IM INTERVIEW: MARTIN LÜCK, BLACKROCK

"Europa weiter attraktiver als USA"

Kapitalmarktstratege sieht noch Potenzial am Aktienmarkt - Kein starker Zinsanstieg erwartet

"Europa weiter attraktiver als USA"

Martin Lück, Leiter der Kapitalmarktstrategie für Deutschland, die Schweiz, Österreich und Osteuropa bei BlackRock, erläutert im Interview der Börsen-Zeitung die aktuelle Lage an den Märkten.- Herr Lück, wie sind Ihrer Meinung nach die Aussichten für den europäischen Aktienmarkt, der ja gerade eine gewisse Korrektur erlebt?Wir haben in Europa zweifellos eine sehr gute Kursentwicklung gesehen. Da die politischen Risiken nicht Realität geworden sind, sahen wir eine bessere Performance des europäischen Aktienmarktes gegenüber den amerikanischen Börsen. Seit einigen Wochen ist der europäische Markt allerdings etwas zum Stillstand gekommen, weil die positiven Nachrichten jetzt weitgehend eingepreist sind – sowohl was die fundamentale als auch die politische Seite betrifft. Ich gehe davon aus, dass der europäische Markt über die kommenden Sommerwochen bei dünnen Umsätzen für negative Nachrichten anfällig bleiben wird – wie wir das auch anlässlich der jüngsten Hinweise des EZB-Präsidenten Mario Draghi gesehen haben. Grundsätzlich bleibt der fundamentale Ausblick aber positiv. In verschiedenen Teilen der Welt fällt das Wirtschaftswachstum weiterhin relativ hoch aus. Die Unternehmen haben gut verdient, die Gewinne werden in vielen Fällen die Erwartungen deutlich übertreffen. Ich glaube auch, dass viele Konzerne ihre Prognosen für die kommenden Monate noch einmal anheben werden, wodurch sich neue Bewertungsspielräume ergeben.- Was bedeutet das für die Kursniveaus?Wir gehen davon aus, dass die europäischen Märkte im zweiten Halbjahr weiterlaufen werden, wenn auch nicht so stark wie in den ersten sechs Monaten. Bis zum Jahresende wird sich nach der aktuellen Konsolidierung ein weiterer Anstieg von etwa 5 % ergeben, vermuten wir.- Wie sehen damit die europäischen Märkte im Vergleich zu US-Aktien aus?Relativ betrachtet halten wir Europa auch weiterhin für attraktiver als die USA. Die europäischen Unternehmen laufen den US-Konzernen etwas hinterher. Das heißt, das starke Gewinn-Momentum zeigt sich etwas später als in den USA. So gibt es beispielsweise, was den Finanzsektor betrifft, in Europa noch sehr viel mehr Luft als an der Wall Street. Zudem sind die Wachstumserwartungen in Europa weniger stark eingepreist als in den USA, wo es im Anschluss an die Präsidentschaftswahl viele Vorschusslorbeeren gegeben hat. Hinzu kommt, dass die Bewertungen in Europa attraktiver sind. Europa ist aus unserer Sicht von der Aktienseite her eine der attraktivsten Regionen in der zweiten Jahreshälfte – ebenso wie Japan, das wir wegen der Gewinndynamik und der Bewertungen auch für attraktiv halten. Dasselbe gilt übrigens auch für die Emerging Markets. Auch in den Schwellenländern werden wir stärkere Kursanstiege sehen als in den USA.- Was sind Ihre Erwartungen für britische Aktien?Auch wenn der Brexit-Schaden für die britische Wirtschaft bisher geringer ausgefallen ist als erwartet, so werden die Unternehmen des Landes aller Voraussicht nach doch noch unter den Folgen des Austritts aus der Europäischen Union leiden. Es ist zu erwarten, dass Anleger, die aus dem Euro oder dem Dollar heraus investieren, mit britischen Aktien eher auf der Verliererseite stehen werden.- Welche Sektoren halten Sie am Aktienmarkt für interessant?Attraktiv bleibt sicherlich der Technologiesektor trotz der jüngsten Korrektur, weil die Gewinne in dem Sektor hoch sind und weil die Digitalisierung immer mehr Bereiche der Volkswirtschaften durchdringt. In Europa sind auch exportorientierte zyklische Aktien attraktiv. Nicht uninteressant ist in Europa ferner der Finanzsektor, weil in diesem Bereich gegenüber den USA Aufholpotenzial besteht. Der Sektor hat ziemlich gelitten, auch was das Vertrauen der Investoren angeht. Allmählich kann man aber davon ausgehen, dass die Branche über den Berg ist.