IM INTERVIEW: JAMES RUTLAND, SCHRODERS

"Europa ist derzeit ein guter Ort zum Investieren"

Fondsmanager: Korrektur am Aktienmarkt eine gesunde Entwicklung - Niedrige Zinsen passen nicht zum aktuellen Stadium des Zyklus

"Europa ist derzeit ein guter Ort zum Investieren"

Für James Rutland, Co-Fondsmanager des Schroder ISF European Alpha Focus, ist die jüngste Korrektur an den Aktienmärkten ermutigend. Denn sie eröffnet seiner Einschätzung nach wieder interessante Anlagemöglichkeiten. Das fortgeschrittene Stadium des Konjunkturzyklus ist für ihn allerdings Grund, zunehmend über eine defensivere Aufstellung nachzudenken. – Wie beurteilen Sie die Korrektur, die wir an den Aktienmärkten gesehen haben?Ich halte das für eine gesunde Entwicklung. Die Bewertungen an den Aktienmärkten sahen recht ambitioniert aus. Der Konsens ging zur Jahreswende von einem Unternehmensgewinnwachstum im niedrigen zweistelligen Bereich aus, und dann folgte der sehr gute Start an den Aktienmärkten. Die Zinsen und die Rohstoffpreise sind niedrig, was wiederum positiv für die Aktienmärkte ist. Wir besuchen üblicherweise im Januar besonders viele europäische Unternehmen, wodurch wir meistens gute Ideen gewinnen. In diesem Jahr kamen wir allerdings mit weniger Ideen zurück: Es war schwierig, sehr interessante Bottom-up-Aktien zu finden, die man dann fünf bis zehn Jahre lang halten will. Aktien, die derzeit auf den ersten Blick günstig aussehen, haben möglicherweise mit strukturellen Problemen zu kämpfen. – Können Sie dafür Beispiele nennen?Beispiele sind vor dem Hintergrund der drohenden Amazon-Konkurrenz Lebensmitteleinzelhändler. Das Internet bedeutet generell ein Problem für Konsumaktien.- Gibt es denn nun auf ermäßigtem Niveau wieder Chancen?Man kann jetzt wieder Gelegenheiten finden. Es gibt Teilbereiche, die noch billig sind und für die wir uns interessieren. Der Markt bietet gute Bewertungschancen, es gibt wieder Bewertungsanomalien.- Wie gehen Sie vor, wie ist Ihr Fonds strukturiert?Unser Fonds hat üblicherweise zwischen 30 und 35 Einzelwerte, d.h. wir haben ein sehr konzentriertes Portfolio. Wir kaufen Einzeltitel mit einem mittelfristigen Horizont von drei bis fünf Jahren. Unsere Philosophie ist sehr unternehmensorientiert. 2017 haben wir ungefähr 500 Treffen mit Unternehmen geführt. Das ist ein guter Weg, um Unternehmen zu verstehen. Wir kombinieren das mit einem Netzwerk lokaler Broker. Unser Mailänder Broker etwa ist mit der lokalen Unternehmenskultur sehr vertraut. Präsenz vor Ort führt zu einem besseren Verständnis und ist aus unserer Sicht besser, als mit einem Spread Sheet in der Londoner City zu arbeiten. Unser Netzwerk hilft uns auf jeden Fall in unserem Bottom-up-Prozess. Ferner kombinieren wir den Bottom-up-Prozess mit einem Top-down-Ansatz.- Was genau machen Sie da?Wir teilen unser Aktienuniversum in acht Bereiche ein. Dabei geht es um die Frage, welche Aktien sich in einer bestimmten Phase des Konjunkturzyklus besonders gut entwickeln. Das ist beispielsweise zu Beginn einer Erholung bei ProSieben und Volkswagen der Fall. Ich möchte aber betonen, dass der Bottom-up-Prozess Vorrang hat. Wenn wir beim Top-down-Ansatz nicht die richtige Auswahl treffen, aber die Einzeltitel zutreffend wählen, können wir ein gutes Jahr haben. Sind wir dagegen Top-down eher gut, aber Bottom-up tendenziell schlecht, dann dürfte das Jahr nicht so gut werden. Wir suchen immer nach den besten Gelegenheiten, um Outperformance zu erzielen.