicht damit gerechnet, dass die Sanktionen ihr Ziel erreichen, nämlich die Einnahmen Russlands aus dem Verkauf von Rohöl und Ölprodukten deutlich zu reduzieren, um so dem Land die ökonomische Grundlage für den Krieg in der Ukraine zu nehmen. Dieses Ziel wurde auch schon mit der ersten Runde der Energiesanktionen ab Anfang Dezember verfehlt, die russische Erdölproduktion und die Exporte blieben weiter hoch (vgl. Grafik). Dazu hat beigetragen, dass sich Russland nach Einschätzung des bedeutenden Rohstoffhändlers Trafigura mittlerweile eine große sogenannte „Schattenflotte“ an Tankschiffen zugelegt hat, die inzwischen 600 Schiffe umfassen soll – das wären nicht weniger als 27% der weltweiten Tanker. Die EU hatte es zuvor Reedereien verboten, Öl zu transportieren, das zu Preisen oberhalb der von der EU festgelegten Obergrenze verkauft wird.

Inzwischen geht auch der Internationale Währungsfonds IWF in seinen Prognosen davon aus, dass Russland durch die Sanktionen nicht hart getroffen wird: „Es ist zu erwarten, dass die gegenwärtige von den G7-Staaten festgesetzte Preisobergrenze die russischen Rohölexporte nicht signifikant betreffen wird, da die Ausfuhren von Ländern, die Sanktionen verhängt haben, zu anderen Staaten umgeleitet wurden, die sich den Sanktionen nicht angeschlossen haben“, heißt es in der jüngsten Prognose des IWF zu Russland. Derweil ist Russland nun auch noch zum zweitwichtigsten Lieferanten der EU mit LNG-Flüssiggas geworden, nach den USA und vor Katar.