- Welche Regionen würden Sie innerhalb der Emerging Markets bevorzugen?Wir bevorzugen Asien gegenüber Lateinamerika. Das hat mit politischen Risiken sowie der Corporate Governance zu tun, wie wir ja auch derzeit am Beispiel des Korruptionsskandals der Regierung Temer in Brasilien sehen. In Argentinien hat die Regierung Macri zwar große Fortschritte erzielt, wird jetzt aber zunehmend angefeindet. Und wenn man sich die Kupferabhängigkeit Chiles ansieht, muss man bedenken, dass ein Rückschlag nie auszuschließen ist. In Asien hingegen sehen wir mit den Philippinen, Thailand und natürlich auch China durchaus dynamische Volkswirtschaften. Nicht zu vergessen ist auch Osteuropa, wo wir eine Beschleunigung der Wachstumsraten beobachten. So stabilisiert sich beispielsweise Russland, wenn auch auf niedrigem Niveau.- Sehen Sie aktuell Gefahren, die von China aus ausstrahlen könnten?Wir sehen durchaus Risiken. In China hat sich mit dem rasanten Wachstum der vergangenen Jahre und Jahrzehnte eine Reihe von Ungleichgewichten aufgebaut. Ich denke da an die demografische Struktur der chinesischen Gesellschaft und an die Umweltzerstörung, die China auch als Investitionsstandort in Frage stellen könnte. Ganz konkret ist natürlich die extreme Verschuldung ein Problem. In China werden bekanntlich auch die marktwirtschaftlichen Aktivitäten staatlich gesteuert. Wir sehen dabei die Gefahr, dass die “Stop and Go”-Politik, die China in den vergangenen Jahren gefahren hat, auch einmal zu einer Fehlsteuerung führen kann. So war die chinesische Regierung z. B. mit der Absicht, den Konsum auf Kosten der Investitionen stärker zu betonen, nicht so erfolgreich wie erwartet, weil zeitgleich mit dem Abbau der Arbeitsplätze in der Industrie nicht genug Jobs im Dienstleistungsbereich geschaffen werden konnten und diese nicht genug Einkommen generiert haben. Es bestand die Gefahr einer unerwartet hohen Wachstumsabschwächung, so dass die Regierung 2015 und 2016 mit Investitionsprogrammen kräftig gegensteuern musste. Das hat die Verschuldung noch einmal erhöht. Es könnte aufgrund einer Fehlsteuerung beispielsweise wegen der hohen Verschuldung zu einem Crash am Häusermarkt kommen, der sich dann nur schwer auffangen ließe.- Betrachten wir die Bondmärkte. Wie stark werden die Zinsen noch steigen?Falls Mario Draghi im September das Tapering ankündigen sollte, dürfte er dabei äußerst behutsam vorgehen. Die EZB wird unserer Ansicht nach 2018 die Wertpapierkäufe ganz langsam herunterfahren, bis wir dann irgendwann in der zweiten Jahreshälfte bei null angekommen sein werden. Die EZB wird dann aber wohl weiterhin die Summen aus den fällig werdenden Anleihen reinvestieren. Zudem könnte sie in kritischen Situationen die Käufe kurzzeitig wieder hochfahren.- Was bedeutet das für das Zinsniveau?Es wird sicherlich nicht zu einem dramatischen Anstieg der Zinsen kommen. Ich gehe davon aus, dass die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihen am Jahresende immer noch unter einem Prozent liegen wird. Ich glaube sogar, dass der Jahresendwert nicht sehr viel höher sein wird als die gegenwärtig zu beobachtenden 0,5 %, auch wenn die Sätze zwischenzeitlich etwas höher liegen können. Dann würde aber vermutlich ein wieder erstarkendes Interesse der Anleger für ein Nachgeben der Rendite sorgen. Sobald die Zinsen also spürbar steigen, investieren Anleger wieder größere Summen auch in Staatsanleihen. Dieser Mechanismus wird ein starkes Ansteigen der Renditen verhindern. Letztlich können die Renditen am langen Ende erst dann deutlich steigen, wenn die Inflation kräftig zulegt.