SERIE: NACH DEM PARISER KLIMAGIPFEL (8)

Gefahren aus der Kohlenstoffblase

Den Finanzmärkten könnte aus dem Klima-Akkord eine Krise entstehen - Kernfusion erscheint am Horizont

Gefahren aus der Kohlenstoffblase

Wenn die COP-21-Vereinbarung zur Begrenzung der CO2-Emissionen umgesetzt werden sollte, dürften Investitionen in die fossile Energiegewinnung und -verwendung stark an Wert verlieren. Es würde die “Carbon Bubble” platzen. Darin liegen systemische Risiken, die bis hin zu einer Finanzkrise führen könnten. Zudem droht den Öl-, Gas- und Kohleproduzenten noch aus einer anderen Richtung Gefahr.Von Dieter Kuckelkorn, FrankfurtNoch vor wenigen Jahren erschien ein Investment in große Ölkonzerne als eine sichere Sache. Die Welt hing (und hängt) am Tropf der Ölversorgung, und die Konzerne erfreuten sich auch stets der Unterstützung der amerikanischen Regierung, was den Zugang zu Ölressourcen in aller Welt betraf. Spätestens seit dem Pariser Klimagipfel im vergangenen Jahr beginnt sich jedoch die Einstellung der Investoren gegenüber Aktien und anderen Vermögenswerten aus dem Bereich der fossilen Energiegewinnung und -verwendung zu ändern. Es wird darüber spekuliert, ob angesichts der notwendigen Perspektive eines Wechsels hin zu regenerativen Energiequellen diese Titel keine soliden Investments mehr sein könnten, sondern massiv überbewertete Assets, die derzeit noch von einer Überbewertungsblase, der “Carbon Bubble”, profitieren. AlarmzeichenDiese Überbewertungsblase könnte gigantisch sein. Da Blasen an den Finanzmärkten die Eigenart haben, sich meistens nicht langsam und kontrolliert abzubauen, sondern ohne größere Vorankündigung zu platzen, sehen einige Analysten sogar die Gefahr, dass den Weltfinanzmärkten durch das Platzen dieser Kohlenstoffblase eine neue Finanzkrise entstehen könnte. So darf es durchaus als ein Alarmzeichen interpretiert werden, dass der Anteil der Öl-, Gas-, und Kohleförderer am wichtigsten britischen Aktienindex FTSE 100 mittlerweile rund ein Drittel beträgt, während er vor zehn Jahren noch bei lediglich ungefähr 10 % stand. Zudem sind weite Teile der Energiebranche prekär finanziert, wie sich bereits jetzt in der amerikanischen Schieferölindustrie zeigt.Die “Carbon Bubble” entsteht dadurch, dass die Konzerne derzeit noch mit ihrem noch im Boden befindlichen Reserven an fossilen Brennstoffen bewertet werden. Sobald allerdings absehbar ist, dass diese Reserven im Boden bleiben müssen, weil ihre Verbrennung die globale Erwärmung so weit anheizen würde, dass sie unumkehrbar wird, dürfte sich die Bewertung dieser Konzerne durch Investoren drastisch nach unten bewegen. In der am 12. Dezember 2015 auf der Klimakonferenz COP 21 in Paris geschlossenen Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen haben sich 175 unterzeichnende Staaten dazu verpflichtet, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Rechtlich kaum bindendZwar ist das Abkommen rechtlich kaum bindend und seine Wirksamkeit wird daher von vielen Kritikern angezweifelt – insofern setzt die Mehrheit der Anleger derzeit auch noch auf die Untätigkeit der Politiker und auf den großen Einfluss der multinationalen Konzerne aus dem Energiesektor. Sollte die Übereinkunft aber wider Erwarten entsprechend ihrem Geist umgesetzt werden, müssten nach einer Studie der Ökonomen der Citigroup ein Drittel der weltweiten Ölreserven, die Hälfte der globalen Gasreserven und rund 80 % der noch nicht abgebauten Kohle im Boden verbleiben. Und die Internationale Energieagentur schätzt, dass insgesamt zwei Drittel der fossilen Brennstoffreserven nicht gefördert werden dürfen. Die daraus resultierende Überbewertung von Assets aus dem Bereich der fossilen Energiegewinnung würde nach Einschätzung der Analysten bedeuten, dass im Energiesektor bis zur Mitte des Jahrhunderts Finanzmittel von bis zu 100 Bill. Dollar gestrandet sein könnten. Beängstigende ZahlenAber auch kurzfristig sehen die Zahlen durchaus beängstigend aus. Nach einer Studie der Green European Foundation aus dem Jahr 2015 haben die 23 größten Pensionsfonds der EU und die 20 größten europäischen Banken rund 1 Bill. Euro in fossile Energien investiert. Das entspricht 5 % der gesamten Anlagen der Pensionsfonds und 1,4 % der Anlagen der Banken. Sollte es zu einer raschen Neubewertung dieser Assets kommen, könnten systemische Risiken entstehen. Die Bank von England hat ebenfalls bereits auf diese