- Wo im Zyklus sind wir derzeit, und was bedeutet das für die Titelwahl?Europa ist derzeit ein guter Ort zum investieren. Seit dem vergangenen Jahr beschleunigt sich die Weltwirtschaft. Wir haben also eine Expansionsphase. Das spricht für Zykliker und Wachstumswerte. Allerdings sind Industrieaktien sehr teuer. Hinzu kommt, dass die Margen bereits hoch sind. Bei den Wachstumswerten sind die Bewertungen geradezu durch die Decke gegangen. Uns gefällt außerdem gegenwärtig die Finanzbranche. Hier kann man niedrige Prämien für gute Qualität erzielen. Die Branche ist derzeit der einzige günstige zyklische Sektor.- Wird die Expansion anhalten, und was machen Sie, wenn ein Ende drohen sollte?Das ist der springende Punkt. Es ist schwierig zu prognostizieren, wie lange die Expansion anhält. Tatsache ist aber, dass der Zyklus bereits seit fast zehn Jahren andauert. Wir müssen daher zunehmend bedacht sein, uns defensiver aufzustellen. Schließlich ist es schwierig, einen Fonds über Nacht auf defensiv umzustellen.- Die Marktteilnehmer werden von Sorgen über steigende Zinsen und anziehende Inflation umgetrieben. Wie ist Ihre Einschätzung?Die niedrigen Zinsen passen nicht zum derzeitigen Stadium des Zyklus. Wir sehen seit zwei Jahren, dass die Anleiherenditen zu niedrig sind. Nun haben die Zinsen begonnen allmählich zu steigen. Ein Grund für die Zinserhöhung ist die Erwartung, dass die Inflation anziehen dürfte, vor allem die Kerninflation. Außerdem sehen wir an den höheren Tarifabschlüssen eine steigende Lohninflation. Die Lohninflation wird in Europa vermutlich stärker ausfallen als in den Vereinigten Staaten. Hinzu kommt, dass wir eine für den aktuellen Zyklus rekordhohe Kapazitätsauslastung haben. Die Unternehmen haben seit dem Jahr 2009 kaum investiert. Daher werden sie nun entweder investieren oder die Preise erhöhen, was beides inflationär wäre.- Welche Rolle spielt das Ende bzw. in Europa das nahende Ende der Notenbank-Anleihekäufe?Eine sehr wichtige. Es ist angesichts des kommenden Endes der Quantitativen Lockerung schwer vorstellbar, dass die Anleiherenditen wieder auf die Tiefen des Jahres 2016 sinken dürften.- Was bedeutet dieses Umfeld für die Anlagestrategie? Wir haben in der Vergangenheit ein interessantes monetäres Experiment verfolgt: Die Inflationserwartungen sind zunächst von 2012 bis 2016 stetig gefallen. Im zweiten Halbjahr 2017 fingen einige Marktteilnehmer an zu glauben, dass die Inflation anziehen könnte. Value-Aktien haben als Folge begonnen Wachstumswerte zu schlagen. Daraus folgt: Wenn ein Portfolio von 2012 bis 2016 gut abgeschnitten hat, wird es das nun vermutlich nicht mehr tun. Es ist ausgeschlossen, dass Aktien, die von fallenden Zinsen und Inflationsraten profitiert haben, von nun an gut abschneiden werden. Wir sind mit unserem Portfolio für steigende Anleiherenditen positioniert. 80 % des Portfolios sind darauf ausgerichtet. 20 % sind bottom-up stark genug, um eine Outperformance zu erzielen. Unser Fonds ist folglich für solche Anleger geeignet, die steigende Inflationsraten erwarten.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.