China

Folgen der Regulierungs­wut sind begrenzt

Die Regulierungskampagne in China sollte Anleger nicht verunsichern. Viele der neuen Regulierungen dürften nur begrenzte Auswirkungen haben.

Folgen der Regulierungs­wut sind begrenzt

Die chinesische Wirtschaft ist in den vergangenen Jahrzehnten von einem stetigen und im Vergleich zu den Industriestaaten überdurchschnittlichen Wachstum geprägt gewesen. Allerdings haben die Pandemie, die Ende 2019 in der zentralchinesischen Stadt Wuhan ihren Anfang nahm, sowie die negativen Begleiterscheinungen von global gestörten Lieferketten und steigenden Inflationstendenzen dem chinesischen Wachstumsmotor einen Dämpfer versetzt. Obwohl das Land im Vergleich zu den entwickelten Ländern deutlich schneller zur Normalität zurückgefunden hat und die Wirtschaft neue Dynamik erhielt, haben jüngst diverse Regulierungsmaßnahmen der chinesischen Regierung zu Verwerfungen am chinesischen Aktienmarkt geführt und Anleger weltweit verunsichert zurückgelassen. Doch während sich viele Investoren derzeit schwer damit tun, die jüngsten Entwicklungen im Reich der Mitte zu bewerten, und einzelne Investmentgrößen chinesische Aktien sogar für uninvestierbar halten, stellt sich für uns nur eine Frage: Wieso kommt der Stimmungsumschwung in China für viele Anleger so überraschend?

Begrenzte Auswirkungen

Klar ist, dass die Geschicke des Landes von der chinesischen Regierung zentral gesteuert werden und das mit Blick auf chinesische Aktien auch ein regulatorisches Risiko schon immer existiert hat. Doch aus unserer Sicht dürften viele der neuen Regulierungen nur begrenzte Auswirkungen haben. So sind die meisten Vorschriften der jüngsten Zeit nichts anderes als eine Wiederholung vorheriger Vorschriften, die von der Regierung und den staatlichen Medien seit Jahren angekündigt und sogar in den sozialen Medien des Landes teils heftig diskutiert werden. Von daher hat sich das regulatorische Umfeld oder das allgemeine Risiko in China zu investieren, nicht wesentlich verändert. Vielmehr haben die Anleger nicht genau genug darauf geachtet, was sich in sozioökonomischer Hinsicht im Land tut.

In diesem Zusammenhang sind die jüngsten regulatorischen Vorschriften der chinesischen Regierung den Bildungssektor betreffend, als Maßnahme zu bewerten, die Privathaushalte im Land finanziell zu entlasten. So ist die Regierung der Ansicht, dass die hohen Kosten der außerschulischen Betreuung (After School Tutoring, kurz ATS) negative sozioökonomische Auswirkungen haben: Sie verbessern nicht die Gesamtqualität der Bildung, sondern erhöhen den Zeit- und Kostendruck für Eltern und Kinder, senken die Geburtenrate und schaffen wirtschaftliche Hindernisse für die soziale Mobilität. Auch wenn die Nachhilfeindustrie des Landes in Folge der regulatorischen Maßnahmen wohl vor einer Konsolidierung steht, wird sie überleben und sich an die neuen Gegebenheiten anpassen. Die Nachfrage nach Nachhilfestunden wird in einem prüfungsbasierten Bildungssystem und einer Kultur, die Bildung einen hohen Stellenwert zuschreibt, weiterhin sehr hoch bleiben wird.

Eine ähnliche Begründung für die Vorgehensweise der chinesischen Regierung lässt sich auch mit Blick auf den Immobiliensektor ausmachen. Denn die Immobilienpreise stellen sowohl ein Problem für die soziale Stabilität (Erschwinglichkeit) als auch eines der finanziellen Stabilität (Blase) dar. So ist es kaum verwunderlich, dass seit dem Amtsantritt Xi Jinpings sein Motto lautet: „Häuser sind zum Wohnen da, nicht zum Spekulieren“. Doch auch Probleme mit Bauträgern, die sich übermäßig hoch verschulden, wie es beim zweitgrößten Immobilienunternehmen China Evergrande der Fall ist, dessen Überschuldung wohl unmittelbar bevorsteht, haben die chinesische Regierung zum Handeln gezwungen. Zur Diskussion stehen aktuell etwa Verordnungen zur Förderung von staatlich gefördertem Wohnraum, zur Festlegung von Preisobergrenzen für neue und gebrauchte Immobilien, zur Begrenzung des Verschuldungsgrads von Hypotheken und von Bauträgern sowie zur Regulierung von Vermietungsunternehmen.

Bereits in der Vergangenheit gab es in China immer wieder regulatorische Maßnahmen, die für einzelne Sektoren Einschränken oder Veränderungen mit sich gebracht haben. Der springende Punkt ist diesmal allerdings, dass primär Sektoren und Wachstumsunternehmen betroffen sind, welche häufig von ausländischen Investoren gehalten werden. Im Vergleich zu anderen Ländern, in denen die Verabschiedung neuer Gesetze und Vorschriften oft sehr langwierige Prozesse sind, die zudem öffentlich gehandhabt werden, erscheint der chinesische Weg intransparenter. Für Anleger bedeutet dies, dass sie sich noch intensiver mit den Gepflogenheiten des Landes auseinandersetzen müssen, um Risiken zu identifizieren, die bisweilen nicht immer ganz offensichtlich sind. Von daher ist China mit seiner derzeitigen Regulierungswelle kein Einzelfall. Denn wenn wir das Gesamtbild betrachten, deckt sich vieles von dem, was gerade in China passiert, mit Entwicklungen in anderen Ländern. So erleben wir seit geraumer Zeit weltweit immer stärker werdende Diskussionen über die sozialen und nachhaltigen Praktiken der führenden Technologieunternehmen.

Die politischen Diskussionen, die eine ähnliche Dimension wie in China einnehmen, reichen dabei von höheren Steuern, über die Stärkung des Wettbewerbs, die Bekämpfung von Propaganda und Desinformation bis hin zur gänzlichen Zerschlagung von Tech-Riesen wie Google, Amazon, Facebook und Co. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch die Bemühung der chinesischen Regierung, die eigenen Unternehmen der „New Economy“ einer stärkeren Kontrolle zu unterziehen, nachvollziehbar. Denn wie bereits dargelegt, reagiert die chinesische Regierung in der Regel auf sozioökonomische Probleme – je größer die Branchen werden, desto dringlicher sieht sie sich darin bestärkt, sich intensiv mit diesen Sektoren zu befassen. Dies zeigt sich bei den regulatorischen Maßnahmen der Vergangenheit, die sich auf Arzneimittel, medizinische Geräte, emissionsintensive Branchen, Versicherungen Online-Kredite, Glücksspiel, usw. ausgewirkt haben. Die jüngste Regulierungswut in China sollte Anleger jedoch nicht verunsichern. Denn auch wenn solche Maßnahmen kurzfristige Kursturbulenzen ausgelöst haben und wohl auch künftig auslösen werden, können sie mittel- bis langfristig zu einem stabileren Umfeld und zu gesünderen Unternehmen beitragen.

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Potenzial von 17 000 Punkten für den Dax (189), M.M. Warburg

Das Risiko erhöhter Inflationsraten hat zugenommen (188), Allianz Global Investors

Stärkerer Gleichlauf von Aktien und Staatsanleihen auch in den nächsten Jahren (187), Berenberg

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