- Wie wird die US-Notenbank vorgehen, und was bedeutet das für den US-Bondmarkt?Die Fed wird ihre straffere Gangart beibehalten und voraussichtlich im September noch einmal um 25 Basispunkte anheben, auch wenn die Kernrate der Verbraucherpreise zuletzt nur noch bei 1,4 % gelegen hat.Das Entscheidende ist, dass der langfristige Zins in den USA höchstwahrscheinlich nicht im gleichen Maß steigen wird. Die Fed wird bis Ende 2018 noch drei – eventuell auch vier – Zinserhöhungen vornehmen. Das wären dann mindestens 75 Basispunkte, wobei ich allerdings bezweifle, dass die Rendite zehnjähriger Treasuries im gleichen Ausmaß steigen wird. Das würde bedeuten, dass die amerikanische Zinsstrukturkurve ein wenig flacher wird – während die europäische Kurve aller Voraussicht nach steiler wird.- Der Bondmarkt ist ein herausforderndes Umfeld für Investoren. Wie lässt sich denn auch ein ansprechender Pick-up generieren?Man muss in erster Linie die Duration herausnehmen, um den Zinsänderungsrisiken aus dem Weg zu gehen. Man bekommt derzeit Rendite nur noch gegen Risiko – entweder Duration oder Kreditrisiko. Da bevorzugen wir aktuell das Kreditrisiko, also High-Yield-Bonds, aber auch Anleihen aus den Schwellenländern. Das Durationsrisiko zeigt sich derzeit vor allem im Staatsanleihenbereich. Geradezu extrem ist dies bei japanischen Staatsanleihen: Dort gibt es praktisch Nullverzinsung für eine Duration, die bei acht bis neun Jahren liegt. In Europa sieht das nicht viel anders aus. Etwas besser ist die Situation bei amerikanischen Staatsanleihen mit einer Duration von rund vier Jahren, was auch erklärt, warum immer noch viel Geld in US-Treasuries fließt, wenn die Zinsen dort etwas steigen.- Wie wird sich vor diesem Hintergrund der Euro gegenüber dem Dollar entwickeln?Wir glauben, dass der Dollar nur dann stark steigen würde, wenn US-Präsident Donald Trump seine Versprechen in vollem Umfang in die Realität umsetzt. Das halten wir allerdings für unwahrscheinlich. Dass die Fed hinsichtlich der Normalisierung der Geldpolitik vier Jahre Vorsprung vor der EZB hat, ist am Devisenmarkt längst eingepreist. Der Euro befindet sich seit mehr als zwei Jahren in einem engen Band von 1,05 Dollar bis 1,15 Dollar. Ich halte es für wahrscheinlicher, dass der Euro aus diesem Band nach oben ausbricht. Wenn die EZB nun das Tapering und damit die Normalisierung der Geldpolitik einleitet, wird das zu einer Aufwertung des Euro führen. Die Wahrscheinlichkeit ist relativ hoch, dass wir 2018 Richtung 1,20 Dollar bis 1,25 Dollar gehen werden.- Was erwarten Sie für das britische Pfund?Wir sehen das Pfund auf einem langfristigen Abwärtspfad aufgrund der Unsicherheit hinsichtlich der Ausgestaltung des Brexit und aufgrund des britischen Leistungsbilanzdefizits.- Was erwarten Sie für den Goldpreis in den kommenden Monaten?Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten vor allem deswegen eine gewisse Schwäche gezeigt, weil die anderen Märkte gut gelaufen sind und die Volatilität stark gesunken ist. Anleger benötigen also weniger Beimischung krisenfester Assets in ihren Portfolien. Ich gehe davon aus, dass sich der Goldpreis ausgehend vom aktuellen Niveau langsam und graduell nach oben bewegen wird. Wir sind hinsichtlich Gold nicht enthusiastisch, sondern vorsichtig positiv gestimmt. Immerhin ist die Rückschlagsgefahr beim gegenwärtigen Preisniveau eher gering. Im bisherigen Jahresverlauf ergibt sich bei Gold ein Preisanstieg von rund 7 %, Ähnliches ist für 2018 zu erwarten.—-Das Interview führte Dieter Kuckelkorn.