Aktienmarkt

Geld verdienen mit Russlands Aktien

Die Moskauer Börse hat im Vorjahr hervorragend performt, ehe sie gegen Jahresende stark korrigierte. Die günstigen Titel dürften 2022 vom hohen Ölpreis und von den exorbitanten Dividenden getrieben werden – sofern das eine größte Risiko, das über dem Land schwebt, nicht schlagend wird.

Geld verdienen mit Russlands Aktien

Von Eduard Steiner, Moskau

Am besten können sich die Russen immer noch selbst beschreiben. „Verstehen kann man Russland nicht und auch nicht messen mit Verstand. Es hat sein eigenes Gesicht. Nur glauben kann man an das Land.“ Das sagte der russische Dichter Fjodor Tjutschew vor gut 150 Jahren in seinem berühmten Bonmot.

Viele Rätsel

Und wie man es auch dreht und wendet, viele Rätsel bestehen heute weiter. Da stieg das Bruttoinlandsprodukt zwischen 2013 und 2020 laut Statistikamt im Schnitt jährlich mit nur noch 0,5%. Da sanken die real verfügbaren Einkommen seither um über 10%. Da hat der Rubel seither fast die Hälfte seines Wertes gegenüber Dollar und Euro verloren und wird auffälligerweise auch vom hohen Ölpreis nur noch marginal gestützt. Da ist die Inflation im Vorjahr auf über 8% hochgeschnellt. Da prophezeien zahlreiche Ökonomen für die kommenden Jahre eine Stagnation. Da war die Übersterblichkeit durch das Coronavirus ex­trem hoch. Und da droht überdies ein militärischer Konflikt mit der Ukraine.

Und was machen die Russen? Sie billigen Wladimir Putins Tätigkeit zu 65%, wie das Meinungsforschungsinstitut Levada-Center in seiner Monatsumfrage für Dezember eruierte. Man kann sich Land und Leben ohne den seit 21 Jahren regierenden Kremlchef ganz einfach nicht vorstellen. Und ist der Überzeugung, dass alles, was unter ihm schiefläuft, letztlich von ihm auch wieder gerichtet wird. Doch sind die – vorwiegend ausländischen – Investoren auf dem russischen Kapitalmarkt hierin nicht viel anders als die Bürger des Landes. Im vergangenen Jahr bescherten sie dem in Dollar denominierten Leitindex RTS-Index trotz allen Widrigkeiten ein Plus von 14,3%. Inklusive Dividenden waren es sogar 21%. „2021 war eines der besten Jahre in der vergangenen Dekade, nachdem 2020 eines der schlechtesten gewesen war“, sagt Wjatscheslaw Smoljaninow, stellvertretender Chefanalyst der Moskauer Investmentbank BCS Global Markets, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Eines der besten Jahre, obwohl die Korrektur im November und Dezember einen Rücksetzer von zuvor 1920 Punkten auf 1595 Punkte verursacht hat, und zwar aufgrund des Migrantenproblems an der weißrussisch-polnischen Grenze, des russischen Truppenaufmarschs an der ukrainischen Grenze und der Ölpreisdelle infolge der Omikron-Mutante des Coronavirus.

Nach den etwa 4 bis 4,5% Wachstum des Bruttoinlandsproduktes 2021 steuert Russlands Wirtschaft nun auf ein Wachstum auf dem Niveau der Vor-Corona-Zeit zu. Die Zentralbank spricht von 2 bis 3%. Der Konsens der Marktteilnehmer lautet für 2022 auf 2,5%, für 2023 auf 2,1%. Das Erholungspotenzial ist weitgehend ausgeschöpft. Der Staat, der eine straffe Finanzpolitik verfolgt, um die hohen Rücklagen gegen äußere Schocks wie etwa neue Sanktionen weiter zu erhöhen, hält sich mit Investitionen zurück. Die Kaufkraft der Bevölkerung sinkt.

Markt gibt nach

Und dennoch ist diese Art von „Normalisierung“ nichts, was die Marktbeobachter irritieren würde. Was wirklich irritiere, sei neben der Coronasituation, die sich derzeit aber bessert, die geostrategische Spannung, so Smoljaninow. Und zwar am meisten natürlich das von Sanktionsdrohungen begleitete Problem zwischen Russland und der Ukraine bzw. der Nato, worüber Russland derzeit mit den USA verhandelt. Gut möglich, dass der Markt aufgrund der Ukraine-Krise in den nächsten Wochen nachgibt, vermuten manche russischen Analysten derzeit.

Fed im Blick

Aber solange es nicht zu einem Krieg kommt, herrscht in der Expertenwelt für das Gesamtjahr 2022 starker Optimismus, so die Einschätzung von Aktienexperten. Zwar wird die Straffung der US-Geldpolitik sehr wohl als möglicher Anlass für Kapitalabflüsse aus Schwellenländern in Betracht gezogen. Aber weil russische Unternehmen nach 2008 und infolge der Sanktionen 2014 ihre Auslandsverschuldung drastisch reduziert haben, ist die Ausgangslage nun deutlich besser. „Wenn die Zinsen in den USA nicht allzu schnell erhöht werden, sollte es für Russland kein Problem sein“, erklärt Christian Putz, Russland-erfahrener Gründer der Londoner Investmentfirma ARR Investment Partners, auf Anfrage.

Optimistische Prognosen

Die Analysten von Otkrytije Research sehen den in Rubel denominierten Leitindex iMoex, der aktuell bei 3737 Punkten steht, zum Jahresende um 28% höher bei 4800 Punkten. BCS Global Markets prognostiziert für den RTS (aktuell: 1565 Punkte) bis Jahresschluss ohne Dividende 2100 Punkte, mit Dividende 2250 Punkte. Als wichtigste Kurstreiber nennt Smoljaninow die hohen Öl- und Gaspreise sowie die exorbitanten Dividenden.

Hohe Dividendenrenditen

Die Dividendenrenditen, schon im Vorjahr ein herausragendes Merkmal des russischen Aktienmarktes, sind inzwischen so hoch wie nirgends in der Welt. Für den Gesamtmarkt liegen sie auf einem Rekordniveau von über 9,4%, wobei für 2022 ein weiterer Rekord von gut 10% prognostiziert wird. Der Gaskonzern Gazprom etwa bietet für 2021 eine Dividendenrendite von über 13% und nächstes Jahr möglicherweise 20%.

Ölpreis stützt

Was nun den Ölpreis betrifft, der auf Einjahressicht um knapp 50% zugelegt hat und diversen Experten zufolge dieses Jahr von gut 80 Dollar je Barrel gar auf 100 Dollar steigen könnte, ist und bleibt er damit die große Stütze für die Wirtschaft und den ölkonzernlastigen Aktienmarkt. BCS bevorzugt denn auch den Ölsektor mit den führenden Konzernen Rosneft, Lukoil und Tatneft sowie den Gassektor mit Gazprom. Aber auch die Bankaktien, allen voran die der Sberbank, seien – wie der Gesamtmarkt – bereist extrem günstig, sagt Investmentbanker Putz. „Sollte nun noch eine Korrektur folgen, wäre der Markt eindeutig ein Kauf.“

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