"Footsie" auf Rekordkurs

Analysten hoffen trotz politischer Unsicherheit und des Verfalls des Ölpreises auf neue Höchststände

"Footsie" auf Rekordkurs

Die Anlagestrategen der Banken und Broker gehen größtenteils davon aus, dass der FTSE 100 im laufenden Jahr einen neuen Höchststand erreichen wird. Die Erholung der britischen Volkswirtschaft ist in vollem Gange. Allerdings sorgt die im Mai anstehende Wahl für Unsicherheit, vor allem wenn es um den Verbleib Großbritanniens in der EU geht. Zudem dürfte sich der Ölpreisverfall in den Geschäftsergebnissen von Indexschwergewichten wie Shell und BP niederschlagen.Von Andreas Hippin, LondonDie Analysten der Brokerhäuser gehen mehrheitlich davon aus, dass der britische Aktienmarkt in diesem Jahr auf einen neuen Rekordstand klettern wird. Die Zuversicht ist groß, aber das war sie bereits Anfang 2014. Die Citigroup rechnete damals mit einem Anstieg auf 8 000 Punkte. Am Ende waren es 6 566. Das Börsenbarometer verlor 2,7 %, der erste Rückgang seit 2011. Um die 40 Mrd. Pfund Marktkapitalisierung verpufften. Für das laufende Jahr hat die US-Großbank einen Schlussstand von 7 700 Zählern auf der Rechnung. Auch Goldman Sachs, J.P. Morgan und Morgan Stanley erwarten, dass der “Footsie” seinen im Dezember 1999 erreichten bisherigen Höchststand von 6 950,6 Punkten übertreffen wird. Allerdings nicht dramatisch: Der Schnitt aus den 16 vorliegenden Schätzungen für den Jahresendstand des Standardwerteindex FTSE 100 liegt bei 6 975 Zählern.Die makroökonomischen Voraussetzungen sind gegeben: Die Inselwirtschaft wird im laufenden Jahr voraussichtlich stärker wachsen als alle anderen entwickelten Volkswirtschaften, die Arbeitslosigkeit sinkt und Inflation ist bis auf weiteres kein Thema. Der sinkende Ölpreis dürfte sich im Geldbeutel der Verbraucher bemerkbar machen. Citigroup-Volkswirt Michael Saunders geht davon aus, dass das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte in diesem Jahr um 3 % höher liegen wird als 2014. Im vergangenen Jahr lastete der Höhenflug des britischen Pfund gegen den Dollar auf den Unternehmensergebnissen. Fast die Hälfte der FTSE-100-Unternehmen berichtet in Dollar, lediglich knapp ein Viertel der Umsätze wird in Großbritannien gemacht. Entsprechend großen Einfluss hat die Wechselkursentwicklung. Sie dürfte der Hauptgrund dafür sein, dass Analysten den britischen Firmen im laufenden Jahr lediglich um die 4 % Gewinnwachstum zutrauen, während sie für Kontinentaleuropa zweistellige Werte ansetzen. Die Analysten der UBS verweisen zudem darauf, dass die Aktienexperten in den vergangenen drei Jahren stets zu optimistische Schätzungen abgegeben hatten (+ 5 % bis + 15 %). Betrachtet man das von der Schweizer Großbank ermittelte, vergleichbare Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), sind britische Aktien mit einem KGV von 15,1 deutlich teurer als Dividendentitel etwa Resteuropa (13,2) oder etwa Deutschland (10,9). Angst vor EU-ReferendumZudem verspricht 2015 ein Jahr großer politischer Unsicherheit zu werden. Weder Premierminister David Cameron noch sein Herausforderer Ed Milliband wird jüngsten Umfragen zufolge bei den Wahlen am 7. Mai eine absolute Mehrheit erreichen. Zu den Negativszenarien der Anlagestrategen zählt eine Koalition der Konservativen mit der Anti-Brüssel-Partei UKIP. Die japanische Großbank Nomura vergleicht