Rohstoffe

EU-Embargo lässt Ölpreis steigen

Der Ölmarkt hat mit einem deutlichen Preisanstieg auf das EU-Embargo gegen russisches Öl reagiert. Allerdings ist das Worst-Case-Szenario eines Ölpreises auf Rekordniveau nicht Realität geworden.

EU-Embargo lässt Ölpreis steigen

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt

Die EU-Kommission hat am Mittwoch einen Vorschlag für das bereits angekündigte Embargo auf russisches Öl durch die EU-Länder vorgelegt. Die Reaktion am Ölmarkt ist spürbar ausgefallen, zu tiefen Verwerfungen ist es aber nicht gekommen. Die Notierung der wichtigsten Referenzsorte legte um 4,2% auf 109,40 Dollar je Barrel zu. US-Leichtöl der Sorte WTI verteuerte sich um 4,5% auf 107,10 Dollar.

Damit bleibt die Reaktion weit hinter dem zurück, was der Markt zu Beginn des Ukraine-Kriegs gesehen hat, als der Brent-Ölpreis kurzzeitig bis über 139 Dollar je Barrel geklettert war. Ausgeblieben ist bislang auch, was die Rohstoffanalysten der amerikanischen Großbank J.P. Morgan befürchtet hatten: Sie schlossen nicht aus, dass der Ölpreis im Fall eines vollständigen Embargos auf russisches Öl bis 185 Dollar je Barrel – und damit auf Rekordniveau – springen könnte. Dies erwarteten sie für den Fall, dass dem Weltmarkt durch einen Käuferstreik schlagartig rund 4 Mill. Barrel pro Tag (bpd) entzogen würden.

Nun ist aber Embargo nicht gleich Embargo. Es kommt auf das Kleingedruckte an, das teilweise auch gar nicht gegenüber der Öffentlichkeit kommuniziert wird. Die Bandbreite zwischen einem angeordneten Boykott, der sich leicht umgehen lässt, bis zu einer tatsächlichen harten Unterbrechung der Versorgung ist groß. Was bislang dem Vorschlag der EU-Kommission entnommen werden kann, deutet eher auf ein zurückhaltendes Vorgehen der EU hin – offensichtlich auf Druck derjenigen Staaten, die in einem hohen Maß von russischem Erdöl abhängig sind, während sich die EU-Kommission bislang in der Ukraine-Krise meist als Scharfmacher positioniert hat.

Nun aber soll den EU-Staaten eine Karenzzeit von sechs Monaten eingeräumt werden. Dies würde es den Ländern ermöglichen, sich neue Lieferanten zu suchen, während Russland neue Kunden finden kann – von denen viele regelrecht Schlange stehen, allen voran Indien. Ungarn und die Slowakei dürfen sogar bis 2023 noch russisches Öl beziehen.

Aber es ist noch lange nicht gesagt, dass auch in einem halben Jahr kein russisches Öl mehr die Länder der Europäischen Union erreicht. Akteure am Ölmarkt können auf reiche Erfahrungen zurückgreifen, wie sich die Herkunft des von ihnen bezogenen und weiterverkauften Öls verschleiern lässt. Während der Iran noch Jahre gebraucht hat, ein solches gut funktionierendes System aufzubauen, scheint dies im Fall Russlands sehr viel schneller zu gehen. Für Käufer ist russisches Öl deshalb attraktiv, weil es derzeit mit einem Preisabschlag von teilweise bis zu 20% oder gar 30% zum Weltmarktpreis verkauft wird. Bislang ist jedenfalls nichts davon zu sehen, dass der Ölexport – etwa durch die bereits beschlossenen Embargos der USA, Großbritanniens, Kanadas und Aus­traliens oder durch den freiwilligen Verzicht von Marktteilnehmern – gesunken wäre. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, dass die russischen Ölexporte in Länder außerhalb der ehemaligen Sowjetunion im April um 2% auf 4,88 Mill. bpd gestiegen seien. Und in seiner Budgetplanung erwartet der russische Staat, dass die Öleinnahmen 2022 mehr als 180 Mrd. Dollar betragen. Das wären 45% mehr als 2021 und 181% mehr als 2020.

Tanker ohne Ziele

So berichtet beispielsweise die Website Tankertrackers.com, im April seien 11,1 Mill. Barrel von Russland aus mit Tankern verschifft worden, die kein Ziel für ihre Reise angegeben hätten. Kenner des Ölmarktes werten das als ein Zeichen dafür, dass das Öl auf hoher See auf andere Tankschiffe umgepumpt wird. Derartige Praktiken hat es auch schon mit iranischem und venezolanischem Öl gegeben. Es werden aber auch noch andere Methoden eingesetzt, um ein Embargo zu umgehen. So sind im Markt neue Ölmischungen aufgetaucht, die es bislang nicht gegeben hat, etwa die lettische oder die turkmenische Mischung. Diese enthalten bis zu 49,9% russisches Öl. Da der Anteil von Öl aus anderen Quellen allerdings geringfügig größer ist, gelten diese Lieferungen nicht als russisches Öl. So hat sich beispielsweise der Shell-Konzern am 7. April dazu verpflichtet, kein russisches Öl mehr zu kaufen. Per Definition wird von Shell allerdings nur dann eine russische Herkunft angenommen, wenn der Anteil russischen Öls 50% oder mehr beträgt. Ob derartige Praktiken von den Bestimmungen des EU-Embargos unterbunden werden, ist noch nicht klar.

Die großen Marktteilnehmer haben aber bereits damit begonnen, die Lieferbeziehungen zu entflechten und neu zu gestalten. So hat jetzt der weltweit größte unabhängige Ölhändler Vitol erstmals eine Ladung der russischen Mischung ESPO in die Vereinigten Arabischen Emirate befördert, wobei das Öl wohl nach Nordasien weiterverkauft wird. Vitol will am Ende 2022 nicht mehr mit russischem Öl handeln, bis dahin dürften aber andere Akteure eingesprungen sein.

Am Markt wird erwartet, dass es den westlichen Ländern nicht gelingen wird, russisches Öl vom Weltmarkt zu verbannen. Die Mindereinnahmen Russlands durch Preisabschläge würden durch das höhere Energiepreisniveau mehr als ausgeglichen. Westeuropa hingegen dürfte unter den durch die Ost-West-Konfrontation hohen Energiekosten langfristig leiden – bis zu dem Punkt, an dem das europäische und deutsche Geschäftsmodell, hochwertige Industrie- und Konsumgüter mit billiger russischer Energie herzustellen, in sich zusammenbricht.

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