Schweizer Franken

Franken könnte 2023 die Euro-Parität erreichen

Dieses Jahr könnte dem unter Aufwertungsdruck stehenden Schweizer Franken eine Atempause gönnen. 2023 könnte der Franken jedoch wieder aufwerten und die Euro-Parität erreichen.

Franken könnte 2023 die Euro-Parität erreichen

Von Sven Schubert*)

Deutschland wird in der Schweiz auch scherzhaft als der große Kanton bezeichnet. Eine Äußerung, die auf einen satirischen Schweizer Film aus dem Jahre 2013 zurückgeht, der sich der Frage widmet, was wohl wäre, wenn Deutschland der Schweiz beitreten würde. Wäre es tatsächlich ein Segen, wie es scherzhaft im Film resümiert wird? Aus Währungssicht wohl kaum, denn die kritisch beäugte Stärke des Schweizer Franken würde alles andere als gebrochen und eher noch zulegen, gilt Deutschland in der Eurozone doch auch als sicherer Zufluchtsort für risikoaverse Anleger. Deutschland würde im Gegenzug seine Wettbewerbsfähigkeit verlieren und mit Exporteinbrüchen zu kämpfen haben – also eher ein Lose-lose-Situation.

Allerdings ist der Schweizer Franken auch ohne neuen Staatenverbund auf lange Sicht kaum aufzuhalten, da er starken fundamentalen Treibern ausgesetzt ist. Das aktuelle Jahr verspricht allerdings eine kurze Verschnaufpause.

Seit Jahren versucht sich die Schweizer Nationalbank (SNB) mit allen Kräften gegen den Aufwertungsdruck auf den Franken zu stemmen und hat über massive Deviseninterventionen den Franken-Kurs künstlich tief gehalten. Allerdings wirkt das Mantra der SNB, der Franken sei hoch bewertet, was diese Interventionen rechtfertigen soll, zunehmend realitätsfremd. Das liegt daran, dass der relative Kaufkraftgewinn der Schweiz über die letzten Jahrzehnte den Weg für eine nachhaltige Franken-Aufwertung bereitet hat. War gemäß der Kaufkraftparität der faire Wert des Franken vor zehn Jahren noch bei ca. 1,30, kann dieser mittlerweile auf 1,00 bis 1,10 zum Euro taxiert werden. Schuld daran ist die tendenziell deutlich tiefere Inflation in der Schweiz (derzeit +1,5% in jährlichen Veränderungsraten), welche auf relativer Ebene zu den USA (+7%) oder der Eurozone (5%) für einen stetigen Kaufkraftgewinn der Schweiz gesorgt hat. Hieran dürfte sich auch in absehbarer Zukunft wenig ändern, auch weil die SNB ein tieferes Inflationsziel hat. Während die EZB eine Inflation um 2% anstrebt, versucht die SNB die Inflation zwischen 0% und 2% (offizieller Wortlaut) zu halten.

Bei Risikoaversion fester

Hinzu kommen Aufwertungsschübe in Zeiten von steigender Risikoaversion an den Finanzmärkten. Zuletzt konnte diese Suche nach dem Schweizer Franken als sicherem Hafen Anfang dieses Jahrs im Umfeld der Aktienmarktkorrektur beobachtet werden. Nicht überraschend, erfüllt der Schweizer Franken doch alle Kriterien einer Safe-Haven-Währung: politische Stabilität, hohe Liquidität sowie ein hohes Netto-Auslandsvermögen. So bescheinigt die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIS) dem Franken in ihrem Dreijahresbericht, die weltweit am siebtmeisten gehandelte Währung zu sein. Auch das stattliche Nettoauslandsvermögen von knapp 120% zum Bruttoinlandsprodukt wird derzeit lediglich von Norwegen und dessen Sovereign Wealth Funds übertroffen (+315%).