systemischen Risiken hingewiesen.Dies alles hat bei vielen Anlegern Nachdenken ausgelöst. So sollen Schätzungen zufolge bereits Investoren, die 2,3 Bill. Euro verwalten, die Abstinenz von Anlagen aus der fossilen Energiegewinnung angekündigt haben. Darunter befinden sich so prominente Adressen wie der norwegische Staatsfonds, der künftig nicht mehr in Kohleaktien investieren will. Erste Reaktionen sind an den Märkten bereits erkennbar: So ist die Marktkapitalisierung der börsennotierten Kohleförderer bereits deutlich gesunken (vgl. Grafik). Bei den Ölkonzernen ist das Bild weniger eindeutig. Der aktuelle starke Verlust der Marktkapitalisierung der Branche ist vor allem auf den Preisverfall und das Überangebot bei dem Energieträger zurückzuführen und weniger auf eine Neuorientierung der Investoren.Wie groß das Krisenpotenzial ist, lässt sich daran ablesen, dass Analysten nicht nur die Energiebranche als gefährdet ansehen. Auch zahlreiche andere Industrien werden als Leidtragende genannt, sollte es zu einer konsequenten Umsetzung der Klimaziele und in der Folge zu einer Umorientierung der Investoren kommen. So sehen die Analysten der Credit Suisse negative Auswirkungen für die Autokonzerne voraus. Dabei seien vor allem die Hersteller von Massenfahrzeugen mit geringer Preissetzungskraft betroffen, die Schwierigkeiten hätten, die Kosten für teure neue Technologien über den Verkaufspreis wieder hereinzubekommen. Die Analysten der Bank nennen hier Volkswagen, Peugeot und Renault, während Tesla und Toyota besser positioniert seien. Versorger unter DruckUnter den Versorgern werden Konzerne wie RWE und die tschechische CEZ, die einen großen Teil des Stroms aus fossilen Energieträgern erzeugen, als Leidtragende gesehen. Profitieren könnten hingegen Unternehmen, die Strom zu einem größeren Teil aus Wasserkraft, Atomkraft odere Biomasse herstellen, wie die österreichische Verbund AG aber auch Iberdrola, Centrica und Drax. Airlines müssen umrüstenBetroffen wären laut Credit Suisse wegen der Notwendigkeit, auf umweltfreundlichere Technologie umzurüsten, auch die Fluggesellschaften, die über ältere Flotten verfügten. Aufgezählt werden dabei insbesondere Lufthansa, IAG (British Airways) und Air-France-KLM, während Ryanair und Easyjet vergleichsweise gut aufgestellt seien. Zu den Verlierern dürften auch die Zementhersteller als eine Branche mit sehr hohen CO2-Emissionen gehören.Nun lässt sich argumentieren, dass die Ölindustrie bislang noch immer insbesondere die US-Politik für die eigenen Zwecke einspannen konnte, was – frei nach dem Motto “Nach mir die Sintflut” – in der Praxis auf eine starke Verwässerung des 2-Grad-Klimaziels hinauslaufen könnte. Es gibt aber noch eine ganz andere Gefahr für die Branche und die Investoren: Es könnte sich bereits in wenigen Jahren eine Revolution der Energieerzeugung ereignen. Während bislang die klimafreundliche und fast unbegrenzt verfügbare Energiegewinnung durch Kernfusion frühestens für die Mitte des 21. Jahrhunderts als realistische Möglichkeit galt, hat der US-Rüstungs- und Technologiekonzern Lockheed Martin angekündigt, bereits in wenigen Jahren einen funktionsfähigen Kernfusionsreaktor der 100-Megawatt-Klasse, der auf einen Lastwagen passen soll, am Markt haben zu wollen. Ambitionierter ZeitplanÖffentlich gemacht hat die berühmte Skunk-Works-Division des Konzerns das Projekt im Oktober 2014, mit der Perspektive, dass ein Prototyp binnen fünf Jahren und ein vermarktungsfähiges Kraftwerk bereits in zehn Jahren fertiggestellt werden sollen. Erst Anfang Mai dieses Jahres ist Lockheed-Martin-Projektleiter Rob Weiss vor dem Atlantic Council aufgetreten, wo er von weiteren Investitionen des Konzerns in die Technologie berichtete. Selbst wenn sich der ursprüngliche Zeitplan als zu ambitioniert herausstellen sollte, sind Investoren in der Öl-und Gasindustrie gut beraten, das Projekt im Auge zu behalten. Denn für den Tag, an dem der Konzern einen funktionsfähigen Prototyp vorstellt, ist mit massiven Kursverlusten im Öl- und Gassektor (und einem enormen Kurssprung der Lockheed-Martin-Aktie) zu rechnen. Dies könnte dann möglicherweise sogar der Auslöser der befürchteten neuen Finanzkrise sein. Allerdings ist die Perspektive der neuen Kraftwerkstechnologie noch so unsicher, dass sich das ganze Projekt als unmöglich herausstellen könnte.—-Zuletzt erschienen:- Druck auf Versorger und Stahlkocher (6.5.)