Faktor Mensch wichtiger ESG-Faktor
Während in den letzten Jahren viele Investoren bei ihren Investitionsentscheidungen verstärkt die ESG-Faktoren „Environmental“ und „Governance“ berücksichtigt haben, fristeten die sozialen Aspekte ein eher wenig beachtetes Nischendasein. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass sich die sozialen Faktoren nur sehr schwer allgemeingültig beschreiben lassen. So gibt es beispielsweise im sozialen Spektrum des ESG-Universums immer noch kein geeignetes Äquivalent für das sogenannte Netto-null-Ziel, das mit der neutralen Emissionsbilanz im Umweltbereich vergleichbar wäre.
Ein nichtfinanzieller Aspekt, den aus unserer Sicht Investoren auf der Suche nach Qualitätswachstumsaktien unbedingt berücksichtigen sollten, ist der Faktor Mensch. Denn die Mitarbeiter eines Unternehmens können für dessen Erfolg von entscheidender Bedeutung sein. Wir haben uns daher gefragt, ob es eine Methode gibt, mit der sich feststellen lässt, ob ein Unternehmen seine Mitarbeiter wirklich schätzt und fördert. Wir glauben, wir haben sie gefunden.
Häufig nicht separat erfasst
Unternehmen erfassen ihre Investitionsausgaben, auch „Capital Expenditure“ oder kurz „CapEx“ genannt, und weisen sie in einer Cash-flow-Rechnung sowie einer Gewinn-und-Verlust-Rechnung (GuV) aus. Hierbei werden im Allgemeinen allerdings nur Sachinvestitionen berücksichtigt, wie der Kauf oder die Wartung von Maschinen. Die Investitionen in Personal, der Einfachheit halber „Human CapEx“ genannt, werden dagegen in vielen GuV-Aufstellungen nicht separat erfasst, sondern lediglich als Kostenfaktor berücksichtigt. Wenn wir im Rahmen unseres Investmentprozesses Unternehmen betrachten, versuchen wir, die tatsächlichen Investitionen des Unternehmens in seine Belegschaft zu identifizieren. Dabei stellen wir uns unter anderem die folgenden Fragen: Bietet das Unternehmen angemessene Löhne und Sozialleistungen? Qualifiziert es sein Personal durch Schulungen? Bietet es Weiterbildungsmöglichkeiten und Aufstiegschancen, um die „Führungskräfte von morgen“ zu fördern und an sich zu binden?
Sachinvestitionen bewirken in der Regel durch die Verbesserung der Produktionsmittel eine Steigerung der Produktivität und sollten zudem zu einem geringeren Materialeinsatz und zu weniger Ausfällen führen. In ähnlicher Weise verfolgt eine angemessene Investitionspolitik im Personalbereich dasselbe Ziel: Sie motiviert die Mitarbeiter, steigert deren Produktivität, reduziert die Fluktuation und kann damit dem Unternehmen einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil verschaffen.
Hierzu ein Beispiel: Die beiden US-Lebensmitteleinzelhändler Costco und Walmart haben in den letzten drei bis fünf Jahren gleichermaßen große Investitionen in die Bereiche E-Commerce, Robotik, Automatisierung und in ihren Webauftritt getätigt, um den Anschluss an das 21. Jahrhundert nicht zu verlieren. Diese Investitionen waren unzweifelhaft wichtig, um das Ertragswachstum voranzutreiben, das den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens bestimmt. Aber beide Unternehmen sind auch auf ihre Mitarbeiter angewiesen und stehen hier im Wettbewerb mit anderen Einzelhändlern. Wozu ein solcher Wettbewerb führen kann, zeigt sich zurzeit bei den Schnellrestaurants in den USA. Im Zuge der Pandemie wurden zahlreiche Restaurants geschlossen, so dass sich das freigesetzte Personal beruflich neu orientieren musste. Hierbei waren die ehemaligen Mitarbeiter so erfolgreich, dass McDonald’s und Burger King mittlerweile Einstellungsprämien von 500 bzw. 1500 US-Dollar zahlen müssen, um genügend Personal für ihre wiedereröffneten Restaurants gewinnen zu können.
Vergleicht man nun die Investitionen von Costco und Walmart in ihr Personal, dann scheint Costco deutlich besser abzuschneiden. Das Unternehmen hat den Mindestlohn von 13 US-Dollar pro Stunde im Jahr 2018 auf 15 Dollar pro Stunde im Jahr 2020 angehoben und während der Pandemie eine zusätzliche Gefahrenzulage in Höhe von 2 Dollar pro Stunde gezahlt. Damit liegt Costco weit über der bundesstaatlichen Vorschrift von 7,25 Dollar pro Stunde und dem Mindestlohn von Walmart in Höhe von 12 Dollar pro Stunde. Zudem zeigt sich die mitarbeiterorientierte Kultur von Costco in der Verpflichtung des Unternehmens, 90% der Kosten für die Gesundheitsfürsorge der Mitarbeiter zu übernehmen. Dies klingt zwar auf den ersten Blick nach deutlichen Mehrkosten, doch diese Investitionen scheinen sich für das Unternehmen gelohnt zu haben. So bleiben die Mitarbeiter im Durchschnitt neun Jahre bei Costco und werden zu künftigen Führungskräften, da etwa 70% der Lagerhausleiter ihre Karriere einst als Angestellte begonnen haben.
Betrachtet man nun das Umsatzwachstum von Costco und Walmart, so glauben wir, dass Costcos langjährige Investitionen in sein Personal einer der Gründe für das konstant hohe Umsatzwachstum sind, das in der Regel zwischen 3 und 7% pro Jahr beträgt. Walmart hingegen hat bis 2014 zu wenig in Mitarbeiterschulungen investiert. Dies hat das Management allerdings erkannt und eine Trendwende eingeleitet. So flossen bei Walmart in den letzten fünf Jahren im Rahmen zahlreicher Initiativen fast 3,5 Mrd. Dollar in die Aus- und Weiterbildung seines Personals.
„Das größte Kapital“
Im Ergebnis zeigt sich also, dass die Investition eines Unternehmens in sein Personal genauso wie seine Sachinvestitionen Rückschlüsse auf seine Produktivität zulassen. Sie sind damit aus unserer Sicht ein nicht ganz unerheblicher Faktor für die Bewertung der zukünftigen Wachstumsaussichten und die Qualität des Unternehmens insgesamt. Das Engagement eines Unternehmens für seine Mitarbeiter lässt außerdem Rückschlüsse auf seine Unternehmenskultur zu. Denn wenn „Mitarbeiter das größte Kapital“ sind, dann beinhaltet die strategische Vision eines Unternehmens auch erhebliche Investitionen, um Talente zu halten, zu entwickeln und anzuziehen.
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