Neben der politischen Stabilität der Schweiz, welche sich über Weltkriege hinweg bewiesen hat, spielt jedoch auch die politische Krise der Eurozone der letzten Jahre eine Rolle. Diese hat insbesondere seit der Finanzmarktkrise 2007/08 für Zuflüsse aus dem Ausland auf Schweizer Bankkonten gesorgt und somit zum Aufwertungsdruck beigetragen. Der Löwenanteil des Aufwertungsdrucks kommt jedoch aus den eigenen Reihen, legen Schweizer Anleger doch zunehmend eine Abneigung gegen Fremdwährungsrisiko an den Tag. Seit der globalen Finanzkrise ist das Interesse institutioneller Anleger, aktive Fremdwährungspositionen aufzunehmen, stark zurückgegangen. Das schlägt so zu Buche, dass Anlageklassen wie Rohstoffe seit 2008 zunehmend währungsgesichert getätigt werden. Auch ist die Nachfrage nach europäischen Aktien in Schweizer Franken in Form von ETFs seit 2008 massiv gestiegen – ein Indiz der gestiegenen Fremdwährungsaversion Schweizer Anleger. Somit fehlt dem hohen Leistungsbilanzüberschuss (derzeit 4,5% des BIP), welches Aufwertungsdruck generiert, seit der Finanzmarktkrise ein wichtiger Gegenpol.

Weiteren Aufwertungsdruck übt der schrumpfende Zinsnachteil des Schweizer Franken aus. Dieser ergibt sich aus den Folgewirkungen der Finanzmarktkrise und der europäischen Schuldenkrise, welche aufgrund quantitativer Lockerungsmaßnahmen für global fallende Renditen gesorgt hat. Bei zweijährigen Swaps ist der Zinsnachteil der Schweiz von 1,5% (2000er Jahre) gegenüber der Eurozone auf mittlerweile 0,2% gefallen. Um die Kerninflation bereinigt, besitzt die Schweiz derzeit sogar einen Zinsvorteil. Das hat zur Folge, dass der sichere Hafen Schweiz, welcher sich ein tieferes Renditepotenzial ohne den üblichen Währungsattraktivitätsverlust erlauben kann, mittlerweile eine ähnliche Rendite bietet wie die Eurozone. Anleger bekommen sozusagen die Portfoliodiversifikationseigenschaften des Franken zu einem günstigen Preis, was dem Franken unerwünschte Beliebtheit verschafft hat.

Euro dürfte sich erholen

Allerdings dürfte das Niedrigzinsumfeld dieses Jahr seinen Tiefpunkt erreichen und den Franken zumindest kurzzeitig aufatmen lassen – dank der Zentralbanken. Denn der Beginn des Zinserhöhungszyklus in den USA steht kurz bevor. Hinzu kommt die Bilanzkürzung der Fed, die ebenfalls bald einsetzen dürfte. Auch wenn die EZB wohl nicht vor Ende 2022 die Leitzinsen anheben dürfte, so könnten die Renditen in der Eurozone allein schon in Antizipation dieser Maßnahmen langsam steigen. Der Euro dürfte daher später im Jahr zu einer Erholung ansetzen, nicht nur gegen den Franken, sondern auch gegenüber dem US-Dollar.

Beflügelt werden könnten die Zinserwartungen in der Eurozone auch vom Abklingen der fünften Covid-Welle. Europa, insbesondere Deutschland, hat gemäß dem Oxford Institut derzeit die mitunter restriktivsten Covid-Maßnahmen verabschiedet. Somit würde die Eurozone insgesamt aus ökonomischer Sicht deutlich stärker von einer Öffnung profitieren als Länder wie die Schweiz, aber auch die USA. Europäische Währungen dürften daher wieder an Attraktivität gewinnen und die Suche nach sicheren Häfen zumindest vorerst reduzieren. Auch wenn die Unsicherheit über Anzahl und Tempo der Zinsschritte in den Vereinigten Staaten vorerst bestehen bleibt, erscheinen die derzeit eskomptierten fünf Zinsschritte tendenziell angemessen. Insbesondere wenn der Inflationsdruck im Laufe des Jahres langsam nachlässt. Während der Euro gegenüber dem US-Dollar gegen Ende des Jahres auf 1,16 steigen dürfte, erscheint ein Ausbrechen des Euro-Franken-Kurses auf über 1,10, in Anbetracht der weiterhin im Hintergrund präsenten strukturellen Treiber, eher unwahrscheinlich. Schon nächstes Jahr könnte der Schweizer Franken seinen Aufwertungstrend fortsetzen und die Parität zum Euro erreichen. Die Schuld dürfte dann jedoch nicht mehr bei der ultralockeren Geldpolitik der EZB zu suchen sein.

*) Sven Schubert ist Senior Investmentstratege bei Vontobel.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.