die Situation mit den Wahlen von 2010. Ähnlich wie im September vergangenen Jahres, als die Möglichkeit eines Sieges der schottischen Nationalisten beim Unabhängigkeitsreferendum weitgehend ignoriert wurde, hatte der Markt vor fünf Jahren die Option, dass es keiner Partei allein reichen würde, erst wenige Tage vor der Wahl eingepreist.Banken und Finanzdienstleister gehören zu den Branchen, die im Falle eines Wahlsieges Camerons darunter zu leiden hätten, dass ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft den Austritt zur Folge haben könnte. Zuletzt hatte Cameron angekündigt, die den Wählern für den Fall eines Sieges der Konservativen bis Ende 2017 versprochene Volksabstimmung vorzuziehen. Ihm sitzen neben dem UKIP-Führer Nigel Farage auch die EU-Gegner in der eigenen Partei im Nacken. Die Finanzbranche hat im FTSE 100 allen Kursverlusten während der Krisenjahre zum Trotz das größte Gewicht. Banken für sich genommen waren allerdings zum Jahresschluss mit 13,48 % etwas weniger schwer als die Öl- und Gasbranche mit 14,84 %. Den Energiekonzernen macht der rasante Verfall des Ölpreises zu schaffen, manche sind stark in Russland engagiert und haben unter der Abwertung des Rubel zu leiden. Der ebenfalls angeschlagene Rohstoffsektor kommt auf 7,56 %. Die fünf größten Schwergewichte sind HSBC, Royal Dutch Shell, BP, GlaxoSmithKline und British American Tobacco.Analyst Laith Khalaf von Hargreaves Lansdown hat sich die sechs zurückliegenden Wahlen vorgenommen und ist dabei zu einem überraschenden Schluss gekommen: In den sechs Monaten vor und nach dem Wahltermin seien die Aktienkurse in fünf von sechs Fällen gestiegen. Und die Wahl mit dem Kursrückgang habe im Juni 2001 stattgefunden, als die Internetblase platzte also. Es seien eben doch eher die weltweiten Ereignisse, die den FTSE 100 antrieben. “Investoren sollten deshalb nicht zu viel Energie darauf verwenden, vorherzusagen, in welche Richtung die Wahl gehen und welche Auswirkungen das auf britische Aktien haben wird”, sagt Khalaf. Die Anleger sollten sich lieber auf die langfristigen Perspektiven konzentrieren.Die Strategen Jan Rabe und Thomas Pearce von der Deutschen Bank verweisen neben den politischen Unwägbarkeiten auf Wachstumsrisiken durch Einschränkungen bei der Kreditvergabe und raten dazu, den FTSE 250, dessen Mitgliedsunternehmen vor allem auf dem britischen Markt tätig sind, gegen den Euro Stoxx unterzugewichten. Ihre Schätzung für den Jahresendstand des “Footsie”: 6 900. Christoph Riniker, der Aktienstratege von Julius Bär, hat nur 6 700 auf der Rechnung. 11 Prozent mehr DividendeDie im FTSE 350 enthaltenen Gesellschaften werden ihren Aktionären Markit zufolge dieses Jahr im Schnitt 11 (i.V. 18) % mehr Dividende zahlen. Dabei haben die Analysten des Finanzdatenanbieters die Sonderausschüttung von Vodafone nach dem Verkauf des Anteils am US-Mobilfunkanbieters Verizon Wireless herausgerechnet. Aber auch sonst spielen Sonderzahlungen eine große Rolle. Betrachtet man allein die regulären Dividenden, wird das Wachstum voraussichtlich bei 4,4 % liegen. Ob es dazu kommt, hängt von der Geschäftsentwicklung der Öl- und Gaskonzerne ab. Sie nehmen die umfangreichsten Ausschüttungen an ihre Aktionäre vor, gefolgt von Pharmafirmen und Finanzdienstleistern. Die Dividendenrendite des FTSE 350 wird Markit zufolge 2015 bei 4,3 